Juni 1940: Die Verteidigung der französischen Armee gegen den im Mai durch die deutsche Wehrmacht gestarteten Westfeldzug bricht zusammen. Die Wehrmacht besetzt ganz Nordfrankreich und die französische Atlantikküste. Ein schnell geschlossener Waffenstillstand bewahrt den Süden Frankreichs vor der Besetzung. Für viele vor dem nationalsozialistischen Regime aus Deutschland geflüchtete Menschen, darunter viele Intellektuelle, Politiker, Künstler, Schriftsteller*innen, eine Katastrophe. Sie waren in den Jahren nach 1933 in Paris untergekommen, doch nun gilt es, schnellstmöglich aus der Hauptstadt in die einzige freie Hafenstadt Marseille zu gelangen, um dort die Flucht aus dem besetzten Europa durchzuführen. Da die "Vichy-Regierung" mit den Besatzern kollaboriert, werden ihr Listen von sofort auszuliefernden wichtigen Personen wie unter anderen Lion Feuchtwanger, Hannah Arendt, Franz Werfel, Heinrich und Golo Mann übermittelt. Somit reicht der Arm der Gestapo bis nach Marseille und es wird immer schwieriger, an die notwendigen Ausreisepapiere zu kommen.
In den USA machte man sich seit einiger Zeit Gedanken, wie man den Menschen helfen könnte. Es gelten strenge Einreisequoten. Es gelingt, die Ehefrau des Präsidenten Roosevelt - Eleanor - zu mobilisieren und es kommt zur Gründung des "Emergency Rescue Committee". Dieses Kommittee entsendet für drei Wochen den jungen Journalisten Varian Fry nach Marseille, um dort die Flucht zu koordinieren und direkte Hilfe zu leisten. Aus den drei Wochen werden 13 Monate, in welchen Fry ohne wesentliche Unterstützung seiner Regierung aber dank der Mithilfe des Vizekonsuls Hiram Bingham sowie der schwerreichen amerikanischen Erbin Mary Jayne Gold, die in Frankreich gestrandet war und einigen weiteren Mitstreitern Mittel und Wege findet, an die 2.000 Menschen teilweise auf illegalen Fluchtwegen über die Pyrenäen nach Spanien zu retten.
Der deutsche Autor und Literaturkritiker Uwe Wittstock (*1955) erzählt mosaikartig unheimlich dicht an den Personen, plastisch und spannend die anhand von Briefen, Tagebuchaufzeichnungen, Erinnerungen und Selbstzeugnissen großer Persönlichkeiten wohl recherchierte hindernisreiche Flucht von Paris in die Hafenstadt. In rasch wechselnden Szenarien schildert Wittstock Anna Seghers Flucht mit ihren Kindern zu Fuß nach Marseille, Lion Feuchtwanger landet in einem französischen Internierungslager, Walter Benjamin übergibt seinen letzten Essay an Hannah Arendt... Heinrich Mann hofft seinen Bruder Golo wiederzutreffen aber auch die dramatische Geschichte der Werfels wird erzählt. Man fiebert mit dem US-Amerikaner Varian Fry (1907-1967) mit, dem durch dieses Buch endlich Würdigung zuteil und sein Name vor der Vergessenheit bewahrt wird. 1994 wurde er als einer der "Gerechten unter den Völkern" in Israels Holocaust-Mahnmal "Yad Vashem" aufgenommen, vier Jahre später zum Ehrenbürger Israels ernannt. 2023 nahm sich die Netflix-Miniserie "Transatlantic" dieses bemerkenswerten Mannes an.
Julian Mehne liest dieses fesselnde und wichtige Buch mit seiner eingänglichen und empathischen Stimme so vor, dass man gern noch einem Kapitel lauscht und noch einem Kapitel... Für Geschichtsfreunde eine Lese/Hörempfehlung.