Mit diesem Epos schließt Vergil jene hellenistische Klammer, die Homer einst geöffnet hat. Mit der "Äneis" als Sequel zur "Ilias" schmettert der obligatorisch zweitbeste Dichter aller Zeiten den zwölfteiligen, ultimativen Lobgesang auf die griechische Tragödie. In einer beinahe perfekten Brückenform knüpft er an Homer an und beendet sein Epos um die letzten Trojaner mit einer zweiten brennenden Stadt ...
An dieser Geschichte bemerkt man deutlich die Weiterentwicklung antiker Frömmigkeit. Vergils Jupiter ist ein ehrwürdiger, sich der Allmacht des Schicksals wohlbewusster Herrscher. Die wahren Hauptcharaktere und heimlichen Heldinnen bilden indes für mich Juno, Dido, Camilla und Juturna, die sich dem unausweichlichen Schicksal entgegenstemmen und daran scheitern. Aeneas selbst ist nur ein Vollstrecker des ewigen Fatums, sein Erzfeind Turnus bildet die dialektische Antithese. Er ist der gespiegelte, nicht vom Fatum begünstigte Aeneas.
Vergils Epos bildet die reife Versöhnung einer Kultur mit dem Fatum, eine römische Fatalismus-Theodizee (und eine patriotische Proklamierung).
Vergil
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Vergil
Aeneis
Aeneis. 3. und 4. Buch
Georgica /Vom Landbau
Aeneis. 11. und 12. Buch
Aeneis. 5. und 6. Buch
Äneis
Bucolica /Hirtengedichte
Aeneis
Neue Rezensionen zu Vergil
Info vorab: Eine ausführlichere Version dieser Rezension ist auf meinem Blog erschienen: https://kapitel7.de/vergil-aeneis-hoerspiel/
Generell bin ich Hörspielen gegenüber zunächst immer skeptisch. Ein Hörspiel bedeutet immer Kürzungen und starke Bearbeitung. Dabei kann schnell viel kaputt gehen. Auch was Soundeffekte angeht wird in solchen Umsetzungen gern übertrieben. Hier ist das zum Glück nicht der Fall.
Diese Hörspiel-Version der Aeneis hat mir gut gefallen. In kurzen und knackigen dreieinhalb Stunden wird der Kern der Geschichte recht gut getroffen. Der Fokus liegt dabei auf den Irrfahrten der Trojaner, die Zeit nach der Landung in Italien wird relativ knapp abgehandelt. Hier hätte ein paar Minuten mehr nicht geschadet.
Dass die Aeneis als ein Stück Prosadichtung sowieso für den mündlichen Vortrag ausgelegt war und nicht darauf, in Stille gelesen zu werden, hilft bei der Umsetzung in einem Audioformat natürlich. Alles in allem kann man sich mit diesem Hörspiel einen verregneten Nachmittag gut vertreiben kann.
Die Sprecher sind hier gut gewählt. Insgesamt fünfzehn Personen sind es, die den Charakteren ihre Stimmen leihen. Sie lassen sich unterscheiden, klingen nicht zu ähnlich. Man weiß jederzeit, wer gerade spricht. Was die Soundeffekte angeht, sind sie im Hörspiel so eingesetzt, dass sie der Atmosphäre Leben einhauchen, man damit aber nicht bombardiert wird. Anders ausgedrückt, das Maß passt.
Das erste Mal habe ich die Aeneis vor vielen, vielen Jahren im Latein LK gelesen. Meine Erinnerung an das Buch ist seitdem verblasst, ich konnte mich nur noch daran erinnern, dass die ersten 6 Bücher toll waren, die restlichen 6 langweilige Schlachtenbeschreibungen waren, die man sich auch hätte sparen können. Nun, viele Jahre später und nachdem ich auch schon diverse andere Klassiker gelesen habe, sehe ich das Buch nicht mehr so extrem schwarz-weiß wie als Teenager.
