Tuvia Tenenbom

 3,7 Sterne bei 36 Bewertungen
Autor*in von Allein unter Juden, Allein unter Deutschen und weiteren Büchern.

Lebenslauf

Tuvia Tenenbom, 1957 in Tel Aviv geboren, stammt aus einer deutschjüdisch-polnischen Familie und lebt seit 1981 in New York. Er studierte u. a. englische Literatur, angewandte Theaterwissenschaften, Mathematik und Computerwissenschaften sowie rabbinische Studien und Islamwissenschaften. Er arbeitet als Journalist, Essayist und Dramatiker und schreibt für zahlreiche Zeitungen in den USA, Europa und Israel, darunter für DIE ZEIT. 1994 gründete er das Jewish Theater of New York. Zuletzt erschienen die Bestseller Allein unter Deutschen (2012), Allein unter Juden (2014), Allein unter Amerikanern (2016), Allein unter Flüchtlingen (2017) sowie Allein unter Briten (2020).

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Tuvia Tenenbom

Cover des Buches Allein unter Juden (ISBN: 9783518466841)

Allein unter Juden

 (13)
Erschienen am 11.07.2016
Cover des Buches Allein unter Deutschen (ISBN: 9783518466599)

Allein unter Deutschen

 (8)
Erschienen am 07.06.2015
Cover des Buches Allein unter Amerikanern (ISBN: 9783518467343)

Allein unter Amerikanern

 (3)
Erschienen am 10.10.2016
Cover des Buches Allein unter Flüchtlingen (ISBN: 9783518467589)

Allein unter Flüchtlingen

 (4)
Erschienen am 06.03.2017
Cover des Buches Allein unter Briten (ISBN: 9783518469996)

Allein unter Briten

 (2)
Erschienen am 17.02.2020
Cover des Buches Gott spricht Jiddisch (ISBN: 9783518473351)

Gott spricht Jiddisch

 (2)
Erschienen am 19.11.2023
Cover des Buches Fett wie ein Turnschuh (ISBN: 9783492305365)

Fett wie ein Turnschuh

 (1)
Erschienen am 14.04.2014
Cover des Buches Fett wie ein Turnschuh (ISBN: 9783492966214)

Fett wie ein Turnschuh

 (0)
Erschienen am 14.04.2014

Neue Rezensionen zu Tuvia Tenenbom

Cover des Buches Gott spricht Jiddisch (ISBN: 9783518473351)
K

Rezension zu "Gott spricht Jiddisch" von Tuvia Tenenbom

Der Inside Report aus Mea Shearim und Bnei Brak
Krajewskyvor 5 Monaten

„Nu weiße Bescheid,“ sagte der rasende Reporter Horst Schlemmer immer. Und das denken wohl viele, nachdem sie Serien wie ‚Stiesl‘, ‚Un-Orthodox‘ und ‚Rough Diamonds‘, die türkische Produktion ‚Der Club‘ oder ‚Die Schweigers‘ gesehen haben. Jetzt kommt allerdings der Inside Report von Tuvia Tenenbom dazu, der Vorurteile weder bestätigen noch widerlegen möchte. Der umtriebige Theatermann, der gerne wochenlang auf den Bestsellerlisten von ‚Der Spiegel‘ verweilt, in den USA, Israel und Deutschland ein gefeierter Autor ist, hat sich mit seinen eigenen Wurzeln beschäftigt. Er recherchierte und schrieb als investigativer Journalist und Reporter über Antisemitismus in verschiedenen Ländern und stets berichtete er in seinen Büchern über diverse Spielarten des Judenhasses – ein hochaktuelles Thema. Sein neues Buch geht eher über Semitismus, könnte man sagen, über das jüdische Sein im Lande seines Ursprungs.

