Rezension zu "Unsere verborgene Natur" von Tristan Gooley
Tristan Gooley ist der „Sherlock Holmes der Natur“, der „natural navigator“, der Menschen die „Zeichen der Natur“ näherbringt. Es gibt „Erstaunliches“ zu erfahren über Wolken, Gräser, Bäume, Tiere, Wasser, Sonne, Mond, Sterne, indigene Völker und Geheimdienste. Ja, das ist eine komische Aufzählung. In etwa so komisch, wie das anekdotenhafte, unzusammenhängende Aneinanderreihen von Beobachtungen, wie es Gooley in „Unsere verborgene Natur“ macht.
Das Anliegen Gooleys ist dabei erst einmal sehr interessant. Und der Untertitel verspricht es ja auch: „Wie wir unser angeborenes Gespür für die Natur wiederentdecken.“ Und wer viel in der Natur unterwegs ist, der findet es ja schon spannend, wenn wir „wieder“ angeblich „Honig hören, die Himmelsrichtung fühlen, die Dämmerung riechen“ können. Die Versprechungen sind jedenfalls recht groß. Allerdings bleibt es weitestgehend auch bei den Verheißungen. Gooleys Grundannahmen liegt fast ausschließlich Daniel Kahnemans „Schnelles Denken, Langsames Denken“ zugrunde. Ein stereotyp US-amerikanisch populärwissenschaftliches Buch zu Intuition und analytischem Denken. Kahneman hält man ja schon nur schwer aus. Ein klassischer terrible simplificateur, der ähnlich wie Yuval Noah Harari komplexe Zusammenhänge dermaßen reduziert, dass sie „allgemeinverständlich“ sind. Dabei die Phänomene aber solchermaßen simplifiziert, dass da nur noch wenig dran stimmt. Die Grundaussage von Kahneman und Gooley kann man dann auch unspektakulär so zusammenfassen: Was man nicht weiß muss man analysieren, was lange dauert. Wenn man es analysiert hat und damit (kennen)gelernt hat, muss man es eben nicht mehr langwierig analysieren, sondern es wird schnell als Wissen bereitgestellt. Potzdonner. Das kann man dann als „angeboren“ verbrämen, ändert aber nichts an der Tatsache, dass es sich dabei um einen schlichten Lernprozess handelt.
Alles ist mit allem verbunden – irgendwie
Vieles ist dabei durchaus interessant. Wie kann man anhand von Gräsern oder Tieren die Himmelrichtung bestimmen – nicht das man es jemals bräuchte, aber man könnte es – und was sagen Licht und Schatten aus. Worauf können bestimmte Düfte hinweisen, was bedeuten die unterschiedlichen Windrichtungen. Und unzählige weitere „Zeichen“ wie sie Gooley, immer wieder esoterisch angehaucht, anführt. Dabei ist die ganze Zeit unklar, worauf das hinauslaufen soll. Es gibt keine Struktur, keine Zusammenhänge. Die Aufzählungen sind vollkommen beliebig aneinandergereiht, was den Lerneffekt gen null treibt. Drei Seiten später, weiß man schon nicht mehr, was das eine mit dem anderen eigentlich zu tun hat. Und das bei einem Autor, der sich verschrieben hat, die Zusammenhänge der Natur erklärbar zu machen. Vielleicht hätte er sich erst einmal über die Zusammenhänge in seinem Buch klar werden sollen.
Mit genügend Geduld und dem Willen immer wieder zurückzublättern, wäre dieses Problem aber sicherlich in den Griff zu bekommen. Aber ein Problem wiegt noch weitaus schwerer und lässt mich am Gehalt der Äußerungen Gooleys in Gänze zweifeln. Nämlich immer dann, wenn ich nicht mit staunendem Blick lese, was es alles (Banales) zu entdecken gibt, sondern wenn ich selber ganz gut darüber Bescheid weiß.