Ja, Buch 11 und 12 sind übel langweilige Schlachtenbeschreibungen, die teilweise sehr deutlich und äußerst blutig sind und modernen Gemetzeln in manchem Thriller in nichts nachstehen, das ist echt nicht so schlimm. Was wirklich nervt sind die Protagonisten, die alle mit Namen und Familie und Eltern und Stammbaum erwähnt werden, aber vorher nie eine Rolle spielten. „Aeneas schickt Talos, Tanais und den starken Cethegus in den Tod, alle drei auf einen Schlag, dazu den betrübten Onites, einen Nachfahren des Echion, seine Mutter war Peridia,“ – Ja und?! Muss ich die kennen? Soll mir das diese Unbekannten Toten irgendwie näher bringen oder passten die gerade so schön in das Versmaß?
Andererseits sind auch durchaus moderne Gedankengänge vorhanden, die unsere Politiker vielleicht mal überdenken sollten, denn schon vor 2000 Jahren war klar: „Im Krieg liegt kein Heil, Frieden fordern wir alle von dir, Turnus, und zugleich das einzige unverletzliche Unterpfand des Friedens (11. 360). Ja, mit Krieg kann man keinen Frieden erzwingen, ein Zweikampf wäre die Lösung, und was machen die Deppen, sie kloppen sich noch ein Buch lang weiter, bis es dann doch zum Zweikampf kommt.
„Schon verteilte der grimmige Mars Trauer und Tod gleichmäßig auf beiden Seiten; sie waren sich gleich im Morden und gleich im Fallen, Sieger zugleich und Besiegte, Flucht kannten weder die einen noch die anderen.“ (10. 755) – Das kommt irgendwie bekannt vor…
Vergil schrieb das Buch in einer Zeit des Umbruchs. Nach den blutigen Bürgerkriegen kam Rom endlich langsam zur Ruhe, nur war aus einer Oligarchie ein Kaiserreich geworden. Der Augusteische Frieden hatte begonnen und ein Volk musste sich neu erfinden. Epen sind für die Identitätsfindung eines Volkes immer sehr nützlich, jedes Volk hat seine Nationalepen. Vergil schuf das römische Nationalepos, indem er sorgfältig recherchierte und viele Sagen, Legenden und Überlieferungen der verschiedenen adeligen Familien, zu einer großen Geschichte zusammenführte.
Die Aeneis erzählt die Geschichte des Trojaners Aeneas, dem es gelingt, mit seinem alten Vater auf den Schultern und dem kleinen Sohn an der Hand mit einer kleinen Schar Überlebender mit einer kleinen Flotte, dem brennenden Troja zu entfliehen.
Sechs Bücher lang werden die Irrfahrten dieser kleinen Schar erzählt, die sich danach sehnt, eine neue Siedlung zu gründen, und einen Neuanfang zu wagen. Auf der Reise trifft man andere Überlebende, die teils als Sklaven, nun in anderen Gegenden wohnen. Doch immer, wenn Aeneas sich niederlassen will, passiert etwas Schlimmes, denn das Fatum hat ihm vorherbestimmt, dass er in Latium siedeln wird, jeder andere Siedlungsversuch ist zum Scheitern verurteilt. Das bedeutet nicht, dass auch alle seine Leute mitziehen müssen. Einige bleiben durchaus an anderen Orten zurück und gründen dort neue Siedlungen, nur eben Aeneas muss mit seinem harten Kern weiterziehen.
Am berühmtesten ist wohl die Geschichte von Dido und Aeneas, in welcher Venus Dido sich in Aeaneas verlieben lässt, um ihren Sohn (ja, Aeneas ist der Sohn von Venus und Anchises, das findet man in den Homerischen Gesängen) vor Juno zu schützen. Als Aeneas Dido auf Befehl der Götter sitzen lässt, zerbricht diese daran, aber die Pflicht ist einem Römer nun einmal heiliger als Liebe und schon gar Karthago. Männer waren schon immer erfindungsreich, wenn es darum ging einen Rückzieher aus einer Beziehung zu machen. „Schatz, der hat Zeus mir leider befohlen, sorry. Ich bin dann mal weg.“
Die Schlacht um Latinum ist gar nicht so schlimm, wie ich sie in Erinnerung habe. Es geht teils um Bündnispolitik mit anderen Völkern, teils um die Intrigen die Lavinias Mutter spinnt, damit ihre heißgeliebte Tochter nicht diesen dahergelaufenen Ausländer heiraten muss, wenn da doch der schmucke Turnus von um die Ecke ein viel besserer Schwiegersohn währe, den man auch kennt. Das ist durchaus nachvollziehbar. Dumm nur, dass die Götter das ein wenig anders sehen. Alle Götter? Nein, natürlich nicht, Juno stänkert herum. Klar, Fatum hin oder her, Lavinia wir Aeneas heiraten, aber sie wird ihr die Super versalzen und ihr eine tränenreiche Hochzeit bescheren, die durch sehr viel Blut erkauft wurde. Leider gibt es kein Buch in der Aeneis, das darauf eingeht, ob es mit Lavinia und Aeneas klappt und die Ehe glücklich oder zumindest tolerabel wird, denn letztendlich gründen die Nachkommen von Ascanius, Aeneas Sohn aus erster Ehe (seine Frau kommt in Troja ums Leben), Rom.
