Cover des Buches Der Sympathisant (ISBN: 9783896675965)
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Rezension zu Der Sympathisant von Viet Thanh Nguyen

Der Mann mit zwei Gesichtern.

von Gulan vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Ein kommunistischer Spion unter Exil-Vietnamesen in den USA: Teilweise fesselnd und überraschend amüsant und satirisch-ironisch.

Rezension

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Gulanvor 6 Jahren
Nein, nein, schluchzte die Agentin. Sie brauchte eine gute Geschichte, aber ihr fiel keine ein, allerdings hätte nichts die Polizisten umstimmen können. Also dann, sagte der mittlere Polizist, öffnete den Gürtel und den Reißverschluss seiner Hose. […]
Wir fangen ganz leicht an, sagte der mittlere Polizist und kletterte ungelenk auf den Tisch und zwischen ihre Beine. Wie heißt du? Sie sagte nichts, aber als er die Frage wiederholte, erwachte etwas Animalisches in ihr. Sie öffnete die Augen, schaute den Polizisten an und sagte: Mein Nachname ist Viet, und mein Vorname ist Nam.“ (S.480-481)


April 1975: Die revolutionären Truppen Nordvietnams erobern den Süden. Die Amerikaner ziehen sich überhastet zurück und gewähren einer kleinen Zahl privilegierter Einheimischer ebenfalls die Flucht. Mit dabei ist auch der Ich-Erzähler, Adjutant eines südvietnamesisichen Generals, aber in Wahrheit ein kommunistischer Spion. Er war ein wichtiger Informationsträger im Stab des Generals und nun soll er auch in den Vereinigten Staaten Augen und Ohren offen halten.

In Kalifornien siedeln sich viele der Vietnamesen an, aber heimisch werden sie nicht. Die Amerikaner haben weitgehend das Interesse an Vietnam verloren, es sei denn, es geht darum, die amerikanische Deutungshoheit über den Krieg in Form des Hollywood-Kinos aufrechtzuerhalten. In der Heimat waren die Geflüchteten die Oberschicht, nun müssen sie sich wieder hinten anstellen, was weiterer Verbitterung führt.


Wir seiften uns ein mit Tristesse und wuschen uns duschten uns ab mit Hoffnung, und obwohl wir fast jedem Gerücht glaubten, das uns zu Ohren kam, weigerte sich fast jeder von uns zu glauben, dass unsere Nation untergegangen war. (S.108)


Der Ich-Erzähler ist ein Mischling, er ist Sohn einer Vietnamesin und eines amerikanischen Pastors. Schon als Jugendlicher wird er gefördert, erhält ein Stipendium für eine amerikanische Hochschule, macht anschließend Karriere in der südvietnamesischen Armee. Was niemand ahnt: Ein Jugendfreund hat ihn frühzeitig für die kommunistische Seite rekrutiert. Er ist nach der Flucht weiterhin für den General tätig, der nach einiger Zeit beginnt, eine Art militärische Einheit aus Exilanten zu bilden. Der Ich-Erzähler beginnt zusehends mit seinem Doppelleben zu hadern. Dabei wird er beeinflusst von der amerikanischen Kultur, dem schmutzigen Geschäft der Geheimdienste und er gerät in einen Interessenskonflikt zwischen seinem Freund und Führungsagenten Man und einem weiteren Jugendfreund Bon, dem er ebenfalls die Flucht in die USA ermöglichen konnte, der aber nichts von seinen kommunistischen Aktivitäten ahnt. So ist der Ich-Erzähler denn auch hin- und hergerissen, er sagt selbst ganz zu Beginn des Romans: „Ich bin ein Spion, ein Schläfer, ein Maulwurf, ein Mann mit zwei Gesichtern. Da ist es vielleicht kein Wunder, dass ich auch ein Mann mit zwei Seelen bin.“ (S.9)


Autor Viet Thanh Nguyen floh als Vierjähriger 1975 mit seinen Eltern aus Südvietnam, die Familie ließ sich schließlich in Kalifornien nieder. Heute arbeitet er als Hochschullehrer an der University of California. „Der Sympathisant“ ist sein Debütroman und räumte nach seinem Erscheinen 2015 jede Menge Preise ab, besonders hervorzuheben sind der Pulitzer-Preis und der Edgar Award. Kurz nach seinem Roman veröffentlichte er auch ein Sachbuch, „Nothing Ever Dies: Vietnam and the Memory of War“, in dem er die Thematik seines Romans wie die Wahrnehmungen und Sichtweisen auf den Vietnamkrieg aufgreift. In zahlreichen Interviews macht der Autor nämlich deutlich, dass im Westen ausschließlich die amerikanische Wahrnehmung des Krieges abgebildet wurde und wird. Mit seinem Roman wollte er explizit eine andere, eine vietnamesische Sichtweise darstellen. Im Roman bringt er dies in einem cleveren Abschnitt zur Geltung, als der Ich-Erzähler als Berater für ein Filmprojekt auf die Philippinen reist. Er nimmt sich vor, bei diesem Film, der unschwer als eine Anspielung auf „Apocalypse Now“ zu verstehen ist, ein wahres Bild von Vietnam zu erreichen, scheitert dabei aber völlig.


…, denn das war der erste Krieg, dessen Geschichte die Verlierer und nicht die Sieger schreiben würden – dank des effizientesten Propagandaapparates, der je geschaffen worden war. […] Hollywoods Hohepriester hatten instinktiv die Erkenntnis von Miltons Satan erfasst, wonach es besser sei, in der Hölle zu herrschen, als im Himmel zu dienen, und man besser der Schurke, Verlierer oder Antiheld im grellen Rampenlicht sei als der tugendhafte Komparse. (S.193)


„Der Sympathisant“ hat viele Facetten, er ist ein Politthriller, ein Exilantenroman, ein Roman über Freundschaft, über Hollywood, über Gegensätze zwischen Orient und Okzident. Das Überraschende: Es ist an vielen Stellen überraschend amüsant, ironisch und böse satirisch. Besonders Anfang, Ende und die Philippinen-Episode sind sehr überzeugend und fesselnd, dazwischen gab es für mich schon ein paar Durchhänger.

Ich habe lange über mein endgültiges Urteil nachgedacht, denn irgendwie war ich nicht völlig zufrieden, musste aber überlegen warum. Zwei Dinge haben mir nicht so gefallen: Die Konstruktion, dass der Ich-Erzähler die Story von Anfang als sein Geständnis formuliert und schon früh klar ist, dass er sich in einer Art politischer Haft befindet, nimmt für mich einiges an Entwicklung vorweg. Außerdem finde ich die „zwei Gesichter“ des Ich-Erzählers zwar in Bezug auf seine kulturelle Identität gut herausgearbeitet, aber warum er kommunistischer Spion ist, bleibt für mich etwas zu dünn erzählt. Aber ich will auch nicht zu viel meckern. Im Grunde ist „Der Sympathisant“ ein scharfsinniges und gleichzeitig auf jeden Fall unterhaltendes Buch.

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