Cover des Buches Der Angriff (ISBN: 9783593394664)
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Rezension zu Der Angriff von Ulrich Schäfer

Argumente, die keineswegs zwingend sind

von Dr_M vor 9 Jahren

Rezension

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Dr_Mvor 9 Jahren
Am 26. Februar 1993, so lesen wir in diesem Buch, explodierte eine Bombe in der Tiefgarage des New Yorker World Trade Center. Ramzi Ahmed Yousef wollte den Nordturm auf den Südturm stürzen lassen. Aber das misslang, weil die Bombe nicht vollständig hoch ging und falsch platziert war. Knapp zwei Jahre später flog auf den Philippinen eine Terrorzelle auf, die vorhatte, mehrere Flugzeuge auf dem Weg von Asien in die USA in markante Gebäude auf amerikanischem Territorium stürzen zu lassen.

Angesichts dieser Tatsachen und 9/11 kann man sich schon fragen, ob die amerikanischen Geheimdienste nicht Eins und Eins zusammenzählen können oder ob hier in Wirklichkeit andere Zusammenhänge bestehen. Der Autor dieses Buches jedenfalls meint, dass die USA sich schlicht und einfach zu sehr in Sicherheit wiegten. Er hält 9/11 für einen Wendepunkt in der Geschichte und stellt ihn auf eine Stufe mit der Schlacht von Waterloo, dem Attentat von Sarajevo oder dem Fall der Mauer.

Die islamistischen Terroristen von Al-Kaida haben, so der Autor, einen teuflischen Plan. Sie wollen den Westen ausbluten und ihm dasselbe Schicksal bereiten, das der Westen dem einstmals real existierenden Sozialismus bescherte. Und dieses Kalkül scheint aufzugehen, wenn man den Argumenten von Ulrich Schäfer folgt.

Ohne jeden Zweifel ist es ein großes Verdienst des Autors, dass er die tatsächlichen Pläne von Al-Kaida einem breiteren Publikum erläutert und sie mit Dokumenten dieser Bande belegt. Allein schon deswegen ist sein Buch sehr lesenswert.

Stellt man die "Kosten" die Al-Kaida aufbringen muss, um den Terror zu finanzieren, allein den direkten Mitteln gegenüber, die der Westen zu seinem Schutz dagegenstellt, dann entsteht in der Tat ein krasses Missverhältnis. Doch der Autor macht Al-Kaida darüber hinaus auch noch für alle Wirtschaftskrisen nach 9/11 direkt mitverantwortlich.

Seine Argumentation läuft so: Die US-Notenbank musste die Finanzmärkte nach 9/11 mit Geld fluten, um eine Rezession zu verhindern. Dieses Geld führte dann zur Immobilienblase, die wiederum zur Finanzkrise, die danach die gegenwärtige Schuldenkrise verursachte. Dazu kommt noch ein angeblich durch Al-Kaida in die Höhe getriebener Ölpreis, der die Wirtschaft zusätzlich belastet.

Leider scheint mir diese etwas hysterische Argumentation ganz und gar nicht zwingend zu sein. Sie stellt die Zusammenhänge in gewisser Weise auf den Kopf. Schäfers Schlussweise impliziert, dass es angeblich keine Alternative zur Politik des billigen Geldes der US-Notenbank gegeben hätte.

Und um es auf die Spitze zu treiben: Nach Schäfer mussten amerikanische Geldhäuser nach 9/11 auch Leuten Kredite geben, von denen sie wussten, dass sie dieses Geld niemals zurückzahlen würden. Wegen Al-Kaidas 9/11 wurden diese Kredite verbrieft, verpackt und falsch zertifiziert, um dann in der ganzen Welt eine Finanzkrise auszulösen. Natürlich ist das absurd, und natürlich steht das so krass nicht in Schäfers Buch, aber es ist die Essenz seiner Argumente. Al-Kaida ist im besten Fall ein Katalysator, aber niemals die Ursache für das Desaster, denn die liegt in den USA selbst.

Nach 9/11 überfielen die USA den Irak. Schäfer stellt klar, dass es hier nicht um Massenvernichtungsmittel oder die heimliche Unterstützung von Al-Kaida ging, die es beide nie gab, sondern allein um die Vorherrschaft über das irakische Erdöl. Leider merkt der Autor nicht, dass auch hier seine Argumentation in sich zusammenfällt. Nicht 9/11 führte zur strategischen Überdehnung der USA, sondern der Weltmachtanspruch der westlichen Führungsmacht, den es schon lange vor 9/11 gab. Und eben wegen ihres Machtanspruchs sind die USA in den Irak einmarschiert.

Auch der Niedergang des Dollars begann lange vor 9/11 und folgt der spätestens mit dem Vietnamkrieg beginnenden strategischen Überdehnung der USA. Al-Kaida verschlimmert vielleicht die ohnehin kritische Situation der USA, die jedoch allein von den Amerikanern selbst verursacht wurde. Das vom Autor offengelegte Kalkül von Al-Kaida kann ebenso nur aufgehen, wenn die USA sich diesem Drehbuch fügen.

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn der Autor in seinem Text auch die Medien mitverantwortlich für die ökonomischen Auswirkungen des islamistischen Terrors macht, denn er haut schließlich auch genau in diese Kerbe. Statt einmal die wirklichen direkten Schäden und Verluste rational zu betrachten, malt er ungeheuer schreckliche Bilder möglicher zukünftiger Anschläge. Damit fügt er sich freiwillig in das von ihm geschilderte Al-Kaida-Kalkül ein.

Am Ende seines Textes schlägt Schäfer ein Sieben-Punkte-Programm vor, mit dem wir den Zielen von Al-Kaida entgegenwirken können. Diese Punkte sind: die Entwicklung der islamischen Welt sichern, die Globalisierung sichern, die Warenströme sichern, die Energieversorgung sichern, die Staatsfinanzen sichern, die Finanzmärkte sichern und die Computernetze sichern. Er erläutert seine Vorschläge, die bis auf einige Ausnahmen schlüssig sind, relativ ausführlich. Ich würde noch einen einfachen Rat hinzufügen: Rational bleiben, Al-Kaida nicht künstlich zur Weltmacht aufblasen und Aufwand und Nutzen clever abwägen.

Fazit.
Ein wichtiger Text, wenn man die Ziele von Al-Kaida besser verstehen möchte. Schäfer entkleidet sie ihrer schwulstigen religiösen Rhetorik und zeigt, dass diese Terror-Bande sehr rational und clever vorgeht. Dies kann man von der westlichen Reaktion, wenn sie denn überhaupt Al-Kaida gilt, nicht sagen. Indem der Autor Al-Kaida für die gegenwärtigen Probleme der westlichen Industriestaaten verantwortlich macht, schießt er allerdings etwas übers Ziel hinaus und verdreht dabei leider auch einige Zusammenhänge.
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