Tommi Kinnunen

 3,8 Sterne bei 21 Bewertungen
Autorenbild von Tommi Kinnunen (©Jussi Vierimaa/WSOY)

Lebenslauf

Kunstvolle Literatur aus dem Norden Europas: Der 1973 geborene Autor arbeitet in seiner Heimat Finnland als Lehrer für Literatur und Finnisch. Neben Theaterstücken, Kabaretttexten, Kurzgeschichten und Unterrichtsmaterialien zählen Romane zu seiner literarischen Produktion. 2014 veröffentlichte er sein Debüt „Neljäntienristeys“, für das er mit dem Literaturpreis Helsingin Sanomat ausgezeichnet wurde. Die Übersetzung „Wege, die sich kreuzen“ erschien in Deutschland 2018 und erzählt die Geschichte einer generationenübergreifenden Familientragödie. In seinem Roman „Lopotti“ (2016) finden sich einige der Charaktere aus „Neljäntienristeys“ wieder. Der finnische Autor hat auch als Kolumnist gearbeitet und an der Radiooper „Die Königin der kalten Erde“ mitgewirkt.

Alle Bücher von Tommi Kinnunen

Cover des Buches Wege, die sich kreuzen (ISBN: 9783328104681)

Wege, die sich kreuzen

 (16)
Erschienen am 12.08.2019
Cover des Buches Das Licht in deinen Augen (ISBN: 9783328600787)

Das Licht in deinen Augen

 (5)
Erschienen am 23.09.2019

Neue Rezensionen zu Tommi Kinnunen

Cover des Buches Wege, die sich kreuzen (ISBN: 9783328104681)
schnaeppchenjaegerins avatar

Rezension zu "Wege, die sich kreuzen" von Tommi Kinnunen

100-jährige Familiengeschichte, in der die Spannung zu früh vorweggenommen wird
schnaeppchenjaegerinvor 6 Monaten

Maria arbeitet Anfang des 20. Jahrhunderts als Hebamme in Finnland und ist eine selbstbewusste Frau, die sich bewusst für ein Leben als alleinerziehende Mutter entschieden hat. Ihre Tochter Lahja ist Fotografin und sehnt sich später nach Liebe und Geborgenheit in einer Partnerschaft, die ihr Ehemann Onni ihr nicht geben kann. Er kämpft mit seiner Krankheit und seinem schlechten Gewissen und möchte zumindest ihren drei Kindern ein guter Vater sein. Kaarina kommt mit der Gefühlskälte und rückständigen Art ihrer Schwiegermutter Lahja, die sie ihr Leben lang siezen wird, nicht zurecht. Das Leben unter einem Dach, das Onni mit eigener Kraft gebaut hat, ist von Konflikten geprägt. Erst nach dem Tod ihrer betagten Schwiegermutter kann Kaarina das Geheimnis der Familie ihres Ehemannes lüften und eine Erklärung für das Verhalten und die Sprachlosigkeit finden.

Tommi Kinnunen erzählt eine 100-jährigen Familiengeschichte, die spannender klingt, als sie tatsächlich ist.

Der Aufbau und die Schilderung aus verschiedenen Perspektiven der Generationen, wobei die Erzählung nicht stringent chronologisch erfolgt, sondern der/ die Leser/in immer wieder Jahre zurückversetzt, ist schon fast der interessanteste Aspekt der Geschichte. Details der Familiengeschichte, die aus einer Perspektive nur angedeutet werden, werden erst durch einen anderen Blickwinkel klarer und erzeugen ein facettenreicheres Bild über die Charaktere.

Das Familiengeheimnis wird dennoch zu früh gelüftet, weshalb die Geschichte an Spannung einbüßt und viele rein nebensächliche Episoden dagegen zu ausführlich beschrieben werden.

Die Familie lebt zusammen in einem Haus, das jedoch so groß ist, dass jeder seinen eigenen Raum beanspruchen kann und sich die Wege der Familienangehörigen kreuzen und mehr neben- statt miteinander leben. Eine offene Kommunikation ist unter diesen Umständen erschwert. Die Geschichte ist von Enttäuschungen und Unzufriedenheit geprägt, auch wenn durch kleine Gesten auch Hoffnung und Zeichen von Verantwortung durchschimmern, die über ein bloßes Verwandtschaftsverhältnis hinausgehen.

