Rezension zu "Als die Lerche nicht mehr sang" von Ulrich Brötz
Ich möchte darauf hinweisen, dass dieses Buch Themen behandelt, die für Leser unter zwölf Jahren meiner Meinung nach definitiv nicht geeignet sind. Wer Probleme mit den Geschehnissen in der deutschen Geschichte im Zeitraum von 1935-1945 hat, sollte dieses Buch nicht in die Hand nehmen. An alle anderen: Viel Spaß beim Lesen der Rezension! Ich hoffe, sie hilft euch bei eurer Entscheidung weiter. Zur Übersicht habe ich verschiedene Aspekte, die ich ansprechen wollte, in Unterüberschriften gegliedert.
Handlung: Die Handlung ist grundsätzlich spannend und gelungen, wobei der Autor jedoch vor einem ganz offensichtlichen Problem stand: einem langen Zeitraum und wenigen Seiten. Zumindest hatte ich als Leserin den Eindruck, denn die Handlung ist nicht so klar und tief einsteigend, wie ich es normalerweise von Büchern gewöhnt bin. Es ist eher so, als wären verschiedene Aspekte herausgepickt worden, die wichtig erschienen, und dann einfach zum nächsten Abschnitt gesprungen, was die Handlung teilweise zu einer Sammlung Kurzgeschichten eines Lebens arten lässt. Dies ist an sich jedoch sehr spannend gemacht und passt auch gut zum Schreibstil, auf den ich im Folgenden noch eingehen werde. Alles in allem ist die Handlung nicht ganz unerwartet, vor allem nicht, wenn man sich mit der Zeit schon etwas beschäftigt hat. Es sind die typischen Elemente für einen solchen Roman eingeflochten, eben die Elemente, die zu einem Roman dazugehören, der größtenteils im Dritten Reich spielt, sprich: Antisemitismus, Rassismus, Ausgrenzung, Krieg, Unterdrückung und hier natürlich vor allem wichtig die Euthanasie. Deshalb sollte es auch nicht überraschend sein, dass es auch zu dem ein oder anderen Todesfall im Laufe der Geschichte kommt, ohne jetzt zu viel zu verraten. Alles in allem würde ich sagen, dass die Handlung die Thematik gut abgedeckt hat, bis zum Einmarsch der Alliierten jedoch nicht sonderlich überraschend war, danach jedoch einige Elemente einfügte, die ich so noch nicht gehört oder gelesen hatte, was noch einmal einen erfrischenden und neuen Abschluss im Vergleich zu anderen historischen Romanen dieser Thematik gab.
Timeline: Wie bereits vorher angedeutet, hat die Story ein ganz entscheidendes Problem: viel Entwicklung über einen langen Zeitraum und dafür relativ wenig Seiten (um genau zu sein 293 auf denen sich die Handlung abspielt). Da sollte es nicht sonderlich verwunderlich sein, dass auf ein altbewährtes Mittel zurückgegriffen wird: die Zeitsprünge. Die wurden hier jedoch so eingesetzt, dass fast jedes Kapitel in sich abgeschlossen ist. Natürlich bauen Ereignisse aufeinander auf und die Zeit verläuft stringent weiter, jedoch gibt es unterschiedlich große Zeitabsprünge zwischendurch, über die man wenig bis gar nichts erfährt. Das hat den Vorteil, dass auf die Details, die dem Autor anscheinend wichtig waren, mehr eingegangen werden kann, jedoch verpasst man dadurch leider auch etwas die Entwicklung der Charaktere, was ich persönlich etwas schade finde, da dies auch besonders spannend zu erleben gewesen wäre. Auch steht man als Leser/in eventuell kurzzeitig vor Orientierungsproblemen, da manchmal nicht genau zuordbar ist, wie viel Zeit im Endeffekt jetzt wirklich vergangen ist bzw. mehr Zeit vergangen ist, als man zu Beginn des Kapitels dachte, was zur Folge hat, dass man das Kapitel im Zweifelsfall noch einmal lesen muss, da es eine Betrachtungsweise aus einer anderen Perspektive erfordert. Auch spielt hier die fehlende sichtbare Charakterentwicklung eine Rolle, die ich im Punkt ,,Charaktere“ aber noch einmal näher beleuchten werde. Vielleicht wäre nächstes Mal ein Datenvermerk wie im Tagebuch für die Leserorientierung von Vorteil.
