Ulrike Titelbachs 2021 erschienener, liebevoll gestalteter Gedichtband Fragile Umarmungen ist der gelungene dichterische Versuch die Welt zu begreifen und dieses Begreifen in Sprache zu bringen. Im Mittelpunkt der in vier Abteilungen geordneten Gedichte steht die Annäherung an einen geliebten Menschen: was aus dem Schlaf herüber reicht – mit meinen bloßen Händen – und dass die Zeit ansteht – Dunkelheit hinters Licht. Vielleicht ist die Widmung für Werner als autobiografischer Hinweis zu verstehen.
Der Titel des Bandes steckt den ambivalenten Rahmen ab, in dem sich Beziehung zwischen ICH und DU immer nur abspielen kann: in der Sehnsucht nach Nähe und Verschmelzung einerseits und im Bedürfnis nach Autonomie andererseits. Überzeugend gelingt Titelbach das unausweichliche Austarieren dieser widerstrebenden Kräfte von Nähe und Autonomie in eine andeutende, zögernde, oft zärtliche, manchmal existentielle Sprache zu bringen.
EINANDER BERÜHREN
ganz. Ohne Spuren zu
hinterlassen. Narben
ein Lächeln höchstens
dann und wann ein Staunen
Orthographische Tricks, unerwartete Zeilensprünge unterstützen das schwierige Vorhaben der Sprachfindung, hemmen notwendigerweise den Lesefluss, spiegeln die Schwierigkeit jeder ICH-DU-Begegnung und beständige Aussagen darüber zu machen. Was hat Bestand? Wie verlässlich und ehrlich sind Berührungen, Umarmungen, Worte?
GERADE.SO ALS HÄTTE ICH
ein Wort
geradeso als wären meine Augen
immer.zu offen
immerzu schwimmen
schweben schreiben
du mein Meer
EIN WORT
Unsicherheit, sich verlieren, schweben. Liebeserfahrungen und ihre sprachlichen Bekundungen erscheinen als unsicheres Terrain, wo alle möglichen Fallen lauern: Täuschungen und Selbsttäuschungen, Projektionen und Wunschvorstellungen, Fragliches:
DANN WECKST DU MICH
und das Wasser ist der Ort
an dem ich mich befinde
ich tauche auf. und doch
wird mir so dunkel. noch
verstehe ich. alle Zeichen
Unüberbrückbare Distanz, Unerreichbares und Unsagbares machen eine Liebesbeziehung erschreckend unergründlich, wenn sie sich nicht auf Routine und Gewöhnung zurückzieht – aber deswegen auch interessant, herausfordernd. Oft bleibt nur ein stammelndes Ahnen, was das ICH, was das DU, was die Beziehung ausmacht. Das tastend reflektierende ICH weiß nicht recht, was es von sich und der Welt halten soll, traut sich selber nicht über den Weg. Sprache erscheint als untaugliches Mittel.
WANN WOLLEN WIR UNS
wieder dann. und wieder
sehen auch. wann
endlich. wann
Wie schwierig erscheint es zum DU vorzudringen und zu ergründen, was sich hinter seiner Oberfläche verbergen mag.
Worte und Namen
sind der oberste Rand
von etwas, das ist
unsere Haut vielleicht
Aber dieses ICH bleibt dran. Sprache als Erkenntniswerkzeug wird trotz ihrer Fragilität nicht aufgegeben und geradezu liebevoll wie ein zartes Pflänzchen gehegt. Wie sonst sollten die Gefühle und ihre Wahrnehmung ausgesagt und ausgetauscht werden? Bei Titelbach geschieht dies aber immer mit Vorsicht und Vorbehalt.
MANCHMAL, DA MÖCHTE ICH
So dünn sein wie ein Blatt
Papier in deinem Buch
versteckt
zwischen zwei Seiten
nur du weißt wo
und was sich dort
verbirgt. Das Blatt
bleibt unbeschrieben
Die tagtägliche Spurensuche darf also weitergehen. Insofern sind die Texte bei aller Skepsis gegenüber Wahrnehmung, Sprache und Erkenntnis optimistisch. Schön, wie die Autorin die psychische und reflektierende Befindlichkeit des sprechenden, oft eher stammelnden ICH wie in zarten Aquarellen zu Papier bringt. Und die fünf Bilder der 1983 in Oberösterreich geborenen Evalie Wagner passen in ihrer andeutenden, ausschnitthaften und geheimnisvollen Art deshalb auch sehr gut in diesen schönen und herausfordernden Gedichtband.