Cover des Buches Aufbruch (ISBN: 9783421042637)
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Rezension zu Aufbruch von Ulla Hahn

Rezension zu "Aufbruch" von Ulla Hahn

von jansdarling2002 vor 13 Jahren

Rezension

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jansdarling2002vor 13 Jahren
...aus Hildegard wird Hilla ... Die allgemeinbildende Schule für Hildegard Palm ist abgeschlossen, es wird Zeit, dass sie eine Ausbildung absolviert. Auch wenn es ihr nicht so ganz passt, aber Ihre Eltern kennen da kein Pardon. In der ortsansässigen Papierfabrik darf sie eine Ausbildung als Kaufmannsgehilfin anfangen. Ihre Lehrmeisterin ist eine Kette rauchende ältere Schachtel, die nichts von frischer Luft hält und Hilla als ihre billige Tippse und Arbeitskraft ansieht - ganz entgegengesetzt des Lehrplanes darf Hilla eingehende Briefe ab heften und zur Belohnung auch mal einen Brief abtippen, was Zeit dauert, da Hilla bisher noch keine Schreibmaschine bedient hat. Hillas Lehrmeisterin hat rauchenderweise ein scharfes Auge auf ihre Elevin - vielleicht auch Konkurrentin? - und setzt alles daran, Hillas Arbeit mies zu machen und Selbige somit aus dem Betrieb heraus zuekeln. Ihre Begründung ist: Hilla habe nicht ein Quäntchen Qualifikation ...wie auch, Steno und Briefeschreiben lernt man ja nun mal in der Ausbildung. Man will ihr aber dennoch eine Chance einräumen .... Hilla hingegen soll diese Abneigung ihrer Lehrmeisterin nur recht sein, denn sie fühlt sich weder in dem Büro noch dem Aufgabenspektrum wohl ... Hilla ist gedanklich immer noch bei ihren Büchern und den Dichtern, die ihr mehr Sinn geben als die postalische Firmenablage zu sortieren. . Und noch eine Entdeckung gibt ihr mehr als der Ausbildungsjob in der Papierfabrik: die Perzeption von der Wirkung Alkohol: Underberg wird ihr Freund und auch eine Herausforderung, denn die Beschaffung von eben dieser Geist-beflügelnden "Medizin", ist ein wahres Vabanquespiel, schließlich soll niemand etwas von ihrem neuen Freund erfahren. So kommt es, dass Hilla nicht selten ohne 2 kleine Fläschchen Underberg morgens aus dem Hause geht.... In der Papierfabrik hat es Hillas Lehrmeisterin derweil geschafft, dass man Hilla nicht mehr weiter ausbilden will, was natürlich zu einigem Ärger zuhause führt. Hilla solle sich gefälligst nützlich machen und Geld verdienen so ihre Eltern, die es immer noch nicht nachvollziehen, dass Hilla eine weitere Stufe der allgemeinbildenden Schule besucht hatte. Bei dem Pillenfabrikanten Maternus wird sie nicht mehr eingestellt, da Hilla dort bei ihren Ferienjobs einen Aufstand angezettelt hatte, so versucht Sie es nun bei einem Tubenhersteller. Doch das geht nur kurze Zeit gut, denn Hilla reagiert auf die Tuben stark allergisch ... Was nun? Hilla kann nicht von ihrem Gedanken und Wunsch lassen nach Höherem zu streben und so gelingt es ihr mithilfe der ehemaligen Lehrer an eine höhere Schule - in das laufende Schuljahr - zu gehen. Hilla ist zum Leidwesen der Eltern glücklich ...schließlich hat Sie ja auch noch immer ihren Freund Underberg .. und dank dieser Schule eröffnen sich ihr Perspektiven, von denen ihre Eltern allerdings noch nichts wissen und auch noch nichts von zu wissen brauchen. . Hillas Eltern können es nach wie vor immer noch nicht verstehen, wie man trockenen - und in ihren Augen sinnlose - Bücher, die einen nicht ernähren können mehr Bedacht schenken kann, als wie jeder andere einfache Mensch arbeiten zu gehen, schließlich machen sie es ja auch ..und das verdiente Geld reicht doch gerade eben zum Leben, mehr braucht man doch nicht zum Arbeiten und Leben ... klar manchmal wird es schon eng und in den Kaffee müssten ein paar Getreidekörner mehr hinein gemahlen werden, als sonst - aber daran kann man sich doch gewöhnen .... ein Tochter-Eltern-Kampf beginnt....Meinung / Kritik Aufbruch ist die Fortsetzung von Das verborgene Wort . Aus dem kleinen Mädchen Hildegard ist mittlerweile eine pubertierende - aber immer noch eigensinnig denkende - Jugendliche geworden. Ihre Liebe zu Büchern ist immer noch ungebrochen ... den aufbegehrenden Männern hat sie abgeschworen und sie kämpft immer noch damit, nicht nur das einfache Arbeiterkind zu sein, das tagaus und tagein schuftet, auch wenn ihre Eltern immer noch der Meinung sind, dass das gezieme ihrer Tochter nur eine Marotte ist und Bücher absolut keinen Nutzen haben. Hildegard gefällt nach wie vor nicht das Gebaren ihrer Eltern sowie deren Unverständnis, dass Hildegard gerne weiter auf die nächsthöhere Schule gehen möchte .. ihrer Meinung nach soll ihre Tochter entweder arbeiten und Geld verdienen oder Kinder gebären. Was aber die Wut Hildegards auf die Eltern richtig hochkochen lässt, ist, dass ihr Bruder Bertram ohne Einwände oder Diskussionen auf die höhere Schule gehen darf. . Mit Aufbruch ist der Autorin ein wundervoller