Rezension zu "Im eisigen Weiß" von Vincent Munier
Der gewöhnliche Zeitgenosse würde den Autor dafür wahrscheinlich nicht für verrückt erklären. Solche merkwürdigen, aber irgendwie auch verständlichen Gefühlsausbrüche nimmt man in dieser verrückten Welt inzwischen stoisch zur Kenntnis. Völlig anders verhält es sich dagegen, wenn man sich ansieht, was Vincent Munier sich selbst antut. Bei Temperaturen nahe minus 50 Grad Celsius in einem Zelt einsam in der Arktis zu übernachten, ist ziemlich verrückt und schwer vorstellbar, wenn man es nicht einmal selbst erlebt hat. Vielleicht hat sich Munier in dieser Nacht wirklich gefragt, wie es um seinen Geisteszustand bestellt ist.
Dem Betrachter seiner in dieser Zeit entstandenen Fotografien wird dafür die Vorstellungskraft ausgehen. Ohne diese Verrücktheit, die Tierfotografen wohl besitzen müssen, um sich von anderen abzuheben, wären die Bilder in diesem Band allerdings nie entstanden. Sie erscheinen in diesem Buch auf normalem Papier. Das unterstützt ihre Wirkung. Meistens sieht es so aus, als seien sie nur in schwarz-weiß aufgenommen worden. Doch das wird wahrscheinlich täuschen, weil es in der arktischen Welt, in der Munier auf die Suche nach seinen Motiven ging, kaum mehr Kontraste gab.
Zu diesem Band, der ohne jeden Kommentar auskommt, gibt es eine Broschüre im gleichen Format, in der man persönliche Worte von Munier und einige Erklärungen findet. Beides zusammen erhält man in einem Schuber. In Muniers Erklärungen steht, dass alle seine Bilder unbearbeitet geblieben sind und ohne technische Hilfen wie künstliches Licht oder Filter entstanden. Für sie war Munier in Kanada, Island Norwegen (inklusive Spitzbergen), Grönland und Alaska unterwegs.
Viele seiner Landschaftsbilder würden auch als sehr gelungene Grafiken durchgehen. Doch dann wären sie nur schön und hätten nicht mehr diesen Doppelcharakter aus Schönheit und dem fröstelnd machenden Abbild einer für Menschen tödlichen Umgebung. Man darf sich dort selbst bei guter Ausrüstung keinen Fehler erlauben, wenn man heil nach Hause kommen möchte. Der Titel dieses Band trifft sehr genau seinen Inhalt. Nur ab und zu sieht man in diesem eisigen Eis ein paar Tiere, die selbst meist weiß sind und deshalb kaum auffallen. Unter den ausnahmslos schönen Bildern findet man auch unerwartete wie beispielsweise ein Foto einer Unzahl von Schneehasen, die sich um Munier Zelt herum postiert haben.
Ein sehr ungewöhnlicher Band, der auf eine ganz spezielle Weise diese unwirtliche Welt und ihre Bewohner zeigt.