Der Autor Valentin Groebner, Professor für Geschichte des Mittelalters und der Renaissance schreibt in seinem Buch „Retroland“ vom Geschichtstourismus, von unseren Reisen in die Vergangenheit und der Sehnsucht, geraniengeschmückte Altstädte zu bewundern, die vor Authentizität nur so leuchten. Doch was ist echt an Althergebrachtem? Warum lassen wir uns von der Tourismusindustrie täuschen? Gilt es, das Paradies im Vergangenen zu suchen? Diesen Fragen und mehr geht der Historiker auf den Grund – entstanden ist ein humorvoller Reisebericht aus „Retroland“ und der Erkenntnis, dass die Vergangenheit vergangen ist und man diese nicht zurückgewinnen kann. Es bleibt ein Loch, eine Lücke – auch wenn wir noch so sehr danach suchen…
Geschichtstourismus ist keine Erfindung unserer Zeit, sondern wurde bereits vor 500 Jahren von Mönchen entdeckt. Die erste Station der Reiseroute führt ins Piemont, wo wir Sacri Monti mit der Geburtsgrotte Christi und lebensgroßen Heiligenfiguren besichtigen. Natürlich alles Kopien, doch diese Sehenswürdigkeit inmitten italienischer Landschaft vermittelt einen Bezug zu Palästina und lockt Pilger scharenweise an.
Weiter entführt uns der Autor in verschlafene Altstädte, mittelalterliche Kathedralen, die teilweise durch Kriege oder den Lauf der Zeit zerstört und demontiert wurden und nun in neuem alten Glanz erstrahlen – mit Hintergrundgeschichten gespickt, die Touristen nur allzu gerne hören wollen.
„Geschichte, anders gesagt, wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts etwas, was man neu bauen konnte und eigentlich auch neu bauen musste, wenn sie den technischen, ästhetischen und politischen Ansprüchen der Gegenwart genügen sollte.“
Wir besuchen auf unserer Reise durch Retroland u.a. Paris, Luzern, viel gestaltete unberührte Natur und machen einen Abstecher nach Sri Lanka, wo der Autor vom vermeintlichen Paradies erzählt, in dem man über Kärntner Internate oder Wiener Wohnungen spricht. Was ist denn nun das Paradies? Die Reise in ferne Länder oder doch das Vertraute?
„Könnte es sein, denke ich, dass Altstädte – zerstörte und wieder aufgebaute wie Warschau und Münster und restaurierte und aufgeschönte wie Luzern und Bologna – eigentlich Weihnachtsmärkte sind, Planeten aus einer ironischen Science-Fiction-Erzählung, und ihren Besuchern ist es im Grunde völlig gleichgültig, aus welcher Zeitzone die von ihnen durchwanderten Straßen stammen, solange sie dort Lebkuchen, Glühwein und in Ostasien produzierte Turnschuhe kaufen können?“
Touristen auf der Suche nach Identität, Gedenkfeiern und Jubiläumsfeste als Erinnerung an längst Vergangenes - ein Irrglaube, alles eine Inszenierung. Das Paradies muss wohl jeder für sich selbst finden, es ist in keinem Reiseführer verzeichnet und kann auch nicht von der Tourismusbranche vermittelt werden.
Groebner schreibt mit einer gewissen Selbstironie, teils mit ziemlich verschachtelten Sätzen, analysiert Historisches, vermittelt eigene Erlebnisse und vermischt diese mit seinen Recherchen.
Ein lesenswerter Reisebericht nach Retroland, für den ich gerne 4 Sterne vergebe.