Ich habe großes Interesse an fremden Kulturen und Religionen, vor allem, wenn sie mir hier in Deutschland täglich begegnen und Teil unserer Gesellschaft sind.
Diese jüdische Anthologie ist umfangreich und von hohem Anspruch, man muss sie gut dosiert lesen, zumindest ging es mir so. Ganz besonders gefallen hat mir das Kapitel "Kindheiten in Berlin", was für spannende und eindrucksvolle Texte, einer zum Beispiel von Marcel Reich-Ranicki!
Das Buch erweitert den Horizont, es bildet, es vermittelt einem die Stimmung des Berlins der 1920er und 1930er Jahre aus Sicht jüdischer Migranten, die teils eine neue Bleibe suchten, teils auf der Durchreise waren, teils darauf warteten, dass sie zurück in ihre Heimat konnten. Oft resigniert, verzweifelt, aber auch hoffnungsvoll.
"In Berlin, der vielleicht einzigen jüdischen Stadt in der Welt, wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der jüdische Menschen zusammenkommen, zusammenleben, sich annähern, einer vom anderen lernt: und zwar seit Jahren." (Yeshayahu Klinov, S. 192)
Ich hätte mir gewünscht, dass einige Briefe, Berichte, Gedichte und Auszüge zweisprachig abgedruckt worden wären. Im Original, wenn vorhanden, und in der Übersetzung. Auch wenn ich manches gar nicht hätte lesen können, kyrillisch und hebräisch beispielsweise, aber dennoch fehlte es mir zu Vollständigkeit.
Alles in allem absolut spannend und wissenswert, eine wunderbar vielfältige Zusammenstellung namhafter und unbekannter jüdischer Autoren, die sich alle um denselben Zeitraum drehen, das Lebensgefühl ist hautnah eingefangen und die geschichtlichen Zusammenhänge in den Fußnoten umfassend erläutert.
Sehr zu empfehlen!