Rezension zu "Eine Frage der Würde" von Gianrico Carofiglio
Der 5. Roman des italienischen Autors um den Rechtsanwalt Guido Guerrieri erschien im Original 2014 unter dem Titel „La regola dell‘ equilibrio“. Der designierte Präsident des Amtsgericht Bari, Pierluigi Rocca, bittet Guido Guerrieri um Hilfe, weil er glaubt, dass die Staatsanwaltschaft Lecce gegen ihn ermittelt. Ein ehemaliger Mafioso und jetziger Kronzeuge habe eine Aussage getätigt, dass Rocca gegen Bezahlung Häftlinge aus der Untersuchungshaft entlassen hätte. Überzeugt davon, dass der Richter unschuldig ist, übernimmt Guido seine Verteidigung, doch dann erfährt er, dass der Richter wirklich bestechlich ist. Das stürzt ihn in ein Dilemma.
Ein gut erzählte Geschichte, die vielleicht etwas zu sehr in Details des italienischen Rechtssystems eintaucht. Es ist in jeder Zeile zu spüren, dass der Autor vom Fach ist.
Das Privatleben des Protagonisten wirkt wie in den anderen Bänden auch in diesem etwas aufgesetzt, seltsam abgetrennt von der Handlung in der Gerichtssache. Als Beispiel mag die Episode mit dem behinderten jungen Nachbarn gelten. Dafür arbeitet der Autor das Dilemma, in das der Anwalt gestürzt wird, dadurch, dass er von der Schuld seines Mandanten, den er für unschuldig hielt, erfährt, wunderbar heraus. Ein Dilemma, das besonders schwer lösbar noch dadurch wird, dass der Angeklagte ein Teil des Justizsystems ist, dem der Anwalt selbst angehört und mit einer enormen Macht ausgestattet ist. Auch an diesen Stellen ist merkbar, dass sich der Autor darüber ausführlich eigene Gedanken gemacht hat. Drei Sterne.