Cover des Buches Alles, was Sie über »Das Kapital im 21. Jahrhundert« von Thomas Piketty wissen müssen (ISBN: 9783898798846)
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Rezension zu Alles, was Sie über »Das Kapital im 21. Jahrhundert« von Thomas Piketty wissen müssen von Ulrich Horstmann

Umverteilung ist eine politische Droge, die das wirkliche Problem nicht löst

von Dr_M vor 9 Jahren

Rezension

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Dr_Mvor 9 Jahren
Ungleichheit ist eine kardinale Voraussetzung für jedwede Entwicklung. Das ist eine unbestrittene Tatsache. Doch sie zählt bei den meisten Menschen nicht mehr, wenn es um Reichtum und Armut geht. Vergessen sind dann offenbar auch die sozialistischen Wirtschaftsexperimente, die alle in totalitären Regimen endeten, in denen Stillstand, Verarmung und wirtschaftlicher Niedergang letztlich zum Zusammenbruch führten. Merkwürdigerweise reichen diese hinreichenden praktischen Erfahrungen nicht aus, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass Sozialismus in welcher Spielart auch immer zwar theoretisch zunächst für viele Menschen sympathisch klingt, aber dann in der Realität keines der Probleme löst, das ihn in Gedankenspielen so attraktiv macht.

Nun hat der französische Ökonom Thomas Piketty ein umfangreiches Buch veröffentlicht, das im Titel ("Das Kapital im 21. Jahrhundert") mit Karl Marx kokettiert. Piketty versucht mithilfe eines enormen Datenmaterials, das angeblich bis zu Christi Geburt zurückreicht (und zum Teil recht zweifelhaft ist), seine Grundthese zu beweisen. Die lautet: Kapital wächst schneller als die Wirtschaft. Und das würde zunehmend zu Ungleichheit im Besitz führen, was wiederum sozialer Sprengstoff wäre.

Daraus zieht Piketty den simplen Schluss, dass man Kapital extrem besteuern muss, damit sich zwischen den beiden Wachstumsraten ein Gleichgewicht einstellt. Er ist damit der geistige Vater einer Einkommenssteuer von 75% für besonders reiche Menschen, die in Frankreich eigentlich eingeführt werden sollte. Offenbar lässt sich aber aus dem Elfenbeinturm der Ökonomie oder in Parteiprogrammen über eine solche Enteignungspolitik gut reden. Wenn man diese Forderungen dann aber praktisch umsetzen muss, entstehen plötzlich Fragen, die man bei einer theoretisch-naiven Betrachtung irgendwie vergessen hatte zu stellen.

Piketty selbst steht aufgrund eigener Erlebnisse in Rumänien angeblich dem damals real existierendem Sozialismus kritisch gegenüber. Das hindert ihn aber merkwürdigerweise nicht daran, sich zunächst theoretisch auf den Weg in eine solche Wirtschaftsstruktur zu begeben.

Ulrich Horstmann ist es gelungen, Pikettys Buch, das im Original über tausend Seiten umfasst, auf wenigen Seiten zusammenzufassen. Darüber hinaus enthält Horstmanns Büchlein auch noch einige der wesentlichen Kritikpunkte an Pikettys Gedankenspielen.

Kritiker von Piketty beginnen bereits seine Datenbasis und deren Benutzung anzuzweifeln. Der entscheidende Kritikpunkt liegt aber in der tatsächlich unbewiesenen Behauptung über die Divergenz der beiden Wachstumsraten. Schließlich verweisen Pikettys Kritiker auch noch auf die Undurchführbarkeit seiner Lösungsvorschläge, was übrigens Piketty selbst auch glaubt.

Nun kann man nicht bestreiten, dass besonders in den USA der kleine Anteil superreicher Menschen immer reicher wird, während die Einkommen des durchschnittlichen US-Bürgers seit Jahren stagnieren. Eine Besteuerung dieser Superreichen würde daran nichts ändern, außer vielleicht, dass einige Menschen glauben würden, Gerechtigkeit wäre hergestellt. Übrigens haben wenigstens zwei dieser Superreichen ihr Vermögen nicht dadurch erzielt, dass sie Kapital hatten, was sich durch Zinsen vermehrte. Warren Buffett und Bill Gates erzielten dies durch Wirtschaftswachstum. Beide hatten anfangs kaum Kapital. Schon bei einer solchen beispielhaften Betrachtung kommen Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Pikettys Gedankengängen, selbst wenn sie stimmen würden.

Besonders der Fall Microsoft mit Bill Gates zeigt ganz nebenbei ein wesentliches Problem, das zu einer solchen Entwicklung führte. Microsoft ist ein klassischer Monopolist. Auf dem Wirtschaftssegment, auf dem Microsoft agiert, gibt es keinen fairen Wettbewerb mehr. Die Politik, die gerne die Ungerechtigkeit auf dieser Welt beklagt, um daraus für sich eine Aufgabe abzuleiten, hat ihre ordnungspolitischen Hausaufgaben nicht gemacht. Statt den Märkten Rahmenbedingungen zu schaffen, die zu fairem Wettbewerb und einer sozialen Marktwirtschaft führen, werden solche Maßnahmen entweder erst gar nicht ergriffen oder schrittweise seit Jahren wieder abgebaut.

Dies ist ein unter anderem auch ein wesentlicher Kritikpunkt an Pikettys Buch, denn solche Überlegungen spielen bei ihm überhaupt keine Rolle, genau so wie er andere Einflussgrößen einfach ausblendet. Das alles kann man kurz und prägnant bei Horstmann nachlesen.

Auf die Idee, dass die zunehmende Kluft zwischen normalen und exorbitanten Einkommen etwas mit der Konstruktion des Geldsystems zu tun haben könnte, kommt Piketty ebenso nicht. Dass sich die Divergenzen in den Einkommen erst auffallend extrem nach der Abschaffung des Goldstandards des US-Dollars einstellten, ist keineswegs ein historischer Zufall. Das derzeitige Geldsystem fördert die ungleiche Verteilung von Vermögen gleich mehrfach. Bei Horstmann findet man dazu leider auch nur einen kurzen Abschnitt, der mehr eine Frage als eine Erklärung beinhaltet. Das ist sehr schade, denn das Ausblenden der Rolle des sogenannten "billigen Geldes" bei der Entwicklung der Vermögensverteilung in den letzten 40 Jahren ist ein zentraler Kritikpunkt an Pikettys Thesen.

Wenn man sich also über Pikettys dickes Buch in aller Kürze informieren möchte, dann geht dies mit Horstmanns Zusammenfassung recht gut. Anschließend findet man einige wesentliche Kritikpunkte an Pikettys Thesen in ebensolcher Kürze und Klarheit. Leider ist diese Liste nicht ganz vollständig.
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