Fortsetzungs-Roman , welcher fast nahtlos an Das verborgene Wort anknüpft. Sei es von der Schreib- oder auch Ausdrucksweise, aber auch von der Verfeinerung der Charakteristika . Hier wirkt alles noch viel lebhafter und realer. Auch kristallisieren sich die Entwicklungsstadien eben der Charaktere aber auch vom Allgemeinen her gesehen entwickeln sich die Aspekte - wie z.B. Bauboom, Medizin, Schulen, Elektrizität etc. - sehr gut heraus. Man kann die einzelnen Entwicklungsstadien gut nachvollziehen - selbst wenn man nicht zu den 50er oder 60er Jahrgängen gehört und die Entwicklungsstufen selbst erlebt hat. Durch die teilweise detaillierte aber nicht ausschmückend wirkende Schreibweise bringt die Autorin dem Leser die technischen Neuerungen spielend und eher beiläufig neben der eigentlichen Handlung bei - allerdings ohne das Es aufdringlich oder langweilig wirkt. Gut, man sollte bedenken, dass hier beim Schreiben schon drauf geachtet wurde, dass der Roman authentisch wird - er spielt in den 60ern.. und das war ja die Zeit, wo so einige Entwicklungen Furore machten. Ferner wurde auch die Zögerlichkeit der damals "älteren" Generation in puncto Vertrauen in das Moderne sehr gut herausgearbeitet. Man braucht sich ja auch nur in der heutigen realen Welt umschauen, manche Menschen der früheren Jahrgänge verteufeln noch heute die neuen Sachen. Tja, und da ist es egal, welche Zeit gerade spielt, wenn die eigene Tochter gegen den gewohnten Trott der Eltern aufbegehrt, dann kann das schon – zu damaliger Zeit – skandalös aufgefasst werden. . In glanzvoller Manier bringt die Autorin in angenehmer Ausdrucksweise uns Einblicke in die Seele eines jungen Mädchens, das nicht bereit ist, sich dem Stil der Eltern anzunähern, sondern sich selber ausprobieren und eben auch Gehör finden will. Als Leser taucht man selber in die Figur Hildegard / Hilla ein und meint fast alles selber zu erleben. Selbst die immer mal wieder auftauchenden Passagen in "Dondorfer Platt" sind dem Leser nicht mehr so fremd – Voraussetzung man hat Das verborgene Wort gelesen und dieses sollte man auch als erstes Werk lesen, denn sonst versteht man den Nachfolger Aufbruch nicht – und wenn man sich der Übersetzung etwas unsicher ist, dann kann man noch mal schnell einen Blick auf die Fußnoten werfen, dort sind dann die Passagen entweder komplett oder eben die schwersten Wörter übersetzt. . Manch ein Kritiker beschreibt dieses Werk als "Detailreiches Sittengemälde der Bundesrepublik Mitte der sechziger Jahre, sprachübermütig …" besser kann man das beinah nicht mehr umschreiben … sprachübermütig ? Nun, je nachdem wie man diesen Ausdruck zu deuten vermag, aber meiner Meinung nach ist dieses der perfekte Ausdruck für anspruchsvolle Lektüre , die wohl mal vielen konsumverseuchten die Augen öffnen würde. Früher war es noch verhältnismäßig einfach, über die Runden zu kommen, vieles gab es einfach nicht, da mussten nicht so viele Entscheidungen getroffen werden. Manches wurde gar nicht vermisst, weil die Existenz des Unbekannten nicht bewusst war. Heute gibt es beinah alles, und obwohl man gut die Hälfte nicht zwingend benötigt, will der werbefixierte Mensch alles haben – das betrübt … und genau das zeigt dieses Werk auch auf. . Tja, was soll ich sagen? Für mich war das lesen wieder ein Genuss vom feinsten – hebt es sich doch sehr von manch einer Schmonzette aus der Erzähl-Literatur ab. Klar, das Ende ist ein leicht offenes – je nachdem aus welchem Blickwinkel man die Schlusszeilen betrachtet. Das Ende von Aufbruch lässt dem Leser viel Spielraum um die Fantasie spielen zu lassen, wie es mit Hildegard / Hilla nun weiter geht … auf der einen Seite nicht schlecht, aber auf der anderen Seite möchte man schon wissen, was die Protagonistin später mal macht, wie Sie sich dann selber als Erwachsener zurechtfindet …. Freunde, die anspruchsvolle Literatur lieben, werden mit dem Werk Aufbruch ihre wahre Freude haben, bisherige Leser von Trivial-Literatur ala Patricia Shaw, Hillary Norman oder auch Sarah Lark werden nach meiner Einschätzung sich sehr schwer tun mit dem von mir hier vorgestellten Werk, denn sprachlich liegen gravierende Welten dazwischen. Sprich die anspruchsarmen und farcehaften 08/15-Romane sind doch sehr weit entfernt von diesem sprachlichen und Ausdrucksstarken Diamant. Gerne rufe ich noch einmal meine Anmerkung ins Gedächtnis: Man sollte vorweg Das verborgene Wort gelesen haben, um diesem vorgestellten Werk folgen zu können. . Mein Fazit: berührender Entwicklungsroman um ein Mädchen von den Kinderschuhen bis an die Grenze des Erwachsenwerdens – präsentiert in einem glanzvollen und strukturiertem Stil, der sich nicht nur gut lesen, sondern auch ein wenig zum Nachdenken anregt. Von mir gibt es an dieser Stelle wieder 5Sterne sowie eine Empfehlung.
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