Cover des Buches Die Unperfekten (ISBN: 9783423140973)
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Rezension zu Die Unperfekten von Tom Rachman

Ein Abgesang an die Printmedien?

von BuecherBall vor 10 Jahren

Rezension

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BuecherBallvor 10 Jahren
Ich habe diesen Roman kurz vor der Schließung der Thalia-Filiale Große Bleichen in Hamburg, wo ich die letzten (mitunter auch traurigen) Monate miterlebt habe, beim Entpacken der Eingangsware entdeckt und diesen gleich beiseitegelegt, um ihn noch am selben Tag zu kaufen.
"Rom - die ewige Stadt. Eine internationale Tageszeitung, die ihrem Ende entgegenschlingert, ihre Macher und Leser." war der gesamte Klappentext auf der Buchrückseite. Mehr bedarf es eigentlich auch nicht, um diese Geschichte, geschrieben vom britisch-kanadischen Journalisten Tom Rachman, der unter anderem für Associated Press und den International Herald Tribune publiziert hat, zu umschreiben. Mich jedenfalls hat dieser Einzeiler so neugierig gemacht, dass ich einen Spontankauf, wie ich ihn für gewöhnlich zu vermeiden versuche, tätigte.
Es ist ein klischeebehaftetes, viele Vorurteile gegen den journalistischen Betrieb bestätigendes Buch, bleibt dabei jedoch auf dem Boden und übertreibt es mit den Stereotypen nicht allzu sehr (wobei hier vermutlich die Meinungen auseinandergehen). Trotz seines traurigen Themas (auch hier scheiden sich vermutlich die Geister) hat es zuverlässig ein Grinsen auf mein Gesicht gezaubert. Es lässt sich also sagen, dass mich dieses Buch nach zuvor mehreren Enttäuschungen hintereinander wieder ziemlich gut unterhalten hat, ein Abgesang auf die Printmedien, wie bei Erscheinen dieses Buches sowohl in den USA als auch in Deutschland kritisiert wurde (zumeist von den Printmedien selbst) ist dieses Werk aus meiner Sicht nur bedingt.


Die Geschichte, die dieser Roman erzählt, passt wie die Faust aufs Auge in die heutige Zeit, könnte man meinen - und hat damit vermutlich recht. Beschrieben wird auf knappen 400 Seiten das "Leben" einer internationalen, wenn auch zweitklassigen Zeitung mit Sitz in Rom. Ihre Macher und Schreiber sind allerdings allesamt gebürtig aus dem englischsprachigen Raum, also hauptsächlich aus den USA oder Großbritannien. Fast jedem Mitglied der Zeitung widmet sich Tom Rachman auf ca. 30 bis 40 Seiten. Erzählt werden ihre Probleme, ihr Schwierigkeiten und Hürden, die sie durchlaufen mussten bzw. müssen, kurz: ihr Leben. Meistens beschränkt sich der Autor dabei auf einen Tag, welcher irgendwann - mal zu Anfang, mal am Ende - die Realität der Zeitung durchschreitet, klar, die Charaktere haben ja auch alle irgendwie mit ihr zu tun.
Da wäre zum einen der Auslandskorrespondent Lloyd Burko, ein in die Jahre gekommener, einsamer Mann, der schon die besten Jahre weit hinter sich liegen sieht und verzweifelt an seinem langjährigen Arbeitgeber festzuhalten versucht, der ihm eigentlich keine große Beachtung mehr schenkt, auch wenn er dabei die Karriere seines Sohnes aufs Spiel setzen muss.
Da wäre der Chefkorrektor Herman Cohen, der eine kaum beachtete Kartei pflegt, in welcher er alle kleineren und größeren Fehler und Fauxpas einträgt, welche er in der aktuellen Ausgabe der Zeitung findet, der mehrmals am Tag in der Redaktion seinen obligatorischen Rundgang tätigt, um jeden anzuschnauzen, der nicht bei drei auf seinen Rechner guckt und wie wild tippt.
Und da wäre der Verleger selbst, Oliver Ott, Soziopath und der Enkel des verstorbenen Gründers Cyrus Ott, dessen einziger echter Freund sein Hund Schopenhauer ist. Er ist die wohl tragischste Figur in dieser Geschichte, bei wem angesichts dessen fast kindlicher Unbeholfenheit und Hilflosigkeit nicht der Helfer- und Mitleidsinstinkt hervorgerufen wird, dem kann ich einen Job bei der BLÖD anbieten, da seid ihr gut aufgehoben ('zwinker, zwinker').

Doch die wahre Hauptperson ist jemand, der zwar die ganze Zeit mehr als präsent ist in der Geschichte, jedoch nie selbst zum Leser spricht, sondern dies durch alle Figuren des Romans hindurch tut: die Zeitung selbst. Als Leser schauen wir der Zeitung bei ihrem langsamen Niedergang zu, implizit geht es in dem Roman nicht um die Macher und Leser und was aus ihnen wird, nein, wir bekommen ein Bild eines in Zeitlupe sterbenden Printwesens serviert, welche sich aufgrund von einer reaktionären Führung (so wird innerhalb der Zeitung von einigen Meinungsführern bis zum Ende eine Online-Präsenz der Zeitung verweigert) und der Inkompetenz des Verlegers dem Stillstand verschrieben hat - und wie heißt es so schön? "Wer stillsteht, geht rückwärts".

So kann man abschließend auch den vielleicht im Roman versteckten Appell verstehen...
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