Cover des Buches Drohnenland (ISBN: 9783462046625)
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Rezension zu Drohnenland von Tom Hillenbrand

Terry sieht alles

von SalanderLisbeth vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Spannende und einfallsreiche Vision eine nahen Zukunft.

Rezension

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SalanderLisbethvor 8 Jahren

In Europa Mitte des 21. Jahrhundert ermittelt Hauptkommissar Aart van der Westerhuizen in einem Mordfall an einem erschossenem Brüsseler Abgeordneten. Dank flächendeckender Vollzeitüberwachung werden Verbrechen mittlerweile relativ schnell aufgeklärt. Außerdem steht ihm die israelische Analystin Ava Bittmann zur Seite, die mit einem hoch leistungsfähigen Europol-Fahndungscomputer, kurz Terry (von Theiresias dem antiken blinden Seher) arbeitet. Trotz dessen umfangreicher Bewegungsdaten verlaufen aber alle Spuren im Sand. Als Aart und Ava Zusammenhänge zu anderen verstorbenen Abgeordneten aufdecken, geraten sie in tödliche Gefahr.

Das wirklich besondere an diesem spannendem Krimi ist nicht unbedingt der fesselnde Plot, sondern das Setting, dass Tom Hillenbrand mit großem Einfallsreichtum erschaffen hat.
Ein Europa, in dem u.a. Holland aufgrund der Klimaerwärmung größtenteils abgesoffen ist, und es ständig regnet, so dass die großen Metropolen kilometerlange Netze von Untergrundpassagen unter die Städte gebaut haben. Die komplette Überwachung mit Drohnen, Colibris, Molekularscanner, genannt Mollys ist allgegenwärtig. Medienfolien haben das gedruckte Papier ersetzt, man trägt Datenbrillen, sogenannte Specs, Treffen finden in Holokonferenzen statt, Autos fahren selbstständig. Der Autor beschreibt eine Zukunft, wie sie vorstellbar wäre, weil es eine Fortschreibung der heutigen Entwicklung darstellt und vieles seinen Ursprung in der heutigen Zeit hat. Nichts wird explizit erklärt. Fast beiläufig wird man über die politische Entwicklung informiert. Trotzdem wirkt die vom Autor entworfene Szenerie absolut stimmig und überzeugend, da Hillenbrand alles mit einer Selbstverständlichkeit und viel Tempo erzählt und ich bewundere seine Detailverliebtheit und seinen Humor.

Aart untersucht die Wohnung des Opfers und staunt über den Kleiderschrank.

Seite 49: Vor einem weißen Hintergrund taucht ein seltsam aussehender Mann auf, jene Art von virtuellem Konstrukt, das sich nur ein bekiffter Programmierer ausdenken kann. Der Mann ist Mitte fünfzig, seltsam ausgemergelt, und hat einen weißen Pferdeschwanz, der so aussieht, als habe er ihn gepudert. „Guten Morgen“, sagt der Mann auf Französisch.

Dank der fortgeschrittendsten Entwicklung, der Spiegelung, ist es nicht mehr nötig, einen Tatort persönlich zu begehen, sondern kann dies virtuell erledigen. Man begibt sich dazu in einen aus einer Vielzahl von Aufnahmen zusammengesetzten Datenraum.
Mit dem Hauptkommissar hat der Autor einen sympathischen Charakter erschaffen, als Leser fühlt man mit dem immer etwas melancholisch wirkenden Niederländer mit, wenn er über die Zuidersee, seine überschwemmte Heimat schippert. Seit man nirgends mehr rauchen darf, ist er Lakritz-süchtig, und mit seinem wachen Verstand ist der altmodische Mittvierziger davon überzeugt, dass trotz aller Technik die gute alte Polizeiarbeit von großer Wichtigkeit ist. Aber diese Zeiten sind vorbei, wie dem Bogart-Fan durch seinen Vorgesetzter unmissverständlich erklärt wird.

Seite 40
Mein Bullenherz ist Ihrer Meinung, Westerhuizen. Sie sind vom alten Schlag, genau wie ich. Sie gehen raus, sprechen persönlich mit Zeugen, schnüffeln am Tatort herum. Aber mein Präfektenherz sagt mir, dass diese Zeit vorbei sind. Das ist hier keiner Ihrer Harry-Bogart-Filme.“ .. „Effizienz ist Trumpf, Westerhuizen. Sich die Schuhsohlen abzulaufen, ist nur noch eine romantische Fantasie aus 2-D-Filmen. …. „

Fazit: Mir hat die düstere Zukunftsperspektive sehr gut gefallen, besonders bemerkenswert die überbordende Phantasie, mit der Tom Hillenbrand, der sich bisher als Autor von Küchenkrimis hervorgetan hat, seinen mit mehreren Preisen ausgezeichneten SciFi – Krimi ausstattet. Und viel subtiler und cooler als Dave Eggers mit „Der Circle“ oder Marc Elsbergs „Zero“ wird hier die Thematik um den Überwachungsstaat aufgegriffen.

Von mir 4,5 Punkte
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