Dieses Buch wurde mir
von Bekannten empfohlen und nachdem ich gesehen habe, wie sehr Ulrich Warnke
mit diesem Thema polarisiert - was man vor allem an den vielen gehässigen
Kommentaren und hitzigen Debatten zu Rezensionen auf diversen
Rezensionsportalen sehen kann (*hust* Amazon *hust*) - musste ich es
einfach lesen. Der Autor wagt hier einen mutigen Schritt in ein Streitgebiet
zwischen Wissenschaft und Spiritualität, in dem seit Jahren ein Krieg
zwischen verschiedenen Weltbildern ausgetragen wird. Er polarisiert mit seinen
Thesen weil hier Andersdenkende, die verzweifelt an Übernatürliches glauben
wollen und sich auf jegliche wissenschaftliche Erklärung und Beweise stürzen
auf Skeptiker treffen, die sich nicht einfach durch wenige Seiten Theorien
auf eine andere Denkweise einlassen können und alles, was nicht ins
Schema passt als "Esoterik" abstempeln.
Es ist also
eine wirkliche Mammutaufgabe für einen interessierten Laien, dieses Buch zu
bewerten ohne eine dieser Gruppen vor den Kopf zu stoßen. Für mich persönlich
kann ich festhalten: dieser Versuch, Wissenschaft und Spiritualität zu vereinen
stößt neue Türen auf, regt zum Nachdenken an, stellt das eigene Weltbild auf
den Kopf, ist aber nicht über jegliche Zweifel erhaben. Wissenschaft besteht
aus Spekulationen, ja, sie besteht aber auch aus Beweisen, Versuchen, Irrtümern
und neuen Theorien. So spannend diese Thesen auch sind, müssen sie doch wie
alles was man liest, kritisch hinterfragt werden. Und wer das nicht zulassen
kann (siehe anfeindende Kommentare) ist genauso verbohrt (entschuldigt mir den
deutlichen Ausdruck) wie die Menschen, die nicht aus ihrer Komfortzone denken
wollen.
Nach einem kurzen
Vorwort nimmt sich der Autor 9 Kapitel mit jeweils etlichen Unterkapiteln Zeit
um aktuelle Themen mithilfe der Quantenmechanik zu erklären und uns Theorien
über die Verbindung zwischen Geist (Bewusstsein), Seele (Gefühlswelt) und
Körpermaterie nahezulegen. Die Möglichkeit des "Luziden Träumens"
(Träume, in denen es dem Träumer bewusst ist, dass er träumt, was ihm die
Möglichkeit eröffnet, den Traum nach seinem Wunsch zu gestalten), die
medizinische Wirkung der Meditation, wissenschaftliche Erklärungen von Nahtoderlebnissen
und Jenseitserfahrungen, die Frage um den freien Willen und wie wir uns den Placebo
Effekt zunutze machen können - das sind nur wenige der ultraspannenden Themen,
mit denen sich der Autor in den ersten zwei Dritteln seiner
Ausführungen beschäftigt. Was ist das Ich? Ist Realität wirklich objektiv?
Gibt es eine messbare Zeit außerhalb unseres Bewusstseins? Kann Glaube wirklich
Berge versetzen? Wie ist unser Bewusstsein entstanden? Dies sind Fragen, die
sich wohl jeder schon mal gestellt hat. Viele der "großen Fragen"
muss der Autor natürlich offen lassen, doch mit seiner gut verständlichen
Einführung in die Grundlagen der Quantenphysik ermöglicht er uns eine neue
Blickweise auf die Funktionsweise unseres Körpers, unseres Ichs und des
gesamten Konstrukts, das wir als "Realität" wahrnehmen.
"Ohne Bewusstsein existiert nichts – tatsächlich
überhaupt nichts auf dieser Welt. Alles, wirklich alles, was wir über diese
Welt wissen; alles was unsere Welt ausmacht, alles Erdenkliche ist bis zu
diesem Zeitpunkt immer und ausschließlich über ein menschliches Bewusstsein
gelaufen.
Wenn es kein Bewusstsein gibt, kann auch nicht bewiesen werden, dass es die Welt und das gesamte Universum gibt. Wenn nirgendwo ein Bewusstsein vorhanden ist, gibt es auch keine “Ichs”, keine Umwelt, keine Natur, keine Sonne, keinen Kosmos. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass das Bewusstsein alles erschafft – alles was existiert; alles, was wir über unsere Sinne erfahren; alles was wir erleben; alles woran wir uns erinnern.”
Unschärferelation,
Schrödingers Katze, Superposition - wer sich für das Thema interessiert wird
davon schon mal gehört haben. Viele Schlussfolgerungen der
Quantenphysik laufen dem gesunden Menschenverstand, der Alltagserfahrung,
völlig zuwider, was aber keineswegs meine Faszination dafür mindert. Ulrich
Warnke nutzt viele interessante Experimente zur Veranschaulichung
und untermauert seine Thesen mit Studien, Zitaten von Wissenschaftlern und
Auszügen aus anderen im umfangreichen Register gelisteten Quellen. Leider
störten mich mit der Zeit die vielen Wiederholungen bereits erläuterter
Aspekte, die vor allem der etwas fragwürdigen Struktur der Kapitel
zuzuschreiben sind. Auch die Illustrationen, die teilweise mit eingewebt
wurden, empfand ich als nicht wirklich hilfreich da sie kaum im Fließtext
genutzt wurden. Erschwert wird das Verständnis für komplexe Zusammenhänge zudem
durch das fast vollständige Fehlen anschaulicher Beispiele und durch die
Anwesenheit vieler mathematischer Formeln und medizinischer Fachbegriffe. Als
Abiturientin mit Bio und Chemie Leistungskurs und Psychologie-Studentin bin ich
nicht völlig fachfremd, dennoch ist das Lesen ohne Vorwissen sehr mühsam. Du
weißt nicht, was der Spin eines Elektrons ist? Du weißt nicht, wie ein Neuron
aufgebaut ist oder was sich hinter dem Limbischen System verbirgt? Dann würde
ich von der Lektüre dieses Buches als Einstieg in das Thema eher abraten.
Ein weiterer Aspekt,
der mich an diesem Buch gestört hat, ist das letzte Drittel. Wo sich der Autor
zuvor auf langsame, ausführliche Herleitungen verließ, um unmöglich
erscheinende Theorien glaubhaft zu machen, beginnt er nun,
uns weitgegriffene, unbelegte Behauptungen um die Ohren zu hauen:
"Bewusstsein schafft Realität", "Heilung von
Körpermaterie durch Bewusstseinsprozesse", "Beeinflussung
der Vergangenheit durch Retroset - Intentionen", "Dunkle
Energie und dunkle Materie als Matrix von Geist und Seele" - das ging
mir als Gesamtpaket doch zu weit, vor allem da er seine Schlussfolgerungen
nicht transparent aus zuvor abgeleiteten wissenschaftlichen Prozessen zieht
sondern sie im luftleeren Raum zusammen mit historischen Zitaten von
Wissenschaftlern hängen lässt. Wie genau er von Kortexaktivität und den
thermodynamischen Gesetzen dann plötzlich auf die "Seele"
und die "Verschmelzung mit dem kosmischen Bewusstsein" kommt
erschein mir nicht glaubwürdig und nachvollziehbar genug, sodass ich abgehängt
wurde. Fehlende Belege und fehlende Anschaulichkeit der Herleitungen machen es
Skeptikern leicht, die Spekulationen als "Esoterikgewäsch"
abzustempeln, was als Abschluss dieses interessanten Sachbuchs wirklich schade
ist.
Völlig ratlos hat
mich das Schlusskapitel zurückgelassen. "Die Alchemie weist den Weg"
passt nicht nur gar nicht zum wissenschaftlichen Ansatz der vorherigen Kapitel
sondern wirkt auch wie ein missglückter Versuch, seine Theorien durch
Auszüge aus der Bibel oder Interpretationen von
astrologisch-astronomisch-alchemistischen Symbolen zu beweisen, was aber der
Glaubwürdigkeit des letzten Drittels den Todesstoß verpasst. Wo zuvor
Spekulation, Philosophie, Psychologie, Medizin, Physik, Chemie und
Spiritualität gekonnt ineinander übergingen, blieb am Ende nur ein verwirrtes
Stirnrunzeln.
Fazit:
Ob man nun alles glauben will
oder nicht, sich der wissenschaftlich geprägte Geist, nachdem es nur Materie
und Realität gibt, von einer anderen Denkweise überzeugen lässt, die man gerne
als esoterischen Blödsinn abtun würde, sei jedem selbst überlassen. Fest steht
dass das Buch mir eine neue Blickweise auf die Funktionsweise unseres Körpers,
unseres Ichs und des gesamten Konstrukts, das wir "Realität" nennen
eröffnet und mich mit vielen Anregungen gefüttert hat.
Deshalb gibt es von
mir ganz neutrale 2,5 Sterne.