Back to the roots   - die postmodernen Erzählungen der Chassidim 2.0
 Auch Tuvia sollte einst Rabbiner in der chassidischen Community werden. Es war ihm quasi in die Wiege gelegt worden. Seine Vorfahren stammen aus Polen/Ukraine und hatten einen eigenen Hof, so werden die selbsternannten Amtssitze der Wunderabbis bis heute genannt. Und davon gibt es eine Vielzahl von sich zum Teil widerstreitenden Traditionen. Die chassidischen und heredischen Rabbis halten bis heute buchstäblich Hof mit vielen tausend Anhängern. Tuvia meint nun, dass diese Rabbis ihren Anhängern oft fast wichtiger erscheinen als ‚Gott‘ selbst. Der Name Gottes besteht übrigens aus vier hebräischen Buchstaben (Tetragramm) in den heiligen Texten und ihn umgibt ein Geheimnis. Er wird im (orthodoxen) Judentum nicht ausgesprochen, sondern die Gläubigen sprechen schlicht von ‚Adonai‘ (Herr) oder ‚Ha Shem‘, was zu Deutsch einfach nur „Der Name“ heißt. Das tun sie immer, wenn sie im Gebet sind, oder über Gott sprechen. Es sind abgeschlossene Welten, in Vierteln, zu denen kaum jemand Zugang findet, ähnlich wie bei den Amish und Hutterern in den USA. Übrigens ist bei ganz Frommen in Israel Hebräisch als Alltagssprache verpönt, denn die heilige Sprache darf nicht im Alltag profanisiert werden. Also sprechen alle, die es von klein auf kennen, lieber Jiddisch miteinander …

Nur Tuvia Tenenbom (TT) hat Zugang zu diesen Communities, weil er Jiddisch spricht und in diesen Gemeinschaften bis zu seiner Jugend in Bnei Brak in Tel Aviv und Mea Shearim in Jerusalem lebte. Obwohl er sich äußerlich völlig gelöst hat, als junger Mann in die USA ging, dort studierte und diverse Universitätsabschlüsse machte, u.a. in Bildender Kunst, Dramaturgie und Geisteswissenschaften sowie Gründer und Leiter von The Jewish Theater of New York geworden ist, blieb er innerlich ein Chassid, wie er gerne sagt. TT und seine Ehefrau sind polyglott, die Sprachen Hebräisch, Arabisch, Jiddisch, Englisch, Deutsch etc. sind ihnen Schlüssel zum Verständnis anderer Geisteswelten.

Wer Martin Buber „Die Erzählungen der Chassidim“ gelesen und verstanden hat, weiß worum es geht. Die verschiedenen Höfe der Chassidim haben eigene Traditionen herausgebildet in der Bukowina und Galizien, den heute z.T. im Krieg umkämpften Gebieten. Chassidismus ist eben die Popularisierung der Kabbala, die als mystische Geheimlehre aus dem 13. Jahrhundert in der Provence durch Isaak den Blinden entstand und im 17. Und 18. Jahrhundert in Osteuropa neu erstand. Diese charismatische Bewegung im Judentum setzt ganz auf die permanente Gegenwart des Allmächtigen in der Welt der schwarzgewandeten Gemeinde; ehedem in Gebieten des heutigen Polen und Ukraine, heut in London, NYC, Williamsburg, Mea Shearim und Bnei Brak, und z.T. auch in Mumbay, Berlin und Hamburg. Es wird bei ihnen viel gesungen, gefeiert, gegessen, getrunken, gebetet und auch geliebt.

Wenige wissen, dass es 1648 während des sogenannten Kosakenaufstandes von Bogdan Chmielnicki im damaligen Kampf um die ukrainische Unabhängigkeit, teils auf dem Gebiet der heutigen Ukraine, zu furchtbaren Pogromen gegen jüdische Familien und Einzelpersonen in über 600 Städten der gesamten Region im Krieg gegen Polen-Litauen gekommen war. Erst im Laufe von 100 Jahren danach hat sich die jüdische Erweckungsbewegung der Chassiden (die Frommen) angesichts der Gräber der Ermordeten als eine lebendige und damals sehr zeitnahe Antwort formiert. Die Tradition hält an.

