Ursula Fricker

 4,2 Sterne bei 10 Bewertungen
Autor*in von Außer sich, Gesund genug und weiteren Büchern.

Lebenslauf

Ursula Fricker, 1965 in Schaffhausen geboren, hat bisher fünf Romane veröffentlicht, u.a. ihr viel beachtetes Debüt Fliehende Wasser (2004), Außer sich (2012), nominiert für den Schweizer Buchpreis, und Gesund genug (2022). Die in der Märkischen Schweiz bei Berlin lebende Autorin wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt im Herbst 2022 mit dem Georg Fischer Kulturpreis der Stadt Schaffhausen. Für Fangspiele erhielt sie einen Werkbeitrag der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia den Brandenburgischen Kunst-Förderpreis für Literatur.

Quelle: Verlag / vlb

Neue Bücher

Cover des Buches Fangspiele (ISBN: 9783715250366)

Fangspiele

Neu erschienen am 20.03.2024 als Gebundenes Buch bei Atlantis Literatur.

Alle Bücher von Ursula Fricker

Cover des Buches Außer sich (ISBN: 9783858694706)

Außer sich

 (5)
Erschienen am 15.03.2012
Cover des Buches Gesund genug (ISBN: 9783311150756)

Gesund genug

 (2)
Erschienen am 27.07.2023
Cover des Buches Fliehende Wasser (ISBN: 9783866120099)

Fliehende Wasser

 (2)
Erschienen am 01.03.2004
Cover des Buches Lügen von gestern und heute (ISBN: 9783423280730)

Lügen von gestern und heute

 (1)
Erschienen am 22.04.2016
Cover des Buches Das letzte Bild (ISBN: 9783858694003)

Das letzte Bild

 (0)
Erschienen am 20.08.2009
Cover des Buches Fangspiele (ISBN: 9783715250366)

Fangspiele

 (0)
Erschienen am 20.03.2024

Neue Rezensionen zu Ursula Fricker

Cover des Buches Gesund genug (ISBN: 9783715250120)
B

Rezension zu "Gesund genug" von Ursula Fricker

Wann ist Mensch gesund genug?
buchlesenliebevor einem Jahr

„Ein Leben lang hatte in dieser Familie nur eine Rolle gespielt, was Vater wollte. Wir haben nichts gewollt oder nicht mehr gewusst, was wir wollten, oder wir wussten, dass alles, was wir wollten, gar nicht infrage kam“ (S.21)

Rohkost-Ernährung, basische Ernährung, Ernährung nach Anthony Williams, pflanzenbasierte-vegane Vollwertkost, Zucker-, Gluten-, Mais- und Sojafrei, Lichtnahrung, „China Study“, „How not to Die“, „Willst du gesund sein, vergiß den Kochtopf“, „Krebszellen mögen keine Himbeeren“ … wer sich mit gesunder Ernährung befasst, der*dem werden diese sowie viele andere Begrifflichkeiten und Buchtitel rund um die vermeintlich „richtige Ernährungsweise“ vermutlich vertraut sein. Die Liste ließe sich endlos fortführen.

„Wann sind wir denn jetzt endlich mal gesund genug?“ (S.45) – diese Frage stellt sich auch Hanne als Kind oft. Denn in ihrer Familie im schweizerischen Schaffhausen begann das radikale Leben in Verboten, Entsagungen, Kasteiung, Totalität und sozialer Marginalisierung ebenfalls mit einem Buch, das ihr Vater Alwin Tobler eines Tages auf den Tisch legte und zur obersten Maxime der neuen Lebensführung erklärte: „SONNSEITIG LEBEN“ (*vermutlich angelehnt an die Schweizer Zeitschrift „vita sana sonnseitig leben“). Von da an wurden Fleisch, Wurst, Zucker, Kaffee, Zigarettenrauch, Auto- und Fabrikabgase, das Hören von Popmusik und Schlagern, das Ausdrücken von Freude, die Nahrungsaufnahme mit einem Messer, Fluoridtabletten, Spielzeug aus Plastik, das Einkaufen in Discountern und andersdenkende Menschen zu absolutem Gift erklärt.

Doch nun liegt dieser Mann, der sein ganzes Dasein und das seiner Familie rigoros darauf ausgerichtet hat, ein scheinbar gesundes Leben zu führen, im Sterben. Darmkrebs im Endstadium. Scheitern auf ganzer Linie, würde ein Teil von Hanne gern sagen. Doch sie verkneift es sich. Nach langer Zeit der Entfremdung von ihrer Familie, kehrt sie in ihr Elternhaus zurück. Am Sterbebett ihres Vaters werden Erinnerungen wach: an die streng reglementierte Kindheit und Jugend, den Auslandsaufenthalt als Mother´s Help bei der jüdischen Familie Walsh in London, das Beinahe-Abrutschen in eine religiöse Sekte, das Kennenlernen alternativer Lebenskonzepte, an den Versuch eines freien und selbstbestimmten Lebens in Berlin zur Nachwendezeit, an die fortdauernde Suche des „inneren Kindes“ nach Liebe und Geborgenheit. Das Lebensende des Vaters – für die mittlerweile erwachsene Hanne der Auftakt einer tiefen Innenschau und Reflexion. Wer war ihr Vater wirklich? Warum wurde er zu diesem tyrannischen und radikalen Familiendespot? Inwiefern hat das ambivalente Vater-Tochter-Verhältnis ihr eigenes Selbst und ihre Beziehungen zu anderen Menschen geprägt? Woher kommt ihre tiefe Bindungsangst? Kann sie verzeihen und verstehen? 

Vor dem Hintergrund dieser Fragen, die teils nur fragmentarisch beantwortet werden (und vielleicht ist das mein einziger kleiner „Kritikpunkt“ – denn über die Biografie des Vaters hätte ich gern mehr erfahren), hat Ursula Fricker einen äußerst lesenswerten Roman geschrieben, über den ich weiterhin oft nachdenke. Ich mag mich in der literarischen und thematischen Eingrenzung kaum festlegen – eine Mischung aus nuanciertem Milieu- und Familienroman, ein Blick auf die schmerzliche Emanzipationsgeschichte einer jungen Frau, ein leichter Hauch von „Coming-of-Age“, eine literarische Verbindung zwischen privaten und gesellschaftspolitischen Fragen der Gegenwart, ein Buch über Orthorexie und toxischen Gesundheitswahn, tradierte Rollenbilder, über die Gefahr von Absolutismus, Totalitarismus und Radikalisierung im übertragbaren Sinne auf weitere Ebenen, ein literarisches Psychogramm, eine Art Tagebuch über den Beginn einer „Heilung“ in verschiedenen Zeitperspektiven. Wertvoll auch der intertextuelle Hinweis auf die nationalsozialistische Vergangenheit des sogenannten Pioniers der Vollwertkost – Werner Kollath. Auf den 235 Seiten dieses Romans mit dem wunderbaren Cover steckt so unglaublich viel drin, dass es schwer auf einen Nenner zu bringen ist. Große Leseempfehlung! 

 

 

 

 

Cover des Buches Lügen von gestern und heute (ISBN: 9783423280730)
K

Rezension zu "Lügen von gestern und heute" von Ursula Fricker

Die Lügen, die uns formen.
kvelvor 8 Jahren

Inhalt und meine Meinung:
[ Achtung, ich berichte hier teilweise aus dem Inhalt des Romans. ]


Der Roman spielt in einer deutschen Stadt im Jahre 2013. Besitzt also eine gewisse Aktualität; auch vor dem Hintergrund des Flüchtlingsthemas.


Der Roman dreht sich um drei Personen: Beba, Isa und Herrn Otten.
Diese Drei haben erst einmal nichts miteinander zu tun, werden in dem Roman aber geschickt miteinander verwoben.


Sehr gut gefallen haben mir die stellenweise fast schon poetischen Formulierungen der Autorin.
„Ein paar Minuten später war der Wolkenbruch vorbei, die Sonne kam heraus […] dampfte sie die Nässe aus den Wegen ...“ (S. 6).


Aber vieles war in meinen Augen auch ein unnötig verkomplizierter Sprachstil; stockig und (auf den ersten Blick) unzusammenhängend.
Schwierig war es auch, sich in die drei Erzählstränge einzulesen: Welche Person in welcher Situation, in welcher Timeline; denn insbesondere zu Beginn vieler Kapitel ist man als Leser lange im Unklaren, um wen und wann es gerade geht.


Man muss also, meiner Meinung nach, dem Roman Zeit geben und man darf am Anfang nicht gleich zu viel erwarten.


Sehr gut arbeitet die Autorin zu jedem der drei Protagonisten die Lebensumstände und Hintergründe heraus.


Beba:
Sie hat die Armut ihres Heimatlandes und ihre Familie verlassen in der Hoffnung auf ein neues Glück. Gestrandet in Deutschland wird sie in einem Bordell „aufgenommen“. Ihrer Familie schickt sie immer einen großen Teil ihres erarbeiteten Geldes nach Hause. Für ihre Familie ist sie jedoch nur eine bequeme Geldquelle; es werden Briefe über angebliche Krankheiten der Familienmitglieder an Beba geschrieben. Beba ist für sie eher eine Melkkuh, die ihnen in der Ferne lieber ist. So kommt es, dass im Laufe der Zeit das Bordell für Beba mehr ein Zuhause wird und ihr ihre „Kolleginnen“ näher stehen als „ihre Familie in der Heimat“.


Isa:
Tochter aus wohl behüteten Zuhause; entwickelt jedoch das Gefühl sich engagieren zu müssen. So schließt sie sich einer Gruppe Autonomer an, die sich für eine Gruppe Flüchtlinge einsetzen. Als ihre politischen Aktionen nicht die erhoffte Wirkung erzielen, geht sie einen zunehmend radikaleren Weg, was zu einer Ausuferung / Eskalation der Gewalt führt.


Herr Otten, der Innensenator:
Die Antirassismusaktivisten und der Senator stehen (politisch gesehen) jeweils auf der anderen Uferseite. Beide handeln nicht ohne nachgedacht zu haben, sondern weil sie für ihre (politischen) Ideale einstehen; weil sie meinen, ihre eigenen Ideale / Ansichten seien die Richtigen.


Die Quintessenz des Romans:
Die Lügen (= das Wunschdenken) sind es, die uns formten.


Fazit: Sehr gut.


Cover des Buches Außer sich (ISBN: 9783858694706)
W

Rezension zu "Außer sich" von Ursula Fricker

Rezension zu "Außer sich" von Ursula Fricker
WinfriedStanzickvor 12 Jahren

Der neue Roman der in Berlin lebenden Schweizerin Ursula Fricker ist für mich eines der wichtigsten Bücher in diesem Frühjahr. Er hat mich von der ersten Seite an gefangen genommen, berührt und ins Nachdenken gebracht. Sprachlich gekonnt erzählt sie eine Geschichte, wie sie Tausende von Menschen täglich erleben, beschreibt ein Schicksal, das die Öffentlichkeit weitgehend verdrängt, und konfrontiert ihren Leser eindringlich mit der Möglichkeit, dass auch ihm selbst das jeden Augenblick widerfahren kann.

Es ist die von Katja selbst erzählte Geschichte von ihr und ihrem Mann Sebastian. Beide leben und arbeiten sie in Berlin als Architekten, wobei besonders Sebastian immer wieder neue Ideen und Pläne hat, sie teilweise auch umsetzen kann, sich dennoch aber immer wieder als einer, der aus der DDR stammt, unterschätzt und nicht genügend geachtet fühlt. Vor einiger Zeit hat er Katja gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, Kinder mit ihm zu haben, doch das Thema wurde nicht weiter verfolgt.

Es ist Sommer, und Katja und Sebastian brechen zu einem Besuch bei Freunden in Mecklenburg auf, eine Reise, zu der die beiden wenig Lust haben. Doch sie haben es lange schon versprochen. Die beiden geraten in brütender Hitze in einen Stau. Katja verlässt das Auto, um nachzusehen, ob es nicht bald weitergeht. Als sie kurze Zeit später zurückkommt, findet sie Sebastian leblos auf dem Beifahrersitz hängen. Er hat während ihrer kurzen Abwesenheit einen schweren Schlaganfall erlitten.

