Cover des Buches Die Gefürchteten (ISBN: 9783453431980)
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Rezension zu Die Gefürchteten von Tom Franklin

Ein spannender Western mit inhaltlichem und sprachlichem Tiefgang

von WolffRump vor 11 Jahren

Rezension

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WolffRumpvor 11 Jahren
Autor:
Tom Franklin ist ein Literaturprofessor aus Mississippi, der unter Kritikern als vielversprechendes Talent der jüngeren amerikanischen Literatur gilt.

Genre:
Südstaaten-Western

Umfang:
ca. 400 Seiten (Print)

Inhalt:
Alabama, Ende des 19. Jahrhunderts. Zwei Farmerjungen überfallen in einem abgelegenen Landstrich einen wohlhabenden Kaufmann, um an das Geld für ihren ersten Bordellbesuch zu kommen. Der halbherzig ausgeführte Raub mißlingt und der Kaufmann wird unabsichtlich tödlich verletzt. Ein enger Verwandter des Opfers ruft eine Gruppe von Männern ins Leben, die sich zum Ziel setzt, den Täter zu jagen und zur Strecke zu bringen. Aus diesem Bündnis, das sich auch verpflichtet, arme Landpächter gegenüber ausbeuterischen Städtern (Grundbesitzer, Kreditgeber) zu verteidigen, entwickelt sich schließlich eine Bande, die Kaufleute und Farmer gleichermaßen überfällt und sie zwingt, sich ihrer Gemeinschaft anzuschließen. Wer sich widersetzt, wird getötet. Da niemand weiß, dass sie für den auslösenden Mord verantwortlich sind, werden auch die beiden Jugendlichen angeworben. Ein alternder Sheriff versucht, der Bande Einhalt zu gebieten, die den gesamten Bezirk terrorisiert und die Farmer in Angst und Schrecken versetzt. Als dies nicht gelingt, ruft der Richter des Ortes eine Bürgerwehr ins Leben, die er unter den Befehl eines eiskalten Killers stellt. Die Bürgerwehr kann die Bandenmitglieder stellen. Bevor ihnen dies allerdings gelingt, töten sie zahlreiche Unschuldige, die sie irrtümlich für Bandenmitglieder halten. Der Sheriff stellt sich dem lynchenden Mob und der Bande entgegen.


Das sozialkritische Thema des Romans ist gerade in den USA auch heute noch hochaktuell. Viele kleinere Landwirte haben ihre Farmen für Bankkredite verpfändet und müssen diese an die Gläubiger abtreten, da sie die Kredite nicht mehr bedienen können. Foreclosure-Schilder (dt. 'Zwangsvollstreckung') sind nicht nur in den Agrargebieten der USA so häufig wie die Reklametafeln der Werbeindustrie. Drei Millionen Hauseigentümer haben 2011 in den USA Vollstreckungsurteile erhalten.

Perspektive:
Überwiegend wechselnde personale Perspektiven der wichtigsten Figuren.

Erzählzeit:
Vergangenheit

Setting:
Die Geschichte spielt in einem entlegenen Landstrich in der Nähe von Alabama – den sogenannten Mitcham Beats. Die Beschreibungen der Settings sind detailliert, plastisch und wirken absolut authentisch. Der Leser kann sich sehr gut in die unterentwickelte Agrarlandschaft der Südstaaten zum Ende des 19. Jahrhunderts hinein versetzen. Das Land verlangt seinen Bewohnern alles ab und wirkt genauso gewalttätig und lebensverachtend wie die Gesellschaft aus Farmern, Knechten und kleinen Kaufleuten, die ihm das wenige abringen, was sie am Leben hält.

Historischer Hintergrund:
Der Roman basiert auf einem historischen Ereignis, das als The Mitcham War of Clarke County in die Geschichte der amerikanischen Südstaaten eingegangen ist. Der Konflikt zwischen wohlhabenden Städtern, die die arme Landbevölkerung ausbeuteten und Farmern, die keinen Ausweg aus ihrer Situation sahen, als sich in Banden zusammenzuschließen, nahm Ende der 1890er bürgerkriegsähnliche Ausmaße an. Gewaltausbrüche zwischen Stadtbewohnern und der Landbevölkerung von Clarke County wurden bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts verzeichnet, das Misstrauen hielt weit darüber hinaus bis in die 70er Jahre an.

