Ulrich Rüdenauer

 5 Sterne bei 5 Bewertungen
Autor*in von Abseits.

Lebenslauf

Ulrich Rüdenauer, geboren 1971 in Bad Mergentheim, studierte Germanistik und Politikwissenschaften in Würzburg, Heidelberg und Frankfurt. Er arbeitet als Journalist für Zeitungen und Zeitschriften, als Autor und Regisseur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ist als Kulturveranstalter tätig und lebt in Berlin sowie in Süddeutschland. »Abseits« ist sein erster Roman.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Ulrich Rüdenauer

Cover des Buches Abseits (ISBN: 9783949203947)

Abseits

(5)
Erschienen am 17.09.2024

Neue Rezensionen zu Ulrich Rüdenauer

Cover des Buches Abseits (ISBN: 9783949203947)
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Rezension zu "Abseits" von Ulrich Rüdenauer

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Teamplayer ohne Team

Ein Pfiff. Jubelschreie. Verunsicherung. Abseits. Doch war es wirklich Abseits? Nein, darum geht es in Ulrich Rüdenauers Roman nicht. Auch wenn stellen weise das Wunder von Bern eine Rolle spielt.

Der Krieg ist Jahre her, aber noch lange nicht vergessen. Man spricht nicht darüber, nur über die, die in den eigenen (stets verschlossenen) Augen Schuld hatten. Rechtfertigungen sind ebenso präsent wie Verwandte abwesend sind. So wie die Eltern des kleinen Richard. Er wächst in den 50ern irgendwo im Süden Deutschland bei seinem Onkel, seiner Tante und deren Sohn auf. Ein hartes Leben mitten auf dem Land, Arbeit geht vor Bildung. So wird Richard schon mal für den Unterricht entschuldigt, weil er mit anpacken muss. So entgeht er wenigstens der Prügel. Dafür bekommt er emotionale Kälte vom Onkel zu spüren. Einen echten Ausweg scheint es für ihn nicht zu geben.

Wenn Richard einkaufen gehen soll, hat er meist einen Zettel dabei. So vergisst er nicht, was er holen soll. Bei Herrn Adler im Laden und Adam, seinem Angestellten, darf er ab und zu sogar mal mitarbeiten. Nägel und Schrauben abfüllen – kleine Arbeiten. Die ihm allerdings Lob und Anerkennung, zumindest eine Art von Zuneigung einbringen. Das ist für ihn mehr wert als jede Art von Lohn.

Richard spürt, dass er niemals dazugehören wird. Er ist der, der dem Onkel aufgezwungen wurde. Harte Zeiten, in denen man zusammenstehen muss. Muss, nicht will! Das Herumstromern im Wald mit dem Cousin ist in den Sommerferien einen schwacher Sonnenstrahl. Denn am Abend geht es zurück in die familiäre Kälte. Selbst als der Onkel einen Unfall erleidet – er war schlicht und ergreifend unvorsichtig als er das Pferd zu zügeln versuchte – ist Richards emotionales Loch nicht zu füllen. Der Onkel ist körperlich derangiert, Richard ist entsetzt als er ihn erblickt, als er mit in Krankenhaus muss – muss. Doch sein Solitärdasein wird dadurch nicht gemildert.

Ulrich Rüdenauer gelingt mit stringenter Wortwahl der lähmenden Stille der Nachkriegszeit eine eindringliche Stimme zu geben. Er klagt nicht an, Richard ist noch lange nicht so weit sich erheben zu können.

„Abseits“ sollte man sich ins Regal stellen und links und rechts noch Platz lassen für die hoffentlich kommenden Bücher des Autors. Ein Erstling, der derart ohne Getöse unter die Haut geht, ist selten.