 

Gastfreundschaft im Angesicht der Frommen Jerusalems
Tuvia Tenenbom hat sich für seine Recherchen im Auftrag des Suhrkamp Verlages mit seiner Frau Isi in ein Hotel an der unsichtbaren Stadtgrenze zu Mea Shearim (Hundert Tore) nahezu über ein Jahr eingemietet. Von hier aus startet der extrovertierte Mann zu Exkursionen in seine nähere Umgebung. Er trifft und interviewt alle möglichen Personen und entwirft ein kaleidoskopartiges Bild des ehemals in Osteuropa ansässigen chassidischen Judentums mit seinen vielen Spielarten. In Europa wurden diese Gemeinschaften ausgelöscht durch deutsche Militärs im zweiten Weltkrieg angesichts der von den NS perfide ins Werk gesetzten Ermordung des europäischen Judentums –Terror und Massenmord erreichten sogar auch die jüdischen Gemeinden Griechenlands. Auch TT’s Vorfahren, allesamt fromme Chassiden, sind ermordet worden. Er erwähnt dieses nur einmal im Buch und trägt es wohl wie eine nicht heilende, innere Wunde verborgen mit sich herum. Er lässt diese versunkene, und den meisten unbekannte Welt, wiederauferstehen durch seine vielen Besuche und Gespräche im Viertel. Von überall wird er eingeladen, die Leut kennen ihn von Angesicht und sprechen TT auf der Straße an. Eine Begegnung ergibt die andere, Gottesdienste, Schabbatfeiern, Beerdigungen und selbst die Gerichtsprozesse verfeindeter jüdischer Gruppen, geheime Treffen, nichts lässt der Autor aus.
 Ein arabischer Taxifahrer berichtet, dass er den frommen Frauen als Mann für alle Fälle gilt und den Chassiden kuriose Dienstleitungen erbringen soll, die weit über einfache Taxifahrten hinausgehen…

Viele, viele unbekannte Seiten einer meschuggenen Mischpoke
 Dieses Buch hat viele, viele Seiten und ist voller Humor. Die Lesenden werden mitgerissen und bekommen einen Einblick in die Polyphonie und Vielfältigkeit des Judentums, wie es sie erzählerisch seit Martin Buber so nicht mehr gegeben hat. Es liest sich wie eine sagenhafte Einführung in jüdische Denk- und Lebensweisen für Anfänger, wie für Fortgeschrittene. Selbst vor abstrusen Situationen und Verhältnissen macht TT nicht halt. Er thematisiert öffentliche Prügel, auch Missbrauch – spirituellen und körperlichen, doch das ist nicht sein Fokus. Überwiegen tut die Freude und die manchmal absonderlich anmutende Eigenwilligkeit der Menschen, die er trifft. So gibt es Ultraorthodoxe in Jerusalem, die sind Antizionisten und pinseln „Tod den Zionisten“ an die Wände. Was soll das denn? Sie glauben, dass allein der Messias ein Gemeinwesen ‚Israel‘ am Ende der Zeiten errichten würde und der jetzige Staat ein Fake ist. Manchmal gibt es bei Massenkeilereien zwischen verfeindeten Gruppen auch mächtig auf die Schnauze. Man(n) sieht sich bei Gericht oder? So oder so …

 

 

Musik, Festessen, heilige Texte und Kindheitserinnerungen zelebrieren
 Am schönsten wird es, wenn TT über Festivitäten und das gute Essen schwärmt. Allein die Überschriften der Kapitel machen neugierig, z.B. „Wenn Gott einen Juden liebt, dann findet er auch einen Parkplatz für ihn“. Da heißt es über den begnadeten populären chassidischen Sänger Motti Steinmetz: „Er ist mit einer großartigen Stimme und hoher emotionaler Intelligenz gesegnet. Die Lieder des etwa 30 Jahre alten Sängers im Körper eines 17-Jährigen sind oft in Geschäften und Wohnungen zu hören.“ (S. 206) Das Tonstudio liegt in der Gegend in Tel Aviv wo TT aufwuchs. Dort wuchsen früher Orangenhaine, der Ort war ruhig und hatte ein fast ländliches Flair mitten Jerusalem.

