Der 1925 in Oklahoma geborene und 2008 in New Mexico verstorbene Tony Hillerman besuchte acht Jahre lang ein Mädchen-Internat für Native Americans, war ausgesprochen vertraut mit Kultur und Religion der Navajos, studierte Journalismus und arbeitete zuerst als Journalist und dann als Dozent für Journalismus. Er war was man gemeinhin einen ausgewiesenen Kenner der Navajo bezeichnen würde, und trug als solcher viel dazu bei, die indianische Lebens- und Denkweise populär zu machen. Eine Stimme also, die in unseren Zeiten der Verwirrung, wo einige besonders laute Desorientierte fordern, nur ein Indianer dürfe für Indianer sprechen (und Gustave Flaubert sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen müsste, um als Autor von Madame Bovary von diesen Leuten – möglicherweise – akzeptiert zu werden), die nötiger ist denn je.
Ein toter Navajo im Staub der Black Mesa, der nächtliche Absturz eines Kleinflugzeugs vor dem Low Mountain – dies der Auftakt zu Dunkle Winde. Wobei, und es sind solche erhellenden Sätze, weswegen ich hauptsächlich Bücher lese. „Das machte den Reiz des Fliegens aus: die Gefahr, die Herausforderung, die Geschwindigkeit, das Gefühl, steuerndes Hirn einer tadellos funktionierenden Maschine zu sein.“
Das abgestürzte Flugzeug, vermutet das FBI, war mit Drogen aus Mexiko unterwegs; Jim Chee von der Navajo-Police, der sich in der Nähe befunden hatte, wird zum Verdächtigen – einfach, weil er in der Nähe gewesen war, sich zur Absturzstelle begeben hatte und seine Spuren überall zu sehen waren. „Und dann fiel ihm ein, dass mal jemand gesagt hatte, nur ein wenig zu wissen, sei gefährlich – eine Wahrheit, die auf das Spurenlesen vollauf zutraf.“
Anscheinend war der Absturz nicht auf technische Gründe zurückzuführen, sondern auf Sabotage. Die Schwester des Piloten trifft zusammen mit einem Anwalt vor Ort ein, der versucht Jim Chee in seine Dienste zu nehmen.Parallel zu dieser Geschichte wird noch eine zweite erzählt, die von einem Windrad handelt, das ständig sabotiert wird. Oder hängen die beiden Vorkommnisse miteinander zusammen ….?
Dunkle Winde ist nicht nur ein gut erzählter Krimi, sondern macht einen auch mit der Welt der Navajo bekannt bzw. ihrem Glauben an Zauberei und Hexenspuk. Die Details, die Jim Chee über den toten Navajo erfährt, lassen ihm keine Zweifel. „Was man sich über den Hexenspuk auf der Black Mesa erzählte, war mehr als das übliche Geschwätz. Tatsächlich war ein Hexer am Werk.“
Bei der Black Mesa handelt es sich übrigens nicht um eine schwarze Hochebene, sondern um „ein riesiges, nahezu menschenleeres, wild zerklüftetes Gebiet von der Grösse und Kontur Connecticuts.“ Übrigens: Die eindrücklichen Landschafts- und Wetterbeschreibungen machen nicht nur einen wesentlichen Reiz dieses Kriminalromans aus, sondern illustrieren auch sehr schön, dass die Naturgewalten weit mächtiger sind als wir Menschen.
Verletzung von Weiderechten, eine Schlägerei – Jim Chee hat zu tun. Als er einen Mann aufsucht, der des Diebstahls verdächtig ist, aber nur dessen Mutter antrifft, erklärt ihm diese, ihr Sohn könne das nicht gewesen sein, denn er habe Geld gehabt, worauf ihr Chee erklärt, dass bei den Weissen auch Leute stehlen, obwohl sie es gar nicht nötig haben. „Mrs Musket sah ihn ungläubig an. Sie konnte sich das einfach nicht vorstellen.“ Gewisse Kulturen sind schlicht inkompatibel.
Tony Hillerman hat mit diesem Buch auch eine Sozialreportage geschrieben, die unter anderem die Arroganz der Weissen um Umgang mit den Indianern vorführt – wie etwa die Drogenfahnder, die ohne jegliche Beweise Jim Chee nicht nur beschuldigen, ein Drogenhändler zu sein, sondern handgreiflich werden.
Dunkle Winde klärt nicht nur über die nordamerikanischen Indianer und deren Verhältnis zu den Weissen auf, sondern macht auch deutlich, dass es zwischen den einzelnen Stämmen – genau wie bei den Weissen – grosse Differenzen bzw. Feindseligkeiten gibt. „Die tiefe Abneigung zwischen Hopi und Navajo hatte nur zum Teil einen realen Hintergrund, gründete ansonsten aber in uralten Kampflegenden.“ Auch darin sind die Rothäute den Weissen, den Schwarzen, Braunen und Gelben ähnlich.
Ihre Werte hingegen sind andere. So ist den Navajo die Rache unbekannt. „Bei den Navajo galt: Wer Grundregeln des Zusammenlebens verletzte und jemandem Leid zufügte, war ‚ausser Kontrolle‘ geraten. ‚Dunkle Winde‘ waren in ihn gefahren und hatten seinen Gerechtigkeitssinn zerstört. Man ging solchen Leuten aus dem Weg, machte sich Sorgen um sie und freute sich, wenn sie von dem Bösen genasen und zum hozro zurückfanden.“
Fazit: Eine faszinierende Einführung in eine fremde Welt, die dazu einlädt, sich mit den eigenen Werten auseinanderzusetzen.