Kaum etwas macht die Schizophrenie in diesem Land deutlicher als ein Vergleich zwischen dem medial und selbst inszenierten Macher-Image von Markus Söder in der sogenannten Corona-Krise und der Corona-Realität im Freistaat Bayern. Bayern gehört zu den Bundesländern mit den am meisten positiv Getesteten, gerne absichtlich verwechselt mit "Neuinfizierten". Das hält aber Herrn Söder nicht davon ab, anderen Bundesländern, in denen deutlich bessere Zustände herrschen, fast schon drohend zu erklären, was sie zu tun hätten.
Man fragt sich bei diesem Gehabe, was für ein Charakter hier so selbstherrlich auftritt. Dass dies wahrlich kein Zufall ist, kann man aus dieser Söder-Biografie lernen, die nun (überarbeitet) neu erscheint. Bei Söder, so erfährt man hier, ist nichts Zufall. Wohl deswegen wird er mit diesem Buch schon als Kanzler ins Spiel gebracht, scheinbar noch bescheiden im Schatten stehend, aber in Wirklichkeit schon auf dem Sprung. Man weiß ja nie, vielleicht kommt die Chance früher als gedacht. Und Söder ist gerne gut vorbereitet.
Ähnlich wie bei der Dauerkanzlerin findet man auch bei Markus Söder zahlreiche personelle Kollateralschäden auf dem Weg nach oben. Und auch die Wendemanöver beider sind vergleichbar. Immer dahin, wo die scheinbare Mehrheitsmeinung liegt und wohin die Wegweiser zur persönlichen Macht die Richtung vorgeben. Die echten Populisten scheinen tatsächlich diejenigen zu sein, die anderen genau das vorwerfen. Zu Söder findet man in diesem Buch dafür genügend Belege. Seine Wendemanöver sind aalglatt, geschickt und werden mit dreister Selbstverständlichkeit schmerzfrei vorgetragen. Man muss sie eben nur als Lernkurve darstellen.
Söder ist der geborene Machtmensch: ein stattlicher Mann von überragender Körpergröße, bulligem und gelegentlich cholerischem Auftritt, hervorragender Auffassungsgabe, rhetorischem Talent und einem sicheren Gefühl für Bilder und deren Sprache. Selbst wenn er nicht seine gegenwärtige Macht hätte – einen solchen Menschen möchte man nicht unbedingt zum Feind haben. Dass solche Männer bei Frauen gut ankommen, ist wenigstens bei Psychologen kein Geheimnis.
Als dieses Buch zum ersten Mal erschien, war Markus Söder noch auf dem Sprung zum Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern. Neu ist also nun die Beschreibung des finalen Machtkampfes mit seinem Vorgänger Seehofer und Söders Übergriffigkeit bei der Bekämpfung von Covid19. Den staatsgläubigen deutschen Michel in Angst und Panik zu versetzen, ist offenbar einfach. Da gibt er seine Grundrechte gerne freiwillig ab. Das hat Markus Söder schnell erkannt, und auf dieser Klaviatur spielt er nun, hoffend, dass es ihm wieder einmal in die Karten spielt.
Man kann dieses Buch unter verschiedenen Gesichtspunkten lesen. Einer davon ist, den Charakter von Markus Söder verstehen zu wollen. Um Inhalte geht es in diesem Buch nämlich nicht. Vielmehr verfolgen die beiden Autoren den Aufstieg dieses Politikers und seine dabei angewandten Methoden. Politik scheint für sie so eine Art Game of Thrones zu sein. Jedenfalls schildern sie diese bayerischen Spiele in aller Ausführlichkeit und von der Höhe einer politischen Haltung, die für den deutschen Journalismus inzwischen typisch ist. Dass es nicht um Inhalte geht, liegt allerdings an Söder selbst. Denn da sind, ähnlich wie bei der Kanzlerin keine, die wirklich belastbar wären.
Was vom Menschen Söder dabei herüber kommt, ist auf den zweiten Blick nicht besonders sympathisch. Doch wenn ein Mensch erwiesenermaßen durchsetzungsfähig und ein Anführer ist, dann spielt das in den Augen der Mehrheit offenbar keine große Rolle mehr. Allerdings darf sich ein solcher Mensch keine Fehler erlauben, auch wenn er ein enormes Arbeitspensum, Fleiß, Intelligenz und Ausdauer vorweisen kann.
Söder aber überreizt sein Blatt gerne. Und das macht eine Prognose spannend. Was nun den Charakter Söders anbelangt, so finden sich in diesem Buch zahlreiche, meistens nicht sehr freundliche Aussagen von ehemaligen Mitstreitern, die seinen Weg kreuzten und dies politisch nicht überlebt haben. Sicher muss man solche Aussagen mit etwas Vorsicht genießen. Bei ihrer Vielzahl sind sie jedoch inhaltlich nahezu identisch, was ihren Wahrheitsgehalt recht wahrscheinlich macht.
So findet man allein auf der Seite, auf der man das Zitat der Überschrift findet, noch folgende Aussagen aus dem Beamtenbereich: "Entscheidungen seien … nur auf den politischen Effekt getrimmt." Oder: "Immer werde alles nur nach Pressetauglichkeit bewertet." Oder: "Die Sachkompetenz seines Hauses ignoriert er völlig."
Peter Dilling, ein Mitstreiter aus früheren Tagen, sagt über Söder: "Ich halte ihn für einen skrupellosen Machtmenschen, Intriganten und Opportunisten." Nun, ein Schattenkanzler eben.