Es sind einige der schönsten und eindrücklichsten Passagen in diesem Kapitel zu finden. Sie erinnern an literarische Texte geschrieben von Mendele Moicher Sforim: „Ich betrachte meine Umgebung. Ich kann meinen Vater und meine Mutter über diese Straßen gehen sehn. Beide sind nun schon lange tot, aber ich sehe sie vor mir, als würden sie noch leben, … hier ist Chaim Kaniewsky, der komische Kauz, und hier Chaim Grainemann, der mit hoch erhobenem Kopf voranstolziert, während ihm seine 16 Kinder folgen: sie wirken eher wie eine Kongregation als wie eine Familie. Hier ist Rabbi Gedaliah Nadel, ein genialer Rabbiner, der sein Geld mit dem Verkauf von Eiern und weiß Gott was verdient hat. Hier ist Jaakov Arje Alter, der Gerrer, der künftige Rebbe des chassidischen Hofs von Ger, der so schnell geht, als würde er von Dämonen gejagt, mit herunterhängendem Kopf und seinem seltsam baumelnden Mantel. Hier ist der Deutsche, Herr Borer, der Hühner in seinem Hinterhof hielt. Er starb am Coronavirus, wie ich hörte.“ (S. 207)

Auf kafkaeske und leicht mystische Weise schildert TT den Alltag. Kindliche Erinnerung und das Straßenbild des Alltags, dass sich dem erwachsenen TT jetzt aktuell bietet, vermischen sich. Es ist das persönlichste und beste Werk, dass TT bisher vorgelegt hat, es entspricht einer Selbstoffenbarung – im Herzen ein Chassid– im Geist ist er freier und milder als jemals zuvor. Und doch kommt der schreibende amerikanisch-israelische Autor auch immer wieder auf tagespolitische Themen und zitiert auch aus heiligen Gebetstexten der Hebräer:



TT signiert Bücher nach Lesung
mit Diskussion zu „Gott spricht Jiddisch“
am Happy Weihnukka Festival im
Rolf Liebermann Saal (NDR)
 am Abend des 16.12.2023 

Scharen von Engeln oben
Mit deinem Volk Israel unten
Werden dich krönen, Herr unser Gott
Dich dreimal gemeinsam heiligen
Wie von Deinen Propheten verkündet
Und sie rufen zueinander und sagen:
                                                   Heilig, Heilig, Heilig

TT bezeichnet  Greta Thunberg als Messias der neuen intellektuellen Puritaner in den USA zusammen mit Cancel Culture und einer fortschreitenden Asexualisierung durch Gendern in den Gesellschaften im Westen (Seite 446).  Dann zieht er einen Vergleich zwischen Chabad-Anhängern und Christen: „Die Christen haben Jesus, sie [Chabadniks] haben [ihren Rabbi] Schneerson und alle sind glücklich.“ Trotz aller Verrücktheit - Tuvias Figuren, seine jiddischen Leit aus Mea Sharim und Bnei Brak sind liebenswert. Ein lesenswertes Buch mit vielen ungeahnten Einblicken.


Cover des Buches Allein unter Flüchtlingen (ISBN: 9783518467589)

Rezension zu "Allein unter Flüchtlingen" von Tuvia Tenenbom

Rechtsradikale Literatur von Suhrkamp - die AfD wird es gefreut haben
Ein LovelyBooks-Nutzervor einem Jahr

Dem Suhrkamp Verlag muss es wirklich sehr sehr schlecht gehen, denn „Allein unter Flüchtlingen“ ist das Buchgewordene Clickbait. Die Focus-„Nachricht“ im Taschenbuchformat. Tuvia Tenenbom, der Ken Jebsen des Suhrkamp Verlags, hat laut Verlagseigenwerbung eine „provokante, streitbare Großreportage über die neue deutsche Wirklichkeit“ geschrieben. Provokant und streitbar sollte das Buch werden. Das war ganz offensichtlich die Vorgabe. Hauptsache verkaufsfördernd. Egal wie. Deshalb schwärmt der Verlag weiter, sei das Buch „ebenso aufrüttelnd wie erschütternd“. Erschütternd ist lediglich was in Suhrkamp gefahren ist, diesen Unsinn abzudrucken. Im gewissen Sinne ist es dann auch wieder aufrüttelnd, aber nicht so wie es sich Autor und Verlag gedacht haben.