Struktur und Spannungsbogen:
Der Autor lässt den Leser daran teilhaben, wie sich ein fehlgeschlagener Jungenstreich in einer Gesellschaft, die sich durch Misstrauen, Brutalität und grenzenlose Ausbeutung auszeichnet, fast zu einem Bürgerkrieg auswächst. Franklin versucht keinen belehrenden historischen Abriss zu zeichnen, auch wenn ihn das o. g. reale Ereignis zu seiner Geschichte inspiriert hat. Er fokussiert sich auf die sozialen Aspekte, die den für Außenstehende unfassbaren Ausbruch von Gewalt ermöglicht haben. Franklin verfolgt das Schicksal einiger weniger Menschen, die sich immer mehr in die ausufernden Konflikte verstricken, bis sich die Spannungen in einer bürgerkriegsähnlichen Eruption entfesseln. Der Höhepunkt der Geschichte ist außerordentlich gewalttätig, aber im Gegensatz zu vielen Serienthrillern, ist hier die Gewalt kein losgelöster Selbstzweck, der schockverwöhnte Leser befriedigen soll. Sie ist tief in den Figuren und ihrer Historie verankert und jederzeit glaubwürdig.

Charaktere:
Es gibt in dieser Geschichte keinen singulären Protagonisten oder Antagonisten. Eine besondere Bedeutung kommt jedoch der unschuldigsten Figur des Romans zu, dem sensiblen Waisenjungen Mack, der aus Nervosität seine Pistole auf einen Mann abfeuert und damit den Funken liefert, an dem sich das Drama entzündet. Die Figur ist mit großem Empathiepotential ausgestattet, ohne dabei kitschig zu wirken. Der Leser folgt in der Story weitgehend Mack durch das Grauen, das ihn aus seiner kindlichen Unschuld zerrt. Wohin er auch blickt, herrscht blanke Gewalt. Tiere werden wie selbstverständlich gequält oder getötet, Kinder werden von ihren Vätern wie Sklaven gehalten und behandelt und selbst die Natur trachtet den Menschen in Form von giftigen Tieren, Missernten und unwegsamem Gelände nach dem Leben. Gewalt ist die einzige Form der Kommunikation, sowohl gegenüber der Familie, als auch gegenüber denjenigen, die das eigene Überleben gefährden. Wer in diese Welt hineingeboren wird, ist ihr schutzlos ausgeliefert und macht sich früher oder später ihre Gesetzmäßigkeiten selbst zu eigen. Die Spirale der Gewalt scheint endlos und nur wenige versuchen ihr zu widerstehen, doch selbst sie bekommen blutige Hände und töten, um den Tod aufzuhalten. Der Sheriff, Waite, ist eine solche protagonistische Figur. Er betäubt sein Grauen mit Whiskey und verkörpert dennoch die Stimme der Vernunft. Doch seine Vernunft wird ihm in einer Gesellschaft, die nur die Sprache von Strafe und Rache kennt, als Schwäche ausgelegt. Dennoch versucht er als Einziger zu deeskalieren und die Zügel wieder in die Hand zu bekommen, um das Schlimmste zu verhindern.

Eine weiterer wichtiger protagonistischer Charakter ist Granny, eine Witwe, die als Hebamme fast jede Figur der Story auf die Welt geholt hat und mit ansehen muss, wie die Gier das Wenige zerstört, das die Menschen in dieser lebensfeindlichen Umgebung noch zusammenhält. Sie hat Gute wie Schlechte aus dem Mutterleib auf die Welt gezerrt und war selbst bei den Waisenkindern, die sie aufgezogen hat, nicht in der Lage, ihnen den notwendigen Schutz zu gewähren. Auch sie ist kein sentimentaler Charakter, auch sie hat Blut an den Händen. Sie tötet u. a. mit selbstverständlicher Regelmäßigkeit die Welpen ihrer Hündin oder fordert ihre Pflegekinder dazu auf. Antagonistischen Figuren wie den Killern Lev und Ardy sowie Tooch als Drahtzieher der Hell-at-the-Breech – Bande fällt es leicht, in diesem Klima unter dem Mantel von Phrasen Anhänger zu gewinnen und ihre eigenen Ziele zu verfolgen.

