Cover des Buches Das Leben ist manchmal woanders (ISBN: 9783423261616)
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Rezension zu Das Leben ist manchmal woanders von Ulrike Herwig

"Es war doch nur ein Junge"

von Antek vor 6 Jahren

Rezension

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Antekvor 6 Jahren

„Das Leben ist eben manchmal woanders. Und irgendwann kommt es dann auch zu ihnen“


Ulrike Herwig, die mich auch unter allen ihren Pseudonymen schon immer ganz großartig unterhalten hat, hat mich auch dieses Mal mit ihrer leisen, herzerwärmenden Geschichte einfach nur begeistert.


Juni, Gregor und seine Mutter Marlene kommen für zwei Tage zu Besuch. Hoffentlich kennt mich niemand, denkt Achim, als er mit Judith die beiden Gäste am Bahnhof abholt und Gregor mit seiner russischen Schaffellmütze und seinem Poncho, mit dem dieser aussieht wie ein russischer Sherpa, erblickt, zum Glück nur zwei Tage! Ist ihm das fast schon zu lange, bleibt ihm wenig später nichts anderes übrig als sich auf längere Zeit mit diesem anderen Kind zu arrangieren, da Marlene bei einem Unfall schwer verletzt wird und nun er als Onkel und Judith als Tante in der Pflicht sind. Gregor wird vorerst einmal zum Dauergast in der Brunnerstraße und mit dem Jungen ziehen nach und nach auch Lächeln und Leben mit ein, sogar beim letzten Griesgram, der den „Bekloppten“ mehr als argwöhnisch beäugt.


Als Leser begleitet man Gregor. Man lernt die Bewohner und ihr Gerede über den Jungen mit dem großen Kopf, dem seltsamen Verhalten und den komischen Klamotten kennen. Man darf mit Gregor auch mit entwaffnender Offenheit und Direktheit in die Wohnungen und Herzen der Bewohner spazieren und genau das macht das Buch so lesenswert. Eine herzerwärmende Geschichte, die mich an die Seiten gefesselt hat.


Begeistert haben mich auch die unzähligen kleinen Botschaften, die in diesem wundervollen Roman versteckt sind. Nicht nur, dass man sich selbst manchmal das Leben schwer macht, ist hier zu erkennen, auch dass ein nettes Wort und eine freundliche Geste das Leben viel lebenswerter machen, wird mehr als deutlich transportiert. Auch zahlreiche Winks mit dem Zaunpfahl verstecken sich, die mir sehr gut gefallen haben, beim unnötigen Küken Schreddern angefangen, über die unzähligen Regeln, ohne die „Deutsche konfus herumlaufen wie eine Herde Schafe ohne Schäferhund“ bis hin zu, den unzähligen Fernsehformaten, die die Zuschauer für blöde verkaufen.


Der lockere Schreibstil der Autorin liest sich einfach nur herrlich und die Seiten fliegen leider viel zu schnell dahin. Ich konnte unheimlich oft schmunzeln. Die Geschichte hat ganz viel Situationskomik parat, da räumt Gregor schon mal die Spülmaschine und damit den Dreck komplett aus und dann richtig sortiert wieder ein. Auch die Beschreibungen sind so pointiert, dass man sich das Grinsen einfach nicht verkneifen kann. Unheimlich viele originelle Vergleiche machen das Lesen zum großen Vergnügen. Da kann es im Schwimmbad schon mal heißen „Damen zogen gemächlich wie dralle Seekühe ihre Bahnen.“ oder es gibt Hausbewohner mit dem „Fitnesslevel eines herzkranken Flusspferdes“ und einen „griesgrämigen alte Kauz, der öfter Weihnachten feierte, als er lächelte.“, auch ein fetter Kläffer „Eine Art Kreuzung aus Ferkel Sofakissen und Leberwurst“ fehlt nicht. Aber neben dem ganzen Humor hat die Autorin hier eine ganz emotional ergreifende Geschichte parat, die mich ganz oft gerührt hat. Ihr ist es ganz großartig gelungen mich und meine Gefühle total einzufangen.

„Er war doch nur ein Junge.“ Ja das ist Gregor, ein Junge, aber eben keiner von der Stange, sondern ein ganz besonderer. Er kann einfach nicht lügen, da kann es schon einmal heißen, „Da waren sie noch sehr schön. Jetzt nicht mehr so richtig.“. Er hat seine ganz eigene im Grunde genommen, ganz einfache, aber bestechende Logik „Wenn man nicht alt wird, stirbt man jung. Das ist doch schlimmer“ und genau das hilft vielleicht im Alltagstrubel die wirklichen Probleme nicht nur zu erkennen, sondern auch in Angriff zu nehmen. Gregor hat sich ganz schnell in mein Herz geschlichen und ich glaube den Hausbewohnern ging es nicht viel anders. Ganz besonders gerührt hat mich auch Herr Walter, der „Glöckner der Brunnerstraße“ mit dem „Charme einer Kellerassel“, den aber eigentlich „nur“ die Trauer um seine Frau erdrückt. Richtig gelitten habe ich z.B. mit Frau Hoffmann, deren Ehegatte ihr seine Mutter, die nach einem Schlaganfall unerträglich ist, aufs Auge gedrückt hat. Ganz viel zum Schmunzeln hat mir die rumänische Familie Jumanescu mit ihrer „Brut“ geliefert, besonders die Mama mit ihrem „Karten legen?“, was Herrn Walter fast zur Weißglut bringt. Aber auch alle anderen Hausbewohner sind originell, liebevoll ausgewählt und beschrieben, bei Achim, dem die Ordnung über alles geht, angefangen, über Lars den Student, der einfach zu gutmütig ist für die Welt, bis hin zu und Judith, die am Ende verstanden hat, dass Kinder kein „Zinskonto, in das man einzahlt, weil man sich in absehbarer Zeit etwas davon erwartete“ sind.


Alles in allem ein emotional ergreifender Roman, bei dem sich Gregor sofort in mein Herz geschlichen hat und der mir wundervolle, herzergreifende Lesestunden geboten hat. Begeisterte fünf Sterne.

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