Tenenbom „wollte wissen, was die wahren Gründe der »Willkommenskultur« waren, warum Deutschland ein großes Herz gezeigt“. Wer „Allein unter Deutschen“ von Tenenbom kennt, kennt natürlich auch die Antwort: wegen Hitler. Besser könnte es die AfD auch nicht sagen. Apropos AfD. Laut Verlag hat Tenenbom Frauke Petry „unbequeme Fragen gestellt“. Die muss der Verlag dann aber vergessen haben abzudrucken. Von Unbequem und Kritik kann bei Petry keine Rede sein. Ganz im Gegenteil. Für Tenenbom ist Petry „eine deutsche Lady“, die sich was traut. Und er mag sie. Wie er eigentlich jeden mag, der irgendwie die Jünger hat, die seine Verkaufszahlen erhöhen könnten. Kritische Fragen an den Vordenker der Neuen Rechten Götz Kubitschek? Fehlanzeige. Für Tenenbom ist Kubitschek ein „netter Kerl“. Was ist mit Pegida und Lutz Bachmann? Irgendwelche unbequemen Fragen? Nicht in diesem Buch. Vielleicht wenigstens bei Akif Pirinçci? Ich meine, da ist es ja nun wirklich nicht mehr schwer – mehr Steilvorlagen für ein paar unbequeme Nachfragen, wird man wohl nie bekommen. Also bitte festhalten. Nachdem Pirinçci auf der Straße angefeindet wird, kommt Tenenbom zu dem bemerkenswerten Schluss:

„Junge und alte Deutsche haben nichts Besseres zu tun, als diesen Mann zu verletzen. Als Akif, den Volksfeind, zu verletzen. Ja, so sieht es aus: Er ist der Volksfeind. Ich beobachte, was sich vor meinen Augen abspielt, und denke mir: Gib den Leuten die Gelegenheit, andere zu verletzen und zu demütigen, sage ihnen, Grausamkeit sei eine Tugend, und sie werden zu Tieren. Adolf Hitler hat dieses Rezept ja im letzten Jahrhundert mit Erfolg ausprobiert. Heute wenden es die selbsternannten Humanisten an, und es funktioniert noch immer.“

Kann man ruhig zweimal lesen das Zitat. Tuvia Tenembom, zu dessen Schreibstil grundlegend Demütigung, Abwertung und Polemik gehört, nimmt Akif Pirinçci in Schutz, zu dessen verkaufsförderndem Programm die Demütigung, Menschenverachtung und Menschenfeindlichkeit gehört, vor den „selbsternannten Humanisten“, die sich gegen die Neurechten wehren. Cooler Griff Butze. Dafür gibt es bestimmt die Ehrenmedaille der Identitären Bewegung oder sonst irgendwelcher Neurechter, die die Umwertung und Okkupation linker Begriffe und Ideen betreiben.

„In früheren Tagen verbrannte man in diesem Land Bücher; heutzutage vernichtet man Autoren. Akif hat wirklich Glück, dass die Krematorien derzeit außer Betrieb sind.“

Man muss schon eine besondere Weltwahrnehmung haben, um solche Sätze irgendwie gut, provokant oder gar lustig zu finden. Man kann auch einfach sagen, dass das Bullshit ist.

„Die Erkenntnisse, die er dabei gewonnen hat, sind mindestens ebenso verstörend wie seine Besuche in den Flüchtlingslagern, wo er von beschämenden Zuständen berichtet, deren Auswirkungen nicht nur individuell verheerend sind, sondern in nicht allzu ferner Zukunft die gesamte deutsche Gesellschaft betreffen werden.“ Und da hat der Verlag dann tatsächlich mal Recht. Die „Erkenntnisse“ des Buches sind verstörend. Es ist eine verstörende Wahlwerbung für die AfD. Eigentlich fehlte nur noch ein Danke Merkel!!!11! Da hilft es dann auch nicht, dass es einige wenige Stellen im Buch gibt, die sich tatsächlich mit dem Buchtitel „Allein unter Flüchtlingen“ beschäftigen und die unvorstellbar schlechten Bedingungen in den Unterbringungen und den Lagern aufzeigen. Hierüber zu berichten wäre dringend notwendig gewesen, um aufzuzeigen, dass das neue Deutschland, das gleiche alte hässliche Deutschland ist – wie eh und je. Die (oft ehrenamtliche) Hilfe vieler Menschen wird durch die Strukturen, die die Bundesregierung zur Verfügung stellt, ad absurdum geführt. Und dabei feiern sich die Verantwortlichen in Politik und Medien für Deutschlands neue Macht und neue Verantwortung – und neue Menschlichkeit. Davon ist sowohl Tenenbom als auch Deutschland weit entfernt.