Sprache/Duktus:
Tom Franklin verwendet eine einfach strukturierte, aber ungemein bildhafte Sprache, um den Kosmos zu entwerfen, in dem sich die Geschichte abspielt. Viele europäische Romane leiden unter dem umgekehrten Phänomen.

Kritikpunkt: Gerade in der ersten Hälfte des Romans wirkt der Sprachrhythmus zu ruhig und abgeklärt, um die kochenden Emotionen und die Verzweiflung der protagonistischen Kräfte angemessen zu transportieren. Der Inhalt ist grausam, aber der Autor blickt über weite Strecken mit der Abgeklärtheit eines Sachbuchautors auf das Schlachtfeld, das sich vor ihm ausbreitet.

Die Bildersprache und das hierdurch angestoßene Kopfkino sind eine Stärke des Romans, während die Beschreibung der psychischen Seite der Figuren sprachlich nicht ganz an diese hohe Qualitätsvorgabe anknüpfen kann. Es ist durchaus möglich, dass die Übersetzung den Roman Sprachkraft gekostet hat. Wenn ich das engl. Original in die Hände bekomme, kann ich hierzu mehr sagen.

Fazit:
‚Die Gefürchteten’ ist ein spannender Western mit inhaltlichem und sprachlichem Tiefgang. Figuren, Setting und Handlung wirken gleichermaßen authentisch und unterstützen sich gegenseitig. Die ungeheuere Härte des Inhalts wird manchen Leser abstoßen, doch wer sich mit dem historischen Fall, an den der Roman lose anknüpft, vertraut gemacht hat oder vergleichbare Zeitzeugenberichte aus der Pionierzeit gelesen hat, wird dem Autor kaum widersprechen können. Die geschilderten Vorfälle sind in dieser Form durch eine Vielzahl von historischen Dokumenten belegt. Und abgesehen davon hilft ein kurzer Blick in die jüngere Geschichte, um uns der Illusion, dass die Lehren aus der Vergangenheit uns heute einen moralisch überlegenen Rückblick auf unsere Vorväter ermöglichen, zu berauben. Gegen die Bürgerkriege in Jugoslawien, mit ihren bis heute andauernden Nachwirkungen und Spannungen, liest sich ‚Die Gefürchteten’ vergleichsweise harmlos. Und das ist nur ein Beispiel.

Tom Franklin zeigt in seinem Roman eindrucksvoll auf, dass ein winziger ‚Spark’ ausreicht, um in einer hinreichend ungebildeten und gewaltbereiten Gesellschaft jeden Menschen mit dem Wundbrand des Hasses zu infizieren. Wenige können viele aufhetzen und mit den fadenscheinigsten Argumenten in den Tod treiben. Es geht immer um Macht und es geht immer um Geld. Und es geht immer um beides für wenige. Wir kennen alle die Schlagworte, die im historischen oder aktuellen politischen Kontext herangezogen wurden und werden, um die einen gegen die anderen in die Schlacht zu führen. Lebensraum, Ressourcen, Rasse, Religion oder die Bedrohung durch (eingebildete) ‚Massenvernichtungswaffen’ sind nur einige dieser Begriffe, die jeden von uns auch in den nächsten tausend Jahren noch veranlassen werden, uns auf die eine oder andere Seite zu stellen und einigen wenigen in die Hand zu spielen. Insofern ist das Südstaaten-Westerndrama hochaktuell und wird es leider auch bleiben.

Die Umsetzung des Themas ist bis auf den z. T. zu trockenen sprachlichen Ausdruck gut gelungen.

Eine empfehlenswerte Lektüre selbst für Westernphobiker.
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