Cover des Buches Das Licht in deinen Augen (ISBN: 9783328600787)
S

Rezension zu "Das Licht in deinen Augen" von Tommi Kinnunen

Bewegend
Sarangevor 4 Jahren

Tommi Kinnunen ist ein Autor, der sich trefflich darauf versteht, die offenen und heimlichen Abgründe in familiären Beziehungen zu sezieren. Sensibel beobachtend, in poetischen Bildern und doch auch immer wieder scharfen Schnitten wird offengelegt, wie Menschen einander daran hindern, glücklich zu leben. Hoffnungsschimmer bleiben rar in dieser Familie oder sind nicht von Dauer. Immer wieder musste ich an Tolstois Sätze aus "Anna Karenina" denken: "Alle glücklichen Familien gleichen einander. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich." Was macht es mit Menschen, wenn sie Kriege überlebt haben, aufgrund von Behinderungen nicht ernstgenommen werden, ein halbes Leben lang von missgünstigen Schwiegermüttern unterdrückt werden, ihre sexuellen Neigungen verheimlichen müssen und doch einfach nur ein normales, zufriedenes Leben führen wollen? Jedes Leben hier ist von Leid geprägt, das oft vermeidbar gewesen wäre, jede Generation gibt einen Teil ihrer unbearbeiteten Traumata an die nächste weiter, jede/r versucht auf seine oder ihre eigene Weise, ein Zipfelchen Lebensglück zu ergattern, das einem dann oft genug aus den Händen gerissen wird oder aufgrund eigener Fehler wieder entgleitet. Mich haben die Geschichten der Figuren sehr bewegt und traurig gestimmt, weil dieses viele Unglück so oft von den direkten Mitmenschen ausging und aus Neid, fehlender Toleranz anderen Lebenskonzepten gegenüber, übersteigerter Dominanz, fälschlich angenommener Ohnmacht oder purer Angst erwuchs, wo Zuwendung, Liebe, Offenheit, Fürsorge und Akzeptanz vonnöten gewesen wären. Bruchstücke von all diesen Figuren sehe ich in meinem Umfeld und verneige mich vor Kinnunens Talent, diese Wesenszüge in seinen Figuren zu bündeln, zu schärfen und immer wieder zu erwartbaren oder überraschenden Explosionen zu bringen. Viele Kapitel dieses Romans habe ich verschlungen und meine Umwelt nicht mehr wahrgenommen.  In anderen wiederum zogen sich die Beschreibungen von Gefühlen, Orten oder Tätigkeiten für meinen Geschmack zu lang hin.


Mein Hauptkritikpunkt jedoch, der mich daran hindert, dem Roman viereinhalb oder fünf Sterne zu geben, liegt in der für mich kaum nachvollziehbaren Häufung von Sprüngen zwischen den Strängen um Helena und Tuomas, die beide auch in ganz unterschiedlichen Lebensaltern gezeigt werden, und dies nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern munter durcheinander. Anders, als der Verlagstext es vermuten lässt, handelt es sich bei "Das Licht in deinen Augen" um den Folgeband zu dem ebenfalls sehr berührenden Roman  "Wege, die sich kreuzen", und ohne Kenntnis des Vorgängers, aus dem mir die meisten Figuren bereits bekannt waren, wäre ich verloren gewesen. Man kann das Buch zwar auch für sich allein lesen, dürfte dann aber zum einen Schwierigkeiten haben, die Figuren einander korrekt zuzuordnen und diesen fast pausenlosen Sprüngen zwischen den Generationen und den Lebensaltern der Hauptfiguren zu folgen (man müsste ständig den Stammbaum am Anfang des Buches konsultieren). Zum anderen würde man sich ohne Not des Hintergrundwissens aus dem ersten Roman berauben, das die Worte und Handlungsweisen der Figuren in "Das Licht in deinen Augen" oft erst schlüssig oder zumindest nachvollziehbar macht. Auch umgekehrt würde man die im zweiten Band der Trilogie angebotenen Erklärungen für Wendungen aus dem ersten Roman, die dort offen blieben, gar nicht als solche auffassen. Ich rate also dringend dazu, zuerst "Wege, die sich kreuzen" zu lesen, bevor man zu diesem Roman hier greift.