Tenenboms Blick auf die Welt, ist der Blick eines erzkonservativen Libertären. Alles was nicht in das eigene Wertemuster passt, wird abgewertet und lächerlich gemacht. Kein Vorurteil und kein Klischee („typische Vertreter ihrer ethnischen Gruppe“), das nicht bemüht werden würde, um die Lacher auf seiner Seite zu haben. Dabei nutzt er das gesamte Repertoir der besorgten Bürger. Da wird von geöffneten Grenzen schwadroniert, lügende Intellektuelle und Politiker kolportiert, manipulierende Medien („ich bin Teil der deutschen Medien und weiß, wie sie funktionieren“) herausgekramt und von betrügenden und gewalttätigen Flüchtlingen geschwätzt. Und um den Unsinn abzurunden, weiß Tenenbom auch, was in der Welt los ist: „Viel zu viele Muslime [sind] verrückt geworden – so ist das einfach derzeit.“ Gründe und Ursachen spielen bei Polemik doch keine Rolle. Und Recherchen hätten den Zeitrahmen des Buches wohl gesprengt.

Der Rechtsextremismus findet bei Tenenbom allerdings nicht statt. Keine Anschläge auf Flüchtlingsheime, keine Treibjagden, keine Mordversuche. Das hätte wohl dann doch die Käuferschichten dezimiert. Wollte man doch ganz offensichtlich das Sarrazin und Pirinçci-Publikum erreichen. Die kaufen ja offensichtlich jeden Mist. Am Ende halte ich es mit Tenenbom: „Was für eine Zeitverschwendung.“ 

Cover des Buches Allein unter Deutschen (ISBN: 9783518466599)

Rezension zu "Allein unter Deutschen" von Tuvia Tenenbom

Für alle konservativen Wutbürger
Ein LovelyBooks-Nutzervor einem Jahr

„Ich schaue mich um. Wo gibt es etwas Lustiges zu sehen?“ Ehrlicher hätte es an dieser Stelle natürlich heißen müssen: Wo gibt es etwas zu sehen, worüber ich mich lustig machen kann? Aber weiter geht’s: „Direkt vor mir spielt eine Gruppe schwarzer Sänger und Musiker irgendeine afrikanische Musik, das machen sie echt toll. Ihr Rhythmusgefühl ist fantastisch. Einige Weiße lassen es sich nicht nehmen zu tanzen. Ihrem Tanz geht allerdings jede Anmut, jedes Talent ab und ihr Rhythmusgefühl – wenn man davon überhaupt sprechen kann – ist völlig daneben. Eine der Tänzerinnen lacht die ganze Zeit über. Ich habe nie verstanden, warum schlecht Tänzer lachen, während sie wild in der Gegend herumhopsen.“

Was Anmut ist entscheidet natürlich Tuvia Tenenbom. Nicht weil es irgendeine Bedeutung hätte, sondern einfach nur um sich und seine geneigten Leser zu amüsieren. Es ist der Humor des Privatfernsehens, bei dem man sich über jemand anderen lustig macht, weil er irgendwelchen imaginierten und für wichtig gehaltenen Normen nicht entspricht. Es ist der konservative Humor alter Männer, der ausschließlich davon zehrt, sich über andere zu erheben, andere abzuwerten.

Und dann wagt eine Tänzerin es auch noch Spaß zu haben, obwohl das Ästhetikgefühl Tenenboms verletzt wurde. Wie kann man bloß als „schlechter“ Tänzer lachen und Spaß am Leben haben. Unverschämt.

Und damit ist auch das gesamte Konzept des Buches beschrieben. Was nicht in die eigene äußerst konservative Weltsicht passt, was nicht den eigenen Werten entspricht wird abgewertet und lächerlich gemacht. Offensichtlich reicht das einem Großteil seiner Leser. Germanys Next Topmodel und Deutschland sucht den Superstar erfreuen sich ja auch immer noch hoher Einschaltquoten.

Man kann die gesamte Bewertung des Buches auch mit einem Aphorismus beschreiben:


Wenn Peter etwas über Paul erzählt, erfahren wir mehr über Peter als über Paul.


Jede Aussage ist nicht nur einfach eine Sachaussage, sie ist auch immer zugleich eine Aussage über den Sprecher selbst. Über seine Werte und Einstellungen, über seine Weltsicht.

