Cover des Buches Im Morgengrauen (ISBN: 9783869139005)
krimielses avatar
Rezension zu Im Morgengrauen von Tom Bouman

Hinterwäldlerischer Krimi

von krimielse vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Klassischer Amerikanischer Ermittler-Krimi mit viel Gesellschaftskritik, entwickelt sich eher langsam und hinterwäldlerisch als hochspannend

Rezension

krimielses avatar
krimielsevor 6 Jahren
Das Buch „Im Morgengrauen“ von Tom Bouman wird vom Verlag als Thriller beworben, ist aber eher ein klassischer Ermittler-Krimi mit viel hinterwäldlerischer, langsamer und atmosphärischer Spannung anstatt nägelkauender Unruhe. Es unterscheidet sich von anderen Büchern des Genres außerdem dadurch, dass der Protagonist Henry Farrell als einziger Officer der Dienststelle des Örtchens Wild Thyme für alle anstehenden Belange im Prinzip allein zuständig ist und dabei schon mal an seine Grenzen stößt. Man wird beim Lesen förmlich überschüttet mit allen großen und kleinen Problemen des Ortes, und, ebenso wie Henry Farrell, eben auch mit vielen Nebenschauplätzen, die mit dem eigentlich wichtigen Fall auf den ersten und oft auch auf den zweiten Blick nichts zu tun haben. Doch das tut für mich dem Lesevergnügen keinen Abbruch, und sofern man sich darauf einlassen kann, liest sich die Geschichte trotz einiger Wirrnis eben so, wie Henry Farrell seine Ermittlungen erlebt, zwar mit zielgerichtetem Willen aber oft abgelenkt von alltäglichen Nebensächlichkeiten oder behördlichen Befindlichkeiten. Und genau das macht für mich einen Teil des Charmes des Buches aus, das sich dazu auch noch viel Zeit bei atmosphärischen Naturbeschreibungen lässt.

Der Hauptstrang der Handlung bezieht sich auf das Verschwinden einer jungen Frau, der drogenabhängigen Penny Pellings, die mit ihrem Partner Kevin O‘Keeffe in einem Wohnwagen lebte. Kevin kann sich an nichts erinnern, gibt jedoch Henry gegenüber zu, auf einen Mann geschossen zu haben. Henry ermittelt gründlich im gesamten Umfeld von Penny und stößt dabei auf viele wichtige und unwichtige Details, die auf größere kriminelle Machenschaften und immer wieder auf eine unbekannte Gruppe von Investoren hindeuten.
Beim Lesen erfährt man bei Henrys Ermittlungen nicht nur die Geschichten der Personen, die er durchleuchtet, auch den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Niedergang der ganzen Region, die kriminellen Machenschaften im Zusammenhang mit Drogenhandel, Prostitution und Fracking spielen eine Rolle. Man hat manchmal das Gefühl, zusammen mit Henry im korruptiven und kriminellen Sumpf regelrecht festzustecken und kein Land mehr zu sehen.

Henry ist nicht als der blitzsaubere und absolut korrekt handelnde Ermittler dargestellt. Er hat nichts gegen eine gelegentliche Marihuanapfeife und ab und an ein gepflegtes Besäufnis nach Feierabend. Er hegt Sympathien für die Unterschicht, sofern sie sich an die wesentlichen Regeln halten können. Er beherrscht offenbar den schwierigen Balanceakt zwischen Untergebenheit vor der zuständigen presbyterianischen Obrigkeit seiner vorgesetzten Behörde und der Menschlichkeit gegenüber unrecht Behandelten und Outlaws recht gut, auch wenn seine Dienstbeflissenheit und grundsätzliche Moral durchaus zu wünschen übrig lassen. Doch genau das macht seinen Charakter so lebensecht, dadurch passt Henry Farrell sowohl in diese Geschichte als auch in diese heruntergekommene Gegend im Norden Pennsylvanias.

Stilistisch lässt das Buch für mich keine Wünsche offen, Bouman präsentiert großartiges schriftstellerisches Können, das mir beim Lesen seiner Beschreibungen viel Genuss bereitete. Manchmal sehr atmosphärisch und poetisch, manchmal lapidar, zynisch und trocken, immer passend zum beschriebenen Ereignis, liest sich sein Stil. Und wenn ein paar weniger Abschweifungen in den nicht immer aufregenden Polizeialltag eines ländlichen Policeofficers gewesen wären, hätte das Buch meine uneingeschränkte Begeisterung gefunden. So ziehe ich einen Punkt für etwas zu viele Nebenschauplätze ab, bei denen man zwar durchaus den großen Überblick behalten kann, aber die eben auch abträglich für die Spannung sind.
Ich empfehle das Buch trotzdem, allerdings keinesfalls mit der Erwartung eines aufregenden Thrillers, sondern eher eines Romanes mit Krimihandlung, der fast mäandernd gerne jeder Wegabzweigung folgt und so zwar einen großartigen und kritischen Eindruck von Henry Farrell und der Gegend um Wild Thyme gibt, aber eben auch mit gebremster Spannung fährt.

Ich kenne übrigens das erste Buch von Tom Bouman „Auf der Jagd“ noch nicht und freue mich sehr darauf, es zu lesen.
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks