Notwendige Entschleunigung
Manche Sozialwissenschaftler, u.a. Hartmut Rosa, sehen einen direkten Zusammenhang zwischen einer sich beschleunigenden Welt und der beobachtbar steigenden Zahl von Depressionserkrankungen. „Zeit und Leiden“ werden Somit einem Zusammenhang gesehen, ein „Leiden“, dass nicht nur den einzelnen Menschen betrifft, sondern durchaus spürbare Auswirkungen auf die therapeutische Praxis nimmt.
Dies betrifft „von außen“ einwirkende Faktoren, die „Wiedererlangung von Handlungsfähigkeit“ beim Klienten soll in immer kürzerer Zeit erreicht werden. Fallpauschalen mit festgelegten Zeitrastern standardisieren die Zeit auch zunehmend in der Beratung und gehen allzu oft dabei am Einzelfall vorbei. Mit Folgen unter anderem dahingehend zu beobachten auch, dass „Kurzzeitverfahren“ mehr und mehr hoch in Kurs kommen (allen voran die „lösungsorientierte Kurzzeittherapie“.
Welcher Begriff von Zeit aber liegt all dem zugrunde? Stehen nicht oft nur willkürliche Standardisierungen im Raum?
Dem gesamten Thema der „Zeit und Beschleunigung“ aus Sicht des therapeutischen Handelns wenden sich die verschiedenen Autoren thematisch geordnet im Buch zu. Wobei im ersten Teil des Buches die philosophische und sozialwissenschaftliche Perspektive in Bezug auf Beratung und Therapie gesetzt wird, im zweiten Teil des Buches Konsequenzen der „veränderten Zeitstrukturen“ für die individuelle Lebensführung diskutiert werden und in den beiden abschließenden Teilen die Folgen der Erkenntnisse für das beraterische und therapeutische Feld erörtert werden. Hier ist dann auch der Ort über jene Dinge zu sprechen, welche die „Beschleunigung“ destruktiv durchbrechen, chronische psychische Erkrankungen unter anderem, bei denen in der Spitze deutlich wird, das der Einzelfall eben letztlich nie in standardisierte Verfahren einzupressen ist. Auch die Einlassungen von Peter Fraenkel und Skye Wilson zur „Zeit zu Zweit“ und der darin mitschwingenden Notwendigkeit bei Paarbeziehungen, eben nicht immer „nur“ auf die Zeit zu achten liest sich eindrücklich im Sinne eines wesentlich differenzierteren Umgangs mit der Beschleunigung und der Notwendigkeit, an bestimmten Punkten im Leben tatsächlich eher „Entschleunigung“ einzuüben.
Von besonderem Wert für die therapeutische Praxis ist die durch viele der Beiträge hindurch scheinende Notwendigkeit, die Zeit selbst und den Umgang mit dieser stärker in den Fokus der Therapie zu rücken.
„Zeit gehört zu den stärksten und doch weitgehend verkannten Faktoren, die sich auf die Qualität und Organisation des Lebens eines Paares auswirkt“.
Und was hier für Paare benannt wird, lässt sich in anderen Einlassungen im Buch nachvollziehbar auf die Ebene auch des Individuums herunter brechen. Kapitel für Kapitel lässt sich so einsichtig im Buch nachvollziehen, dass eben die „enorme Zunahme gesellschaftlicher Beschleunigung“ dem individuellen Zeiterleben direkt entgegen steht.
In sachlicher, verständlicher und nachvollziehbar argumentierter Weise binden die Autoren den Faktor „Zeit“ im Sinne einer gesellschaftlich zunehmenden Beschleunigung in seinen Auswirkungen auf Beratung und Therapie, aber auch auf Klienten und Arbeitsformen ein in den Rahmen der Psychotherapie, zeigen schon vorliegende Fakten und deren Folgen auf und bieten zudem vielfach überdenkenswertes, um diese „Zeit“ selbst zum Gegenstand des therapeutischen Prozesses zu machen.