Rezension zu "Never say die!" von Germaine H Shafran
Lebensbilanz einer Überlebenden des Holocaust.
Mit Tempo und dramatischem Auftakt beginnt die Autorin Germaine Shafran ihren Lebensrückblick, in dem stellvertretend für viele andere ein jüdisches Schicksal mit Flucht und Vertreibung abgehandelt wird. Es erstreckt sich von der Geburt und Kindheit in Berlin über Frankreich und Amerika zurück nach Deutschland.
Germaine Shafran wurde als Inge Helga Kaufmann 1923 in Berlin geboren. Die Eltern waren assimilierte Juden, die in großbürgerlichem Zuschnitt lebten. Dem Vater Fritz Kaufmann, einem erfolgreichen Regisseur, galt die ganze Verehrung und Liebe der einzigen Tochter. Unvermittelt und ohne lange Vorankündigung war er 1933 mit Frau und Kind nach Paris geflüchtet, als die Machtergreifung durch Adolf Hitler die heile bürgerliche Welt jüdischer Mitbürger zu zerstören drohte.
Zuvor hatte Germaine eine behütete Kindheit im vornehmen Berliner Charlottenburg erlebt. Zu dieser Kindheit gehörten Zoobesuche, eine Köchin, ein Kindermädchen und Besuche bei den mehr oder weniger un-geliebten Großmüttern. Weihnachten wurde ganz abendländisch-christlich mit Baum, Liedern und Geschenken gefeiert. Der Vater war Atheist, und von der jüdischen Vergangenheit der Familie wusste die Autorin bis zu ihrer Einschulung in Frankreich nichts.
Nach der Flucht fasste der Vater schnell Fuß in Paris, und bis zum 1. September 1939 schien das Leben in Frankreich einen Neuanfang zu begünstigen. Der Eintritt Frankreichs und Englands in den zweiten Weltkrieg zerstörte jedoch erneut die Existenz der kleinen Familie.
Als der Vater im Oktober 1939 auf eine notwendige Operation im Krankenhaus wartet, stirbt plötzlich die Mutter bei einem häuslichen Unfall. War es wirklich ein Unfall? Germaine ist erst 16 Jahre alt und war ab sofort auf sich selbst gestellt.
In unglaublicher Weise beginnt sich hier schon abzuzeichnen, was die Autorin später noch häufiger erleben sollte: unauffällig und oftmals vom Zufall bestimmt findet sie bei allen gebotenen Widrigkeiten Hilfe in der Not.
Nach dem Waffenstillstand zwischen Frankreich und Deutschland 1940 werden aus deutschen jüdischen Flüchtlingen "feindliche Ausländer", die in Lagern interniert wurden.
Ab diesem Zeitraum beginnt für Germaine ein Leben mit waghalsigen und abenteuerlichen Anstrengungen, der desolaten Lage einer "Lagerinsassin" in Gurs zu entkommen. Getrennt vom Vater ist Germaine ganz auf ihre eigenen Kräfte und Entscheidungen angewiesen und hat stets den Vater und seine Befreiung mit im Sinn.
Nach strapaziösen Bemühungen gelangen Vater und Tochter schließlich im März 1942 auf abenteuerlichen Wegen nach Casablanca und von dort mit einem der letzten Schiffe nach Amerika.
Hier erwartet sie ein Existenzkampf mit Höhen und Tiefen und dem „ American way of life“, an den man sich erst gewöhnen muss. Nach zwei Eheschließungen und Scheidungen kehrte die Autorin 1970 mit ihren beiden Kindern nach Deutschland zurück und konnte mit Elan und Fleiß auch hier in ein neues Leben starten.
In ihrer Niederschrift über die dramatischen Höhepunkte eines einmalig bewegten und aufregenden Lebens verlässt Germaine Shafran bei allem Kummer und aller Tragik niemals die Komik, mit der sie Situationen beschreibt. Detailreich, differenziert und mit der nötigen Leidenschaft, die nicht ohne kritische Distanz zur eigenen Lage bleibt, gibt sie Rechenschaft über ein wechselvolles Leben mit zahlreichen Stationen, die den Aufzeichnungen dank ihrer geschliffenen Sprache eine spannende und abenteuerliche Note verleihen.
Mit Anmerkungen und kompetentem Nachwort und Vorwort versehen ist ein gründliches Zeitdokument entstanden, das die Lektüre empfehlenswert macht.
Germaine Shafran lebt heute in Wiesbaden und ist immer noch rege tätig und mischt sich ein.