Ungeachtet dieser Kritik bleibt dieses Buch, ebenso wie sein Vorgänger, für mich ein beeindruckendes Werk, das seinen Figuren in ihren jeweiligen historischen Zeitfenstern so nahe kommt, dass ihre Nöte und Schmerzen spürbar werden und man beinahe die Schreie hören kann, Familie und Gesellschaft bitte anders zu leben, besser, menschlicher.


Ich bin sehr gespannt auf den dritten Teil, der in Finnland unter dem Titel "Pintti" offenbar bereits im Jahr 2018 erschienen ist.

Cover des Buches Das Licht in deinen Augen (ISBN: 9783328600787)
Buecherschmauss avatar

Rezension zu "Das Licht in deinen Augen" von Tommi Kinnunen

Fortsetzung einer Familiengeschichte
Buecherschmausvor 4 Jahren

„Das Licht in deinen Augen“ des finnischen Autors Tommi Kinnunen ist die Fortsetzung des auch in Deutschland sehr erfolgreichen Familienromans „Wege, die sich kreuzen.“ Aber auch ohne diesen zu kennen (mir ging es so) kann man das Buch ohne Probleme lesen. Am Ende wird man sich aber wünschen, auch die Vorgeschichte zu kennen.


Heimat der Familie Löytövaara ist das kleine Städtchen Kuusamo im Nordosten finnlands, in dem auch der Autor Kinnunen zur Welt kam, und das gar nicht weit von der russischen Grenze entfernt liegt. „Lopotti“ wird der Teil, in dem die Familie lebt, im Roman genannt, als russisches Dialektwort für „Abgelegenes  Dorf“ und gibt dem Buch im Original auch den Titel. Und doch ist es für Lahja, die Mutter bzw. Großmutter ganz wichtig nicht aus Lopotti zu kommen, der abgelegenen Häusergruppe, wo nur verrufene Frauen wohnen. Ihr Leben, das ihrer Mutter, der Hebamme Maria Tuomela und ihres Mannes Onni bilden zwar so etwas wie die Grundlage von „Das Licht in deinen Augen“, sie werden im Vorgängerbuch behandelt, aber die Geschichte von Helena, Lahjas Tochter und Tuomas, dem Enkel, lässt sich auch ohne dieses Vorwissen gut nachverfolgen.


Helena wurde kurz vor dem Zweiten Weltkrieg geboren und ist blind. Sie ist die Ich-Erzählerin eines Teils der Kapitel und mit ihr geht der Text weit zurück in die 1940er Jahre und überlappt sich dort mit den Geschehnissen in „Wege, die sich kreuzen“. Ein wenig erzählt Helena von ihrer Kindheit in Lopotti, ihrem kleinen Bruder Johannes, der großen Stiefschwester Anna, der kalten, schwierigen Mutter, der geliebten, pragmatischen Großmutter und dem unglücklichen Vater, der nach Aufenthalten in der Psychiatrie irgendwann Selbstmord (weil er seine Homosexualität damals nicht leben konnte) beging. Von dieser Vorgeschichte wird so viel angedeutet wie nötig, aber große Neugier darauf bleibt der unkundigen Leserin.


Der Hauptaugenmerk liegt auf der Zeit, nachdem Helena wegen ihrer Blindheit auf eine spezielle Schule im 800 Kilometer entfernten Helsinki geschickt wird. Sie ist neun Jahre alt und für sie ist ihr Weggehen erzwungen, ein Verrat der Eltern. 800 Kilometer waren zu der damaligen Zeit noch eine kaum häufiger zu bewältigende Strecke. Motto der Schule ist: Bloß nicht als Blinde auffallen! Und so verweigern sie ihren Schülern beispielsweise den weißen Langstock. Eine harte und einsame Zeit für Helena. Sie erzählt, wie sie später Kari kennen und lieben lernt. Wie sich sein Traum von eigenen Kindern zerschlägt, wie die Ehe darunter leidet, wie er sie schließlich für eine sehende Frau und gemeinsame Kinder verlässt.


