Ein entschleunigter Noir.
von Gulan
Kurzmeinung: Ein country noir aus Pennsylvania. Gutes Setting, gute Figuren, Tempo/Spannung eher zurückhaltend.
Rezension
Wild Thyme, ein ländlicher Flecken im Norden Pennsylvanias. Der Officer Henry Farrell hat einen unangenehmen Fall: Penny Pellings, junge Mutter, drogenabhängig und wohnhaft in einem Wohnwagen, ist spurlos verschwunden. Ihr Partner, Kevin O'Keeffe, ist dringend tatverdächtig, beteuert aber seine Unschuld. Kurz darauf wird eine Leiche aus dem Fluss gezogen, ein Dealer und Bekannter von Penny. Henry bleibt auf der Suche und wird nach und nach immer tiefer in die dunklen Seiten der Region gezogen.
Autor Tom Bouman stammt aus dem Nordosten des US-Bundesstaats Pennsylvania. Er arbeitete als Verlagslektor und war Frontmann einer Countryband. Er lebt inzwischen wieder mit seiner Familie in Pennsylvania und begann seine Schriftstellerkarriere mit dem Roman „Auf der Jagd“ („Dry Bones In The Valley“), dem ersten Band mit seinem Protagonisten Henry Farrell. Mit diesem Roman gewann Bouman der renommierten Edgar Award als bestes Debüt.
Seine Bücher spielen im sehr ländlichen Nordosten Pennsylvania im Sasquehannah County, an der Grenze zum Bundesstaat New York. Das Setting macht einen besonderen Reiz aus, düstere Kriminalromane im ländlichen Raum, sogenannte „country bzw. rural noirs“ sind aktuell sehr angesagt. Auch in „Im Morgengrauen“ ist die Diskrepanz zwischen idyllischer Natur und brutalen Verbrechen frappierend. Der Norden Pennsylvanias kann man wohl als strukturschwach bezeichnen, die alten Industrien sind nahezu verschwunden, der Niedergang ist vielerorts sichtbar. Fracking-Unternehmen haben sich breitgemacht, Profiteure gibt es nur wenige. Stattdessen die Kehrseiten der Medaille: Umweltschäden, Verkehr, Drogen.
Erzählt wird die Geschichte vom Ich-Erzähler Henry Farrell. Dieser ist ein Kleinstadtpolizist in den unteren Hierarchiestufen. Ein eher melancholischer, nachdenklicher Typ, schon früh verwitwet, hilft seinem besten Kumpel in dessen Holzbetrieb, spielt die Fiedel in einer Bluegrass-Band, hat eine Affäre mit einer verheirateten Frau. Henry ist aber auch ein gewissenhafter Polizist, der auch recht unkonventionell die Ermittlungen voranbringt. Im Vermisstenfall „Penny Pellings“ ist er relativ schnell von der Unschuld des Verdächtigen O'Keeffe überzeugt, trotzdem verlaufen die Ermittlungen nur schleppend, weil das Ausmaß an Verbrechen, das sich dahinter verbirgt, nur langsam an die Oberfläche tritt.
Insgesamt hat mir Tom Boumans „Im Morgengrauen“ gut gefallen. Es ist definitiv kein rasanter, temporeicher Krimi, auch die Spannungsmomente sind punktuell dosiert. Da gäbe es also noch Luft nach oben. Allerdings hat mir die Darstellung dieses Landstrichs in Pennsylvania als Symbol für den Niedergang des ländlichen Amerika mit all seinen Facetten gut gefallen. Das Setting und auch die Figuren wirken real und authentisch. Der Roman ist kein klassischer Krimi mit Fokus auf den Ermittlungen, sondern ein Hybrid aus Krimi und Gesellschaftsroman mit weitem Blick auf das Drumherum. Wer sowas mag, ist bei Tom Bouman durchaus gut aufgehoben.