Rezension zu "Lenin" von Verena Moritz
Zum bevorstehenden 100. Todestag von Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, am 21. Jänner 2024 hat das Autorenehepaar Verena Moritz und Hannes Leidinger eine neue Biografie herausgebracht. Die Frage, die sich nun stellt, ist: Braucht es wirklich NOCH eine Biografie? Ist über den Fanatiker, Revolutionär, Massenmörder oder doch Hoffnungsträger nicht schon alles gesagt respektive geschrieben worden?
Den Hauptteil dieser monumentalen Biografie hat Verena Moritz durch ihre Sprachkenntnisse zusammengetragen. In akribischer Detektivarbeit hat sie bislang nicht zugängliche Dokumente aus diversen Archiven durchforstet und rollen die Biografie jenes Außenseiters, dem der Aufstieg zum Führer des ersten sozialistischen Staates gelang, neu auf.
In achtzehn Kapiteln entsteht ein neues, vielschichtiges Lenin-Bild, das die Geschichte eines Einzelgängers in einer Welt im Umbruch erzählt. Unzählige Zitate aus Briefen oder Büchern anderer Autoren werden neu bewertet und zeichnen ein spannendes, informatives und abseits jeglicher Verklärung oder Dämonisierung Bild des Mannes, der auch in seiner eigenen Partei nicht unumstritten war.
Am 25. Oktober 1917 ist Lenin am Ziel: Er nimmt an der Sitzung des Petrograder Sowjet teil und ergreift die Macht, obwohl er erst wenige Tage zuvor aus seinem finnischen Versteck nach Petrograd gekommen ist. Interessant ist, dass der Bevölkerung keine Änderung im Tagesablauf aufgefallen sind. Die Straßenbahnen fahren wie gewohnt ...
Es kam zur Gründung des ersten sozialistischen Staats und zu einer weltverändernden Diktatur, deren brutaler Terror Millionen Menschen zum Opfer fielen und dessen Architekt Lenin war.
„Die Frage, was von dem übrig blieb, was Lenin und abseits von ihm die Linke im Westen zu erreichen hofften bzw. Was davon eine tatsächlich erstrebenswerte oder realistische Perspektive enthielt, hat bereits eine Vielzahl von Antworten nach sich gezogen. Ähnliches gilt für die Frage, was gewesen wäre, hätte der Bolschewikenführer 1917 nicht die Heimreise nach Russland angetreten. Eines ist gewiss: Der Oktoberumsturz hätte ohne Lenin nicht stattgefunden und die soziale Revolution, die er nun ausrief, wäre das geblieben, wofür sie ein Gutteil seiner Anhänger damals hielt: eine Utopie.“ (S. 642)
Das Buch besticht durch sprachliche Klarheit, akkurate Detailgenauigkeit, neue Einsichten und Bewertungen sowie mit durchaus auch unerwarteten Zugängen.
Ergänzt wird diese interessante Biografie durch eine Zeittafel, ein Abkürzungsverzeichnis und ein Personenverzeichnis sowie QR-Codes die zu Originalfilmaufnahmen zu den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk, zu Film- und Tondokumenten von Lenin und zu Wochenschauberichten aus der frühen Sowjetzeit führen. Außerdem finden sich einige Abbildungen in der Mitte des Buches.
Fazit:
Die eingangs gestellte Frage, ob es wirklich noch eine Biografie über Lenin braucht, kann mit Fug und Recht, mit JA beantwortet werden, denn diese hier stellt den Werdegang und die Gedanken des Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, vom Sohn eines Schuldirektors und Bruder eines hingerichteten Revolutionärs, ins Zentrum.
Gerne bewerte ich diese umfassende Biografie, die den Fanatiker Lenin spannend, informativ, fesselnd und abseits jeglicher Verklärung oder Dämonisierung beschreibt, mit 5 Sternen.