Cover des Buches Orchis (ISBN: 9783218011044)
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Rezension zu Orchis von Verena Stauffer

Zwischen Genie und Wahnsinn

von leselea vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Eine Geschichte, die ähnlich wie ihr Protagonist zwischen Genialität und Wahnwitzigkeit schwankt. Außergewöhnlich, aber nicht ausgereift.

Rezension

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leseleavor 6 Jahren

Dass man es bei Verena Stauffers Debütroman Orchis nicht mit einem 08/15-Roman zu tun bekommt, wird einem sofort klar, wenn man neben der Verlagsangabe – das Buch ist bei Kremayr&Scheriau erschienen, die für mich persönlich ein Garant für ungewöhnliche Romane sind – auch einen Blick auf den Klappentext wirft: Erzählt wird nämlich in Orchis von Anselm, einem leidenschaftlichen Orchideenforscher, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reise nach Madagaskar unternimmt. Anselm findet hier nicht nur den Stern von Madagaskar, eine Orchideensorte, sondern auch den Wahnsinn: Auf der Rückfahrt beginnt er eine Orchidee, die auf seiner Schulter wächst, zu imaginieren, der Wahn geht so weit, dass er in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wird. Anselm erholt sich zwar vermeintlich schnell, doch seine Leidenschaft für Orchideen bleibt ungebrochen und erschwert ihm häufig das Leben: Fokussiert auf die Blumen, gelingt ihm das Zwischenmenschliche selten, immer wieder treibt ihn die Suche nach einem besonderen Exemplar zu überstürzten Handlungen – bis ihn eine davon nach China führt…

Der Eindruck, zu einer außergewöhnlichen Lektüre gegriffen zu haben, verstärkt sich auch nach dem Lesen der ersten Seiten: Verena Stauffer schreibt dicht, überbordend, ja beinahe möchte man sagen üppig insbesondere wenn sie sich den Beschreibungen von Naturszenen hingibt. Flora und Fauna – sei es im exotischen Madagaskar, im heimischen Deutschland oder im östlichen China – werden eindringlich und ausdrucksstark beschrieben, die Autorin schafft es dadurch eine mythische, schwebende, traumwandlerische Atmosphäre zu erzeugen, die den Leser durchaus einlullen kann. Gleichzeitig fordert sie die Konzentration ihres Publikums heraus, indem sie ihren Roman eine Fülle an Themen ansprechen lässt: wissenschaftlichen Theorien, psychische Erkrankungen sowie ihre Behandlung, gesellschaftliche Umwälzungen, Naturschutz, Eltern-Kind-Beziehungen etc. Dabei findet man in der Geschichte, die wie gesagt im 19. Jahrhundert angesiedelt ist, beim genaueren Lesen Parallelen zur Gegenwart, die den Roman aktueller erscheinen lassen, als man zunächst meint.

Leider gehört Orchis für mich jedoch insgesamt zu den Büchern, die zwar mit einer außergewöhnlichen Erzählsituation aufwarten, jedoch in ihrer Ausgestaltung nicht ausgereift sind – und zwar in mehrfacher hinsichtlich. Inhaltlich ist das Buch eindeutig überfrachtet: Die angesprochen Themen greifen zwar durchaus ineinander, sie verdichten sich aber nicht zu einem erzählerischen Ganzen. Im Gegenteil: Immer wieder scheint sich die Geschichte – wie ihr zum Wahnsinn neigender Protagonist – zu verlieren, sodass man sich durchaus fragen muss, was einem hier eigentlich erzählt wird. Zwar mag man einwerfen, dass sich Form und Inhalt so auf ideale Weise decken, der „Sinn“ hinter der Erzählung ergibt sich so aber trotzdem nicht. Ist Orchis die Geschichte eines Wahnsinnigen? Eine Geschichte über gesellschaftliche Umwälzungen? Oder über menschliche Leidenschaften? Es ist nicht schlimm, wenn mir ein Buch diesbezüglich keine genauen Antworten gibt, doch in diesem Roman stand ich von vornherein auf so wackeligem Grund, dass ich auch nach 250 Seiten ratlos vor den Seiten sitze. Dieses Unbestimmte hat zudem Auswirkungen auf die Erzählweise: Handlungen wechseln abrupt, Szenen gehen nicht elegant ineinander über, es wird munter in der Zeit voran- und zwischen verschiedenen Orten hin- und hergesprungen, sodass einem immer wieder das Gefühl beschleicht, dass eigentlich wichtige Hintergrundinformationen ausgespart werden. Zuletzt hat mir persönlich auch die von vielen Lesern hochgelobte Sprache nicht durchgehend gefallen: Zu häufig treten Redundanzen auf, immer wieder liest man nahezu identische Beschreibungen; auch wirken Textpassagen widersprüchlich – insbesondere Dialoge –, da schlecht passende Konjunktionen oder Adverbien zur Anknüpfung gewählt werden. Es finden sich neben zugegebenermaßen wirklich tollen Sätzen auch ebenso viele ungelenke Formulierungen.

Zugegebenermaßen hatte ich an Orchis aufgrund seiner Aufmachung, seines Inhaltes (der mich zu Beginn noch stark an Die Vegetarierin von Hang Kang denken ließ) und des generellen Verlagsprogramms von Kremayr&Scheriau enorme Erwartungen, die ein Debüt nicht unbedingt erfüllen kann und erfüllen muss. Definitiv ist Orchis eine besondere und aufgrund ihrer extremen Andersartigkeit auch mutige Geschichte, deren Lektüre ich keinesfalls bereue und zu der ich auch durchaus raten kann, wenn man offen für eher experimentelle Belletristik ist. Da mich der Roman aber schlussendlich nicht erreichen konnte, vergebe ich leider nur 3 von 5 Sternen.

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