==== Die Übersetzungen ===
Es gibt zwei Übersetzungen dieses Versepos. Zum einen wäre da jene von Heinrich Voß aus dem Anaconda Verlag, die mittlerweile auch Public domain ist und die neuere Reclam Übersetzung.
Voß entscheidet sich gegen eine wortwörtliche Übersetzung, aber für das Beibehalten der Versform. Die moderne Reclam Übersetzung entscheidet sich für eine wortwörtliche Übersetzung aber Aufgabe der Versform. So gut ich die Voß Übersetzung der Homerischen Odyssee mochte, so schlimm finde ich sie bei der Aeneis. Wenn ich das lateinische Original brauche, um die deutsche Übersetzung zu verstehen, dann stimmt etwas nicht. Ja, die Anaconda Ausgabe in HC sieht im Regal besser aus, die Reclam Ausgabe jedoch liest sich deutlich besser und hat einen erklärenden Anhang und ein Namensregister. Hier muss jeder selber entscheiden, welche Variante er persönlich bevorzugt.
Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris / Italiam fato profugus Laviniaque venit / litora, multum ille et terris iactatus et alto / vi superum saevae memorem Iunonis ob iram, / multa quoque et bello passus, dum conderet urbem / inferretque deos Latio, genus unde Latinum / Albanique patres atque altae moenia Romae.
Voss (Gutenbergprojekt):
Waffen ertönt mein Gesang und den Mann, der vom Troergefild' einst
Kam, durch Schicksal verbannt, nach Italia und der Laviner
Wogendem Strand. Viel hieß ihn in Land' umirren und Meerflut
Göttergewalt, weil dau'rte der Groll der erbitterten Juno;
Viel auch litt er im Kampf, bis die Stadt er gründet' und Trojas
Götter nach Latium führte: woher der Latiner Geschlecht ward,
Und albanische Väter, und du, hochragende Roma.
Edith und Gerhard Binder (Reclam):
Vom Krieg singe ich und dem Helden, der als erster von Trojas Küste durch Schichsalsspruch, ein Flüchtling, nach Italien kam und zum Gestade Laviniums: Weithin wurde er über Länder und Meere getrieben durch der Götter Gewalt wegen des unversöhnlichen Zorns der grausamen Iuno und erlitt auch viel durch Krieg, bis er endlich seine Stadt gründen und seine Götter nach Latium bringen konnte; daraus gingen hervor das Latinergeschlecht, die Väter von Alba und die Mauern des hochragenden Rom.
Die Reclam Ausgabe liest sich fast wie ein „moderner“ historischer Roman in etwas antiquierter Sprache (was moderne Autoren durchaus gerne einmal nachahmen). Die Geschichte ist spannend, aber teilweise eben in typisch römischem, kurzem, fast telegrammartigem Stil. Man beschränkt sich auf das absolut wichtige zum Beschreiben einer Szene, es fehlt ein wenig die Liebe zum Detail, wie man sie von Homer kennt. Wenn man das ein wenig ausschmücken würde und die Figuren, deren Name nur genannt wird, wenn man ihnen im Kampf den Kopf abschlägt richtig in die Geschichte eingebunden würden, wäre das ein toller historischer Roman.
Aber auch so ist die Geschichte lesenswert, spannend und zeitlos.