Besonders frappant zeigt sich das bei einer Zugfahrt, die Tenenbom beschreibt. Er sitzt in einem Regionalzug und hat das Fenster komplett geöffnet. „Der Zug fährt los! Die frische Luft strömt herein! Ich bin im siebten Himmel! Doch dann beginnt die deutsche Offensive.“ Unter einer Offensive macht es Tenenbom nicht. Dabei rät er den Deutschen permanent sie sollten sich endlich vom dritten Reich und dem Nationalsozialismus lösen. Nun denn. Deutsche Offensive zieht halt immer. Für keinen Kalauer zu schade. Der deutsche Blitzkrieg besteht aus einer etwa 30jährigen Frau, die ihn bittet, das Fenster zu schließen, weil es zieht. Welch Offensive. „Sie klingt so streng, so fordernd, daß ich ihr einen Kompromiß anbiete: halboffen, halbgeschlossen.“ Denn wo käme ein Tenenbom hin, wenn er nicht die deutsche Offensive wenigstens halbwegs abwehren würde und noch genügend Provokationspotenzial übriglassen würde. Was ist schon Luftzug. Der tut doch keinem weh.

„Anderthalb Minuten später nähert sich eine andere deutsche Dame. Diese hier scheint in den frühen Zwanzigern zu sein, fit und gesund, schön und athletisch.“ Was spielt das für eine Rolle? Bedienen voyeuristischer Begierden der männlichen Leser? „Sie möchte, daß ich das Fenster schließe, denn ‚es ist zu kalt‘. Wo kommt sie her, aus der Sahara? Heute ist einer der heißesten Tage des Jahres. Was stimmt nicht mit ihr? Sie verlangt, daß ich mich ihrem Befehl beuge.“ Und wer wüsste nicht, dass der Deutsche grundsätzlich befiehlt. Und was stimmt eigentlich mit Tenenbom nicht? Es ist dieser egozentrische Blick auf die Menschen, die Tenebom trifft, der das gesamte Anliegen des Buches ins Leere laufen lässt. Das ständige Verallgemeinern, Polemik, Chauvinismus und Zynismus. Die Waffen des schwachen Verstandes. Aber mit der Geste des überlegenen Intellektuellen. Tenenbom ist ein terrible simplificateur – ein schrecklicher Vereinfacher.

Und dabei wäre das Grundanliegen so wichtig gewesen und so einfach zu belegen. Denn im Kern geht es Tenenbom darum aufzuzeigen, wieviel Antisemitismus im Alltag der Deutschen immer noch existiert.

Und dass es davon noch reichlich gibt, belegen zahlreiche Studien Jahr für Jahr. Auch die Protagonisten, die er trifft, sind ja auch zu einem großen Teil genau die Klientel, die einen alltäglichen Antisemitismus leben: nämlich ein grober Querschnitt durch die Gesellschaft. Wir alle müssen uns die tradierten Stereotype bewusst macht, um nicht in alltäglichen Antisemtismus zu verfallen. Man kann sich nicht einfach aus den gesellschaftlichen (Sprach)Zwängen herausziehen.

Insofern ist das Anliegen Tenenboms wichtig und richtig. Und die aufgezeigten Fälle auch durchaus repräsentativ. Aber die Art und Weise wie Tenenbom ignorant und arrogant seinen Gesprächspartnern gegenüber auftritt, ist unerträglich. Nur gegenüber seinen Brötchengebern bei der Zeit schlägt er einen anderen Ton an. Ausgerechnet bei Helmut Schmidt und Giovanni die Lorenzo findet er nicht zu seinem abwertenden Stil. Wie wäre das auch möglich, teilen diese drei doch ganz offensichtlich die gleichen Werte.

Die Zehn Euro kann man sich getrost sparen. Es sei denn man will sich mal wieder köstlich auf Kosten anderer amüsieren.

Gespräche aus der Community

Bisher gibt es noch keine Gespräche aus der Community zum Buch. Starte mit "Neu" die erste Leserunde, Buchverlosung oder das erste Thema.

Community-Statistik

in 45 Bibliotheken

auf 5 Merkzettel

von 1 Leser*innen aktuell gelesen

von 1 Leser*innen gefolgt

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks