Rezension zu "FIORENZA DAL VIOLIN: Schicksal eines venezianischen Findels" von Uta Ruscher
Fiorenza hat einen denkbar ungünstigen Start ins Leben!
Als Findelkind wird sie in das Ospedale della Pietà im Venedig des Jahres 1747 eingeliefert, erstversorgt, entlaust, gebrandmarkt, um dann in eine Familie gegeben zu werden, die sich mehr schlecht als recht um sie kümmert.
Ein Leben in Elend scheint vorprogrammiert - wenn da nicht ein Priester gewesen wäre, der Fiorenzas außergewöhnliche Musikalität entdeckt und sie zurück ins Ospedale nach Venedig gebracht hätte!
Dort, im Waisenhaus, einer in Italien enmaligen Institution für elternlose Mädchen mit musikalischem Talent, soll ihre eigene und eigentümliche Begabung gefördert werden.
Dies ist der Beginn eines denkwürdigen Aufstiegs vom Findelkind, das niemand wollte oder gar liebte, bis hin zur im Europa der damaligen Zeit gefeierten Geigerin. Doch ist der Weg dorthin mit Steinen, mancherlei Rückschlägen und persönlichen Tragödien gepflastert...
Ein Roman, der seinesgleichen sucht entfaltet sich vor dem staunenden Leser! Nie zuvor habe ich etwas ähnliches gelesen!
Aus jeder Zeile spricht Musik, sprechen Rhythmen, Cadenzen, Takte, Noten, Melodien, sprechen Besessenheit und Leidenschaft.
Die Sprache wird zur Musik, der man entweder versonnen lauscht oder die noch öfter heftig berührt und erschüttert, und die lange nachklingt.
Wer ist sie, diese Fiorenza, das Blümchen, um nur eine der Bedeutungen des klangvollen Namens herauszustellen? Ein passender Name für das unglückliche, verschlossene Kind, das sich erst allmählich zur vollen Blüte entfaltet, das es trotz mannigfaltiger Widerstände und Niederlagen als auch ihrer eigenen sperrigen Persönlichkeit schafft, der Misere ihrer Kindheit zu entfliehen.
Dabei stehen ihre ebenso unvergessliche Personen prägend zur Seite, allen voran die Maestra der Pietà, Anna Maria, eine Frau mit der gleichen Leidenschaft für Musik, wie sie Fiorenza eigen ist. Eine Frau auch, die lange schon ein Geheimnis hütet, das sie spät, sehr spät, ihrer geliebten Schülerin schmerzvoll enthüllt.
Ja, Anna Maria ist gewiss die zweite Protagonistin des Romans, der wie eine Partitur daherkommt, bereit, sie hinauf und hinunter zu spielen!
Anna Maria ist es auch, die den Leser in vergangene große Tage der Lagunenstadt Venedig entführt, in denen "Il Prete Rosso", der "rote Priester", Violinvirtuose und Komponist Antonio Vivaldi, lebte und seine unvergessliche Musik erschuf. Schicksalhafte Bande verknüpfen ihn mit Anna Maria.
So ist dieser wundersame Roman, dieses feine Gewebe aus Musik, auch in einen historischen Kontext eingebettet und der Leser taucht unversehens in ein Venedig ein, dessen harte Realität wenig zu tun hat mit dem Venedig von heute, mit Urlaubsseligkeit und Gondelfahrten bei Mondlicht unter der Seufzerbrücke. Ein Venedig aber, das dennoch verzaubert ob seiner großartigen musikalischen, architektonischen, künstlerischen Vergangenheit.
Und das gleichzeitig abstößt durch Korruption, Machtmissbrauch und Misswirtschaft der Dogen, die die einst reiche und bedeutende "Serenissima" zugrunde richteten...
Der Autorin Uta Ruscher ist mit ihrer "Fiorenza" ein einmalig schöner und zarter, in jeder Hinsicht bemerkenswerter und hoch anrührender Roman gelungen, der selbst diejenigen, die wenig musikalisch sind und nur schwer den einen vom anderen Ton unterscheiden können, zum Klingen und Vibrieren bringt.
Ein Grund mehr, ihn ohne Einschränkungen weiterzuempfehlen!