Cover des Buches Abseits (ISBN: 9783949203947)
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Rezension zu "Abseits" von Ulrich Rüdenauer

Lesewesen
Auf der Suche nach Zugehörigkeit

1954 in einem Dorf in Süddeutschland, der Krieg hängt den Menschen noch nach, es ist kein Platz für Sentimentalitäten und man möchte vergessen. Die (katholische?) Kirche hat leichtes Spiel mit ihrem Gefasel von Demut und Gnade, von Sünde und Erbarmen. Gottesfürchtigkeit beherrscht die Menschen. Man möchte Absolution, möchte sie verdrängen, diese Mittäterschaft, diese Mitwisserschaft in der Nazizeit. Und dann ist es ausgerechnet ein Kind, das einen täglich wieder damit konfrontiert.
Dieses Kind ist der neunjährige Richard, er wächst bei einem herrschsüchtigen Onkel, einer lieblosen Tante mit den »falschen Geschwistern« auf, die ihn alle täglich spüren lassen, dass er nicht dazugehört.
Ein strenger Lehrer, ein prügelnder Pfarrer, harte Arbeit auf dem Hof, das ist der Alltag von Richard. Er spürt, dass er lästig ist, und versucht möglichst allen aus dem Weg zu gehen. Auch wir Leser spüren, dass seine Anwesenheit die anderen wohl an etwas erinnert, dass sie lieber verdrängen würden. Nur wenige im Ort meinen es gut mit Richard, allen voran sein Großvater, dessen Besuche aber rar sind, der einzige, der in seiner Not da ist, der ihn lobt, aber auch ein Gefangener seiner Zeit ist.

»Wir sprechen miteinander wie einer, der schweigend dasitzt, mit sich selber.« S.75

Ihn könnte er fragen, was mit seinen Eltern geschehen ist. Doch die Zeit hat keinen Platz für Fragen und Richard flüchtet sich immer mehr in die eigene Welt in seinem Kopf.
1954 ist auch das Jahr, in dem die Menschen wieder Zuversicht und Stolz verspüren. Der Fußball-WM-Sieg muss ein einschneidendes Ereignis gewesen sein, vor allem für die Kinder. Da sind plötzlich wieder Ideale, denen man nacheifern kann. Ein Hoffnungsschimmer, der vielleicht auch Richard aus seinem Abseits herausführen kann?

Es ist nicht mein erstes Buch über die kollektive Sprachlosigkeit dieser Generation, die durch ihr Schweigen so tiefe Narben hinterlassen hat. Aber diese 190 Seiten habe ich nicht mal eben so in einem Rutsch durchgelesen. Jeder Satz scheint hier geschliffen und poliert, ließ mich hineingleiten in die Gefühlswelt des kleinen Jungen und dort verankern. Sätze, an denen ich hängenbleibe, die ich erneut lese, die ich nachspüre.
Es sind viele Bruchstücke, die uns der gelegentlich auftauchende Erzähler zusammensetzt, der wohl Richards Geschichte aus dessen Erinnerung aufgeschrieben hat. Auch das ist dramaturgisch mit viel Fingerspitzengefühl eingeflochten.
Aber wie findet man heraus aus so einer brutalen Welt, wo sind die kleinen Lichtblicke, damit man als sensibles Kind nicht daran zerbricht? Ab und zu platziert der Autor kleine Hoffnungsschimmer, die mich die Ungerechtigkeiten in Richards Welt dann doch ertragen lassen.

»Nichts ist vorhersagbar. Nicht das Schlechte. Aber auch das Gute nicht. Das Gute geschieht vielleicht sogar öfter, aber man muss es erkennen, und dann muss man zugreifen.« S.186

Ein Buch, das mich inhaltlich und sprachlich zutiefst berührt hat, dass ich kaum Worte dafür finde. Jedes Wort, jede Szene, ja selbst das Cover – alles verbindet sich auf meisterhafte Weise zu einem fühlbaren Ganzen, denn auch die »Stuppacher Madonna« auf dem Einband hat eine tiefe Bedeutung für Richards Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Doch das solltet ihr selbst lesen.
Ein wunderbares Debüt, das ich aus ganzem Herzen weiterempfehle. Ich hoffe, in Zukunft noch viel von dem Autor zu lesen.

Cover des Buches Abseits (ISBN: 9783949203947)
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Rezension zu "Abseits" von Ulrich Rüdenauer

MarcoL
Momentaufnahmen im Leben eines geduldeten Kindes. Sprachlich grandios!