Ein Hubschrauber bringt ihn in eine Klinik, wo er sofort behandelt wird. Eine sehr starke Hirnblutung hat seinen Anfall verursacht. Wichtige Teile seines Gehirns sind zerstört, das machen die Ärzte Katja gleich deutlich. Sie lässt sich krank schreiben und bleibt über viele Wochen bei ihm. Irgendwann öffnet er wieder die Augen, aber er erkennt seine Frau nicht. Aus einer glücklichen Beziehung und einer befriedigenden Arbeit sieht sich Katja in ein anderes Leben katapultiert.

Wohl um Kraft zu schöpfen, erinnert sie sich immer wieder mitten in dem von der Pflege ihres Mannes bestimmten Alltag an Erlebnisse aus ihrer Vergangenheit. Eine Geschichte fand ich besonders bewegend:
„Ich war zwölf, als in unserem Viertel am Rand der Kleinstadt ein Fuchswelpe überfahren wurde. Über zwei Jahre kam die Füchsin täglich zur selben Zeit zurück zur der Stelle, an der ihr Junges überfahren worden war. Zehn Minuten lang leckte sie den Asphalt. Mitten auf der Straße. Jeder, der im Viertel wohnte, kannte die Füchsin. Man hielt an, man fuhr vorsichtig vorbei, um sie nicht zu stören. Selbst den Jäger rührte das Verhalten des Tieres. Nach menschlichem Ermessen konnte das Blut des Welpen nicht mehr zu riechen sein, auch für eine Fuchsnase nicht. Eines Tages kam sie nicht mehr…“

Mit einer ähnlichen Konsequenz und Hoffnung pflegt auch Katja ihren Sebastian, als er nach langer Zeit aus der Klinik nach Hause entlassen wird. Sie wäscht und windelt ihn, erträgt den dauernden Geruch nach Krankheit und Kot in der Wohnung. Auch nachdem er einen Platz in einem Pflegeheim hat, holt sie ihn jedes Wochenende zu sich, fährt einmal sogar mit ihm ans Meer, immer in dem verzweifelten Wunsch, er möge sich erinnern, irgendein Zeichen von Bewusstsein zeigen. Doch vergebens.

In ihrer inneren Einsamkeit lässt sich Katja auf eine sexuelle Beziehung zu einem Mann ein, dem sie ihre Geschichte verschweigt. Doch bald schon beendet sie diese Episode. Das Pendel zwischen ihrer Hoffnung auf Besserung und der Einsicht, dass sie zu ihrem geliebten Mann nie mehr wieder wird eine Verbindung herstellen können, schlägt immer öfter und mit der Zeit immer heftiger in die Richtung einer immer realistischer werdenden Einsicht in ihr Schicksal, aber auch in das, was sie tun muss.

Und so kommt es nach einer langen Zeit der aufopferungsvollen Pflege zu einem überraschenden Ende, das aber mir als Leser einleuchtete. Zwischen einer leidvollen und hoffnungslosen Gegenwart, die Katja auf eine bewundernswerte Weise bewältigt und einer Vergangenheit, aus der sie sich immer wieder Kraft holt, hin- und herwechselnde Perspektive erzählt Ursula Fricker eine bewegende Geschichte, eine Geschichte, mit der sich jeder von uns von jetzt auf gleich konfrontiert sehen kann.

Das mit einer sensiblen Sprache erzählte Buch fordert seinen Leser heraus. Und es gelingt Ursula Fricker immer wieder, mitten im Leid, mitten in einer trostlosen Aussichtslosigkeit für ihre Protagonistin so etwas durchscheinen zu lassen wie Hoffnung. Und mir fällt Paulus ein mit seinem Hohelied über die Liebe:
„Sie erträgt alles,
glaubt alles,
hofft alles,
hält allem stand.
Die Liebe hört niemals auf.“

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