Eco experimentiert
von brudervomweber
Kurzmeinung: Eine facetten- wie voltenreiche Erinnerungsreise in die kultuelle Sozialisation Umberto Ecos, oder schlicht gesagt: Eine Schachtel Pralinen!
Rezension
Ecos Roman ist eine zum Teil biographische Assoziationskette, in der der Protagonist sein nach einem Schlaganfall verlorenes Gedächtnis - seine Identität - wiederzugewinnen versucht. Er faßt allmählich wieder Fuß im Alltag, ohne aber seine Erinnerungen zurückerobern zu können. Er lernt den Menschen, der er selbst gewesen ist, nur aus der Außensicht seiner Mitmenschen kennen. Als ihm das nicht genügt, reist er aufs Land, in das Haus, in dem er seine Kindheit und Jugend verbracht hat. Dort stöbert auf dem Dachboden herum, um die Artefakte seiner Sozialisation in den Zeiten des Zweiten Weltkriegs zu sichten und sein Selbst wiederzuentdecken.
Das Manko der „Geheimnisvollen Flamme" bringt der übrigens wie gewohnt exquisite Übersetzer Burkard Kroeber in seinem kurzen Nachwort auf den Punkt: „In diesem Buch geht es an vielen Stellen um spezifisch italienische Befindlichkeiten, [...] wie sie charakteristisch für Italiener der Generation des Erzählers sind." Wer dieser Generation nicht angehört, wer nicht wenigstens grundlegend orientiert ist über den deutschen Nationalsozialismus, um die Parallelen im Italien des Duce zu erahnen, der dürfte mit diesem Buch wenig anfangen können.
Neben der Reflektion der (bei dem vom Mittelalter Besessenen Eco muß man ja fast sagen: jüngeren) Geschichte und ihrer Spiegelung in propagandistischen und populären Medien der damaligen Zeit demonstriert Eco hier eindrucksvoll seine Sympathie für populäre Kultur und zeigt, wie diese auch die Wahrnehmung der Welt und des Lebens strukturieren und eine in ihr enthaltene euphemistische Propaganda entzaubern kann.
In dieser Hinsicht ist die „Geheimnisvolle Flamme" auch stellenweise ein Kommentar auf eine Reihe von wissenschaftlichen Schriften Ecos zu diesem Thema (man nehme da etwa die Publikation APOKALYPTIKER UND INTEGRIERTE, in welcher Eco gegen ein Schwarz-Weiß-Schema von Hochkultur und Populärkultur anschreibt, in dem mal das eine, mal das andere von den verschiedenen Parteien verdammt oder hochgejubelt wird).
In der Rekapitulation der Mediengeschichte seines Protagonisten wird deutlich, wie beide Lager, Shakespeare und Beethoven auf der einen, Flash Gordon und Sandokan auf der anderen, ineinander greifen und das Individuum emanzipieren.
Ecos illustrierter Roman ist ein Experiment. Er ist kein typischer Eco, wenn man darunter die düstere oder farbenfrohe Inszenierung mittelalterlicher oder rennaissancistischer Befindlichkeiten und Weltanschauungen versteht.
Ich selbst bin mir immer noch nicht im Klaren, ob ich ihn nur gut oder vielleicht doch großartig finden soll. Vermutlich kann man ebenso plausible Gründe vorbringen, den Roman nur mittelmäßig oder sogar gänzlich mißlungen zu finden.
Auch das Lesen der „Geheimnisvollen Flamme" kann man darum wohl als Experiment bezeichnen.