Richard wächst bei Onkel und Tante auf einem Bauernhof in der Nachkriegszeit auf. Er ist geduldet, wurde in die Schar seiner Nicht-Brüder aufgenommen. Von Liebe keine Spur. Auch von seinen Eltern weiß Richard nichts, es wird auch nicht darüber geredet.
Sein Onkel ist ein sehr strenger Mann, arbeitsam wie alle am Hof und äußerst gottesfürchtig, sowie das ganze Dorf, am Rande zur Stadt, die in einer Stunde zu Fuß erreicht werden konnte.
Richard lernt langsam, ist aber bemüht. Er liebt seine Fibel, mit der er, wenn es die Zeit erlaubt, auf die Wiesen und in den Wald flüchtet, um zu lesen.
Einzig sein Großvater ist ihm wohlgesonnen. Dieser taucht allerdings nur sporadisch auf, hatte sich ein kleines Haus gekauft, als der den Hof an seinen Sohn übergab. Manchmal steht Großvater mitten in der Nacht an Richards Bett. Und Richard beruhigt sich wieder, wenn es ihm schlecht geht. Und dann ist Opa auch schon wieder verschwunden. Auch die Nachbarin Jolanda hat stets ein Lächeln für Richard übrig, und ist genauso flüchtig wie sein Großvater. Gerade noch hier, dann schon wieder verschwunden.
Der Lehrer ist sehr streng, aber auch etwas einsichtig mit den „Bauern“. Der Pfarrer hingegen ist ein Monster, der seine Macht allen gegenüber brutal ausübt. Besonders bei den Kindern, wenn es um den Schulunterricht geht.
Triggerwarnung für den Roman: Szenen mit expliziter Gewaltausübung an Kindern.

S.48: „Er brauchte jedes einzelne, um mit ihm seine Gemeinheiten treiben zu können. Fehlte eines, waren seine Quälereien weniger wert. Weniger Publikum, weniger Züchtigungsobjekte“.

Auch der Onkel war von seiner Bigotterie zerfressen.


S.49: „Ob die Kinder schreiben oder lesen oder rechnen konnten, das war nicht entscheidend. Aber beten, das mussten sie lernen; und sich klein machen vor Gott und seinen Vertretern auf Erden […]“.

Ist Richard mal alleine im großen Haus, so treibt ihn die Neugier um. Er inspiziert so manches Zimmer, oder einen Schrank. Und er wird fündig, beginnt sich Fragen zu stellen über seine Eltern …und auch handeln, trotz seines noch zarten Alters.
Der Autor beschreibt in wunderbaren Sätzen die Geschichte von Richard. Es sind Momentaufnahmen über einen kurzen Zeitraum. Richard, sehr eingeschüchtert, langsam sprechend, entdeckt, dass es da noch mehr gibt in seiner kleinen Welt außer Arbeit und Prügel. Die Art und Weise, wie uns Rüdenauer an Richard heranführt, ist sehr beeindruckend. Jeder Satz ist ein kleines prosaisches Wunderwerk. Einfühlsam werden Menschen und Umgebung gezeichnet, besprochen, uns näher geführt. Man lebt und leidet mit Richard mit, freut sich über seltene, kleine Lichtblicke, und ärgert sich über die Ungerechtigkeiten wie am eigenen Leib erfahren.
Der Autor beschreibt Szenen, wie sie möglicherweise tausendfach geschehen sind, über die wir schon oft gelesen haben, und dennoch der Faszination einer neuen (wenn auch grausamen) Erfahrung erliegen.

Einen wunderbaren Satz möchte ich noch gerne zitieren:
 S.186: „Nichts ist vorhersagbar. Nicht das Schlechte. Aber auch das Gute nicht. Das Gute geschieht vielleicht sogar öfter, aber man muss es erkennen, und dann muss man zugreifen.“


Der Titel „Abseits“ ist nicht nur ein Begriff aus dem Fußball, der im Roman auch seine Berechtigung hat.
 Sehr gerne gebe ich eine absolute Leseempfehlung für diesen wunderbaren Roman. Auch die Aufmachung des Buches ist Buchdruckkunst vom Allerfeinsten.

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