Charaktere: Die Charaktere sind an sich sehr interessant. Da das Buch sich ja inhaltlich mit dem Themenbereich der Euthanasie beschäftigt, kann man sich vorstellen, dass die meisten der Charaktere so einige Besonderheiten aufweisen, doch zu viel möchte ich hier noch nicht verraten. An sich beschäftigt sich das Buch auch noch mit Begabungen. Vor allem die Hauptfigur, Gustav, weist solch eine Begabung auf. Hier hätte ich mir gewünscht, dass diese vielleicht noch etwas mehr herausgearbeitet gewesen wäre. Aber auf jeden Fall kann ich sagen, dass auf anschauliche Weise verschiedenste Schicksale beleuchtet wurden, was viel Abwechslung in die Geschichte brachte. Gestört hat mich tatsächlich ein bisschen die Charakterentwicklung. Diese wurde durch das sprunghafte Fortbewegen in der Zeit für mich als Leserin schwierig greifbar, teilweise konnte ich sie gar nicht nachvollziehen, da die Charaktere nicht so gehandelt und gedacht haben, wie ich es dem Alter als angemessen empfunden hätte. Hier muss ich aber auch noch einmal ganz klar betonen, dass dies nur meine Wahrnehmung ist und sich das Verhalten von Menschen in den letzten Jahrzehnten sicherlich geändert hat. Und natürlich muss man auch die besondere Situation berücksichtigen, in der diese Kinder groß geworden sind. Für mich persönlich war das Verständnis der Charaktere einfach eingeschränkt, das muss jedoch jeder für sich selbst herausfinden.
Erzählweise: Ulrich Brötz hat einen Schreibstil, der wunderbar zu einem historischen Roman passt. Die Vokabeln sind (aus meiner heutigen Sicht) etwas veraltet und nicht mehr aktuell, wenn, dann hört man sie nur noch bei Gesprächen mit seinen Großeltern (z.B. wird das Wort ,,Bub“ sehr häufig verwendet). Dies erzeugt eine recht altertümliche Stimmung, sodass ich mich gut in die damalige Zeit versetzen konnte. Typische Begriffe aus dem sog. Dritten Reich werden eher weniger verwendet, stattdessen findet hier eine Umschreibung statt. Alles in allem fand ich den Schreibstil passend und anders, allerdings kam so auch eine gewisse Distanz zum Geschehen zustande. Ziemlich interessant ist die Entwicklung im Schreibstil, falls du dich also dazu entscheiden solltest, das Buch zu lesen, achte gerne mal auf die Veränderungen dort. Ein bisschen gestört haben mich die doch recht häufigen Rechtschreibfehler, da teilweise das Verständnis des Satzes und somit auch der Lesefluss beeinflusst wurde.
Setting: Dazu gibt es nicht allzu viel zu sagen. Die Geschichte spielt größtenteils in einer fiktiven Heilerziehungs- und Pflegeanstalt, die jedoch an Anstalten aus der damaligen Zeit angelehnt sind. Im Großen und Ganzen wird hier abgebildet, was man von dem Roman erwarten kann.
Besonderheiten: Das Buch behandelt ein Thema der deutschen Vergangenheit, dass niemals vergessen werden darf. Doch da es sich um eines der düstersten Kapitel der deutschen Geschichte handelt, ist das Buch eher für etwas ältere Menschen geeignet, die sich mit dem Nationalsozialismus schon etwas beschäftigt haben, nicht zuletzt, da es schon sehr spezifisch und detailreich ist und deshalb generelle Kenntnisse zum Thema Euthanasie von Vorteil wären. Wem dieser Begriff noch gar nichts sagt, der sollte erst einmal zu einfacherer Lektüre greifen und sein Wissen durch diesen Historischen Roman danach erweitern.
Für Leser, die sich gerne mit Historischen Romanen aus der Zeit des Dritten Reichs beschäftigen ist dieses Buch auf jeden Fall perfekt!