Cover des Buches Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam (ISBN: 9783462046038)
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Rezension zu Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam von Vea Kaiser

Über die Bergbarbaren

von leselea vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Witzig, skurril, liebenswert. Vea Kaiser zeigt in ihrem Debüt ihr großes Erzähltalent.

Rezension

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leseleavor 8 Jahren

Jene Bergbarbaren aus St. Peter haben im Laufe der Jahrhunderte Sitten und Gebräuche entwickelt, die der zivilisierte Leser erfahren soll, und vor allem möchte ich skizzieren, wieso sie so sind, wie sie sind, woher sie stammen und wie es kam, daß sie gegen die Zivilisierten Krieg führten. (S. 11)

In St. Peter am Anger ticken die Uhren noch wie in früheren Zeiten: Man heiratet die Jugendliebe, übernimmt das Geschäft des Vaters, frönt die Mitgliedschaft in diverseren Vereinen, übertrumpft sich im Wettrinken (Männer) bzw. Kuchenbacken (Frauen), adaptiert mit Verzögerung und Vorsicht technische, modische sowie politische Neuerungen und bleibt generell einfach gerne unter sich. Außenstehende (auch in den eigenen Reihen) haben es schwer – eine Erfahrung, die auch Johannes A. Irrwein machen muss. Anders als die anderen Dorfkinder interessiert er sich nicht für Fußball oder Blasmusik und will auch nicht in die Fußstapfen seines Vaters, einen Zimmermann, treten. Stattdessen will Johannes Latein lernen, Wissenschaftler wie sein Großvater werden und die große, weite Welt jenseits der Alpen entdecken. Als er unerwartet durch die Matura-Prüfung fällt, ist er gezwungen, noch länger im Dorf auszuharren. Doch Johannes wäre kein Wissenschaftler, wenn nicht schnell ein neues Studienthema zu Hand wäre: die Erforschung der Bergbaren von St. Peter, in der Tradition seines großen Vorbildes Herodot. Johannes mischt sich unters Volk – und wird letztendlich nicht nur doch ein Teil der eingeschworenen Gemeinschaft, sondern ist auch verantwortlich für das größte Ereignis, das die Chronik von St. Peter je verzeichnet hat…

Mit großer Begeisterung habe ich Vea Kaisers zweiten Roman Makarionissi verschlungen und war nach der Lektüre fest entschlossen, auch ihr Debüt Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam zu lesen, mit dem sie – zurecht, wie ich nach dem Beenden des fast 500 Seiten starken Buches sagen kann – Kritiker wie Leser 2012 gleichermaßen überzeugt hat.

Die positiven Stimmen, denen ich mich anschließe, werden meiner Meinung nach primär durch Kaisers nichts zu leugnendes Erzähltalent hervorgerufen: Sie schreibt mit Witz, Charme und Esprit, führt einen mit einer Leichtigkeit durch ihre kleine Dorfwelt und schreckt dabei nicht vor Skurrilität und Stereotypen zurück, behält dabei aber das Maß und dosiert geschickt. Ihre zahlreichen Figuren sind zwar überzogen dargestellt und mit kuriosen Interessen und Eigenschaften ausgestattet und sollen – nicht zuletzt durch ihren Dialekt, der sich im Buch immer wieder ausgeschrieben findet – zum Lachen und Schmunzeln animieren; Kaiser gibt sie dabei aber nie der Lächerlichkeit preis, sondern porträtiert Land und Leute liebe- und respektvoll – ein schöner Zug, der mir auch schon in Makarionissi positiv aufgefallen ist. Am Ende der Lektüre ist einem eine ganze schrullige Dorfgemeinschaft, in der jede Figur, ob Protagonist oder Nebendarstellerin, einen wichtigen Platz hat, ans Herz gewachsen.

Inhaltlich ist die Geschichte in ihren Grundzügen sicherlich weniger originell, handelt es sich doch zum Großteil um einen klassischen „Bildungs-, Familien- und Coming-of-Age-Roman“ (Klappentext), doch Vea Kaiser schafft es, ihre eigene Note zu setzen, sei es durch die alpine Ortswahl, die wissenschaftliche Liebe zu Bandwürmern oder der immer wiederkehrende Bezug zu den alten Griechen, der sich auch in der Struktur des Romans wiederfindet (jedem Kapitel ist ein Auszug aus der Dorfchronik vorangestellt, zum Schluss findet es sich ein als „Volkszählung“ tituliertes Personenregister).

Für mich war Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam ein großer literarischer Spaß, der mich zum Schmunzeln und zum Lachen gebracht hat, der mir aber nie banal oder seicht vorkam. Im direkten Vergleich mit Makarionissi konnte Vea Kaiser vielleicht nicht die ganze Zeit konstant Leichtigkeit und Spritzigkeit aufrechthalten, für ein Debüt bleibt ihre Leistung aber mehr als beeindruckend. Daher gibt es 4,5 Sterne von mir und ich freue mich auf weitere Romane der Jung-Autorin.

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