Bayern in den 1930er Jahren: Statt in der Kirche zur Mutter Gottes zu beten, verehren die Leute plötzlich den Führer. Braunhemden gehen auf die Straße, der rechte Arm wird zum Gruß erhoben und die Kinder des Dorfes treffen sich alle in der Organisation der Hitler Jugend. Langsam aber sicher verändert sich etwas in den Straßen: Häuser werden saniert und von Juden „gesäubert“, Menschen verschwinden, Geschäfte wechseln ihre Besitzer. Und dann kommt der Krieg…
Viktor Niedermayers Roman Finsterland wartet mit einem Protagonisten auf, der – so weist schon der Klappentext darauf hin – „mitten drin seltsam unbeteiligt [ist]“: Er ist „ein Beobachter, hineingestellt in seine Zeit, passiv und dich zum Handeln gezwungen“. Der Protagonist ist ein kleiner Junger, dessen Kindheit und spätere Jugend maßgeblich vom Nationalsozialismus geprägt wird. Er führt den Leser durch diese Zeit: Seit Vater brüstet sich damit, den Vater von Heinrich Himmler zu kennen; seine Freundin Betti, eine Jüdin, wandert aus; sein Lehrer, ein SA-Mann erzählt ihm glorreiche Geschichten vom Führer; und später, als der Krieg beginnt, wird er mit zahlreichen Leichen und Invaliden konfrontiert. Dies alles erzählt der Junge wie ein „radikal subjektiver Chronist“: Unvermittelt wird der Leser in Zeit und Raum geworfen, Orientierung muss er selber erlangen, kleine Schnipsel – Verweise auf geschichtliche Ereignisse, Ortsnamen, Flussnamen, Namen berühmter Persönlichkeiten – werden ihm als Hinweise hingeworfen. Unzählige Namen von Nachbarn, Freunden, Feinden, Familienmitglieder werden genannt, tauchen auf der Bildfläche auf, um sofort wieder in den Unweiten der Erzählung zu verschwinden. Eine wirkliche Handlung gibt es nicht, es sind Gedanken, Eindrücke, Begebenheiten, die den jungen Protagonisten zum Erzählen animieren. Er erzählt Impressionen seines Lebens, sie reihen sich aneinander, ergeben ein Bild, jedoch keine chronologische, zusammenhängende Geschichte.
Diese subjektive Erzählweise, diese totale Abhängigkeit vom Erzähler, der ganz unmittelbar und assoziativ berichtet, kann man mögen, vermutlich auch schätzen und sicherlich ist es eine besondere Weise von den Gräueln zu erzählen, die wir doch alle schon aus unzähligen Geschichten kennen. Ich fand das Lesen dieses Romans allerdings in erster Linie schwierig, ungemein fordernd und häufig genug ermüdend. Bis zum Schluss habe ich mich in der Geschichte nicht zurechtgefunden, bin dem Protagonisten, dem ich über 200 Seiten gefolgt bin, nicht näher gekommen. Das Erzählte blieb mir fremd, Mitleid für die Figuren konnte ich nicht entwickeln, Grauen im Angesicht der furchtbaren Ereignisse nicht empfinden. Vermutlich muss man das auch nicht, ich aber habe das Gefühl, nach der Lektüre weitgehend mit leeren Händen dazustehen.
Sprachlich finde ich das Buch schwer zu beschreiben. Der Stil war einerseits sehr eindringlich, andererseits gab es keinen einzigen Satz, der mich besonders angesprungen hat, oder Passagen, auf die ich aufgrund der Sprache ganz eintauchen konnte. Ich fand das Geschriebene sehr beladen, aber keines Falls schwülstig. Die vielen Einsprengsel in bayerischer Mundart verleihen der Geschichte Authentizität und Nähe, gleichzeitig fiel mir das Lesen dieser Sätze besonders schwer (das liegt aber auch wohl daran, dass ich zu diesem Dialekt überhaupt keinen Bezug habe). Insgesamt fand ich, dass der Stil des Buches sich sehr mit der Erzählweise deckte. Finsterland ist ein in sich rundes Buch, nur leider nicht für mich gemacht.
Fazit: Finsterland ist für mich wieder einer dieser Romane, der technisch sicherlich gut gemacht ist und der begeisterte Leser finden wird. Mich hat das Buch aber leider weder berührt, noch begeistert, noch erreicht.