Sehr sensibel und empathisch schildert Tommi Kinnunen in „Das Licht in deinen Augen“ von einem Leben ohne Licht, von einer Welt der Gerüche, der Geräusche, des Tastens, der abgezählten Schritte. Eine Welt, der durch die Sehenden eine Menge Hindernisse, Widerwillen, sogar Hass entgegengesetzt wird.


Wir begleiten Helena bis ins hohe Alter und bis in den Tod. Der zweiten Teil der alternierend gesetzten Kapitel erzählt nämlich von Tuomas, ihrem Neffen. Dieser ist eines der vier Kinder von Helenas Bruder Johannes. Dieser hat mit seiner Frau Kaarina das Fotogeschäft der Mutter übernommen, auch wenn beide im hohen Norden nicht wirklich glücklich sind und Kaarina mit den Anfeindungen Lahjas zurechtkommen muss. Tuomas entdeckt, dass er wie sein Großvater Onni homosexuell ist. Nicht zuletzt, um das vor der Familie zu verbergen und es gleichzeitig ausleben zu können, geht er nach dem Abitur zum Studieren nach Turku. Es sind die Achtziger und Neunziger Jahre, auch die finnische Gesellschaft ist noch nicht offen für Homosexualität, gerade auch im Finanzwesen, in dem Tuomas nach dem Studium beruflich Fuß gefasst hat. AIDS taucht als neue Bedrohung auf. Es dauert lange, bis Tuomas sich zu outen traut und in Osku einen festen Partner findet.


Die Geschichten von Helena und Tuomas und der Familie Löytovaara sind nicht streng chronologisch angeordnet. Es kommt immer wieder zu Zeitsprüngen, Rückgriffen, Erinnerungen, Träumen. Man kann dem aber sehr gut folgen. Als Gemeinsamkeit haben Helena und Tuomas das „Anderssein“, die Verschiedenheit von der Menge, die beide dazu bringt, von Zuhause fortzugehen.


„Es gibt zweierlei Menschen, solche, die gehen, und solche, die bleiben. Diejenigen, die gegangen sind, sehnen sich immer nach dem Ort zurück, von dem sie sich losgerissen haben. (…) Diejenigen, die geblieben sind, verändern sich so langsam, dass sie selbst den Wandel nicht sehen. Nur die Weggegangenen merken bei ihren Besuchen, dass die Kindheit nicht mehr existiert.“


„Es ist anstrengend, nur für eine einzige Eigenschaft bekannt zu sein.“


sagt Helena einmal. Es geht auch um die Zerbrechlichkeit von menschlichem Glück, um enttäuschte Hoffnungen und um Einsamkeit. Als feste Konstante im Leben bleibt aber für Beide die Familie.


„(…)die Familie ist etwas, wovon man sich nicht trennen oder getrennt werden kann. Sie hält hartnäckig zusammen, kommt zu Besuch und hört zu.“


Dabei ist die Familie durchaus keine Idylle oder ein Hort des Glücks.


„Mutter hat diese Familie zusammengeschweißt, allerdings nicht durch Liebe. Sie verstand es, diejenige zu sein, der man gemeinsam aus dem Weg ging und misstrauische Blicke zuwarf.“


Gegliedert ist der Roman in drei Teile, deren recht kurze Kapitel mit Zitaten aus bekannten finnischen Schlagern, Kinder- und Kirchenliedern überschrieben sind. Der Anhang gibt darüber Auskunft, der deutschen Leser*in dürften sie wenig sagen. Vorangestellt als Prolog ist ein anrührender Brief eines Vaters an sein ungeborenes Kind. Von welchem Vater des Buches er stammt kann man nur erraten.


Tommi Kinnunen schöpft in „Das Licht in deinen Augen“ erneut aus dem Fundus seiner eigenen Familiengeschichte, wie er das bereits mit „Wege, die sich kreuzen“ tat. Da sind noch einige Lebens-Linien offen. Vielleicht können wir uns noch auf ein Buch über die Familie Löytövaara freuen.

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