„Das Schwanzwedeln eines Hundes ist nicht wie allgemein angenommen ein Zeichen für Freude, sondern kann als Begrüßung gedeutet werden oder als Zeichen dafür, dass der Hund weiß, er hat Gesellschaft.“
Das ist eine durchaus gefährliche Halbwahrheit. Um es mal mit Martin Rütter zu sagen:
„Wenn zum Beispiel der Körper beim Wedeln ruhig ist, und der Hund dabei den Kopf leicht absenkt und sein Gegenüber fixiert, zeigt die wedelnde Rute lediglich die Aufregung des Hundes kurz vor einem Angriff.“
Wenn Gooley mir also bei so etwas einfach recherchierbarem Dingen wie dem Rutewedeln des Hundes, gefährliches Halbwissen vermittelt. Wie ist es dann, um die anderen Informationen und Zeichen bestellt?
Alles kann man deuten – irgendwie
Ein weiteres Beispiel sind wieder Hunde, denen Gooley einen Jagdtrieb andichtet, der stärker ist, als alles andere. Dabei lässt er die unterschiedlichen Hunderassen vollkommen außer Acht. So als wären alle Hunde Jagdhunde. Damit nicht genug, behauptet er, dass sich Hunde von der Jagd keinesfalls abrufen lassen würden. „Im Eifer der Jagd blenden sowohl Raubtier als auch Beute den Rest der Welt aus, bis sie vorbei ist.“ Der zivilisierte Hund hat mit einem Raubtier nichts gemein, außer vielleicht vor zehntausenden Jahren die gleichen Vorfahren. Und Hunde lassen sich selbstverständlich von der Jagd abrufen. Das kann man ihnen beibringen (und sollte auch jede*r Hundebesitzer*in tun). Auch beim Prellspringen stellt er eine Deutung als die einzige Deutung dar. Nur damit es zu seinen Zeichen und Deutungen passt. Das empfinde ich als unseriös. Es entsteht der Eindruck, als würde Gooley nur den sprichwörtlichen Hammer haben, der alle Probleme zu Nägeln macht. Und wer aus Wespen „stechende Viecher“ macht, mag offensichtlich auch nur ausgewählte Aspekte der Natur und nicht das Leben als solches.
Damit nicht genug, hat Gooley einige fragliche Moralvorstellungen, die mir den Spaß am Buch ebenfalls verleiden. Den Umgang des Menschen mit der Natur beschreibt er als „nicht gerade die gewissenhaftesten Hüter der Erde.“ Uff. Ok, das hätte ich anders genannt. Jagen findet er toll und spannend: „die Kunst der Jagd an sich ist erstaunlich und sollte geschätzt werden“ oder „Man könnte sagen, dass die Jagd eine der höchsten Kunstformen ist, ganz egal, wie unpopulär dies heutzutage sein mag.“ Wenn das Zeichen deuten nur darauf hinausläuft, empfindsame Lebewesen zu töten, verzichte ich freiwillig darauf. Gooley zitiert ernsthaft einen Forstwirt mit den Worten:
„Die Erfahrungen, die ich an solchen Orten mit dem Wild teile, rufen in mir einen tiefen Respekt und auch eine Art von Bedauern hervor, doch all diese Gefühle verstärken meine Liebe für das ganze System. Ich spreche mit dem Wild, ich träume von ihm und ich esse es…“.
Da fällt es auch kaum noch ins Gewicht, dass Gooley auch ganz gerne Geheimdienstmitarbeiter schult. Kann man alles machen, muss ich aber nicht mögen.
Letztlich ist es eine stellenweise lehrreiche aber in Gänze dann doch sehr ermüdende Lektüre, bei der nichts wirklich hängenbleibt, da die Informationen allzu beliebig platziert werden.
Am Ende befindet sich ein äußerst umfangreicher Literaturapparat, wobei ich mich frage, inwiefern die Bücher tatsächlich Eingang gefunden haben. Zahlreiche Angaben konnte ich im Text jedenfalls nicht wiedererkennen.