Die Geschichte folgt dem Leben von Orlando, einem jungen Mann aus der elisabethanischen Zeit, der sich in eine Frau verwandelt. In einer Mischung aus historischer Fiktion, Fantasie und Satire beleuchtet Woolf Themen wie Geschlechtsidentität, Fluidität und die gesellschaftlichen Normen, die das Leben ihrer Protagonistin bestimmen. ✨
Die Erzählung beginnt im 16. Jahrhundert, als Orlando noch ein Mann ist, und begleitet ihn über mehrere Jahrhunderte hinweg, wobei er von einem historischen Moment zum nächsten springt. Der Wendepunkt der Geschichte, Orlando’s Transformation von Mann zu Frau, erfolgt fast beiläufig und wird von Woolf mehr als Kommentar zur Fluidität von Geschlecht und Identität verstanden. Der Roman bietet eine Reflexion darüber, wie das Außenbild einer Person – sei es das Geschlecht oder die gesellschaftliche Rolle – durch die Zeit und soziale Konventionen geprägt wird, während das innere Selbst weniger verändert bleibt. Die Autorin nutzt Orlando als Spiegel, um gesellschaftliche Erwartungshaltungen zu hinterfragen und die Zwänge zu beleuchten, die Geschlechterrollen mit sich bringen. Was mich aber gestört hat, ist privilegierte Sichtweise, die Orlando als aristokratischer Charakter mit all seinen Vorzügen und Freiheiten durch die Jahrhunderte führt. Virginia Woolf scheint wenig Interesse daran zu haben, die Erfahrungen der weniger privilegierten Schichten in den dargestellten Epochen zu erfassen. Die sehr enge, oft elitär wirkende Perspektive macht das Werk zwar zu einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit Identität und Geschlecht, lässt jedoch andere gesellschaftliche Dimensionen praktisch komplett außer Acht. Auch die Tatsache, dass Orlando nach seiner:ihrem Geschlechterwechsel stärker in die stereotypen Rollen einer Frau verfällt, fand ich störend. Obwohl Orlando zunächst keine große Veränderung in der eigenen Identität bemerkt, führt die gesellschaftliche Rolle einer Frau sie zunehmend zu mehr Bescheidenheit und Eitelkeit. Hier stellt sich die Frage, ob Virginia Woolf nicht selbst bestimmte Rollenbilder zementiert, statt sie zu hinterfragen. 🤔🔍
Für mich war es anfangs eine Herausforderung, da ich das Hörbuch auf Englisch hörte, was viel Konzentration erforderte. Die poetische Sprache, die so oft zwischen Historie und Fiktion schwankt, verlangt mir einiges ab. Die Übergänge von Orlando’s männlicher zu seiner weiblichen Perspektive sind geschickt eingebaut (ich hab aber ehrlicherweise kurz gebraucht, um es zu checken). Trotz der Komplexität des Textes gibt es immer wieder humorvolle und satirische Momente, in denen Woolf die Gesellschaft und ihre Konventionen aufs Korn nimmt. 🎧📚
Die Geschichte springt nicht nur zwischen Jahrhunderten und Geschlechtern, sondern auch zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Stufen und literarischen Strömungen. Besonders spannend ist die Auseinandersetzung mit der Literatur und dem Veränderten literarischen Geschmack im Laufe der Jahrhunderte. Orlando, der zu Beginn des Romans als Dichter kämpft, um Anerkennung zu finden, erlebt eine Welt, in der Literatur und Kunst kontinuierlichen Wandlungen unterzogen werden. 📖🖋️
Was ich jedoch wirklich groß anmerken muss - und ja, das Buch ist 1928 erschienen - ist der Rassismus im Roman. In mehreren Passagen wird die „barbarische“ Welt Afrikas und des Osmanischen Reiches in einem echt kritischen und herabwürdigenden Ton beschrieben, der wirklich unangenehm zu hören ist. Solche Darstellungen wirken besonders unangemessen, wenn man bedenkt, dass Woolf selbst eine sehr progressive Haltung in vielen anderen Bereichen einnahm. ⚠️
Fazit: Virginia Woolf gelingt es, ein Bild von Identität zu zeichnen, das viel weniger starr und viel flexibler ist, als wir es oft in der Gesellschaft sehen. Orlando als Charakter ist so viel mehr als nur eine literarische Figur; er:sie wird zu einem Symbol für das stetige Streben nach Selbstfindung und einem Leben jenseits von Normen. Für Fans von Virginia Woolf wahrscheinlich ein Muss, für mich nach "Ein Zimmer für sich allein" erneut die Frage, ob sie und ich einfach keine Besties werden. ⭐⭐⭐
Virginia Woolf
Lebenslauf
Neue Bücher
Die Dame im Spiegel
Mrs Dalloways Party
Alle Bücher von Virginia Woolf
Mrs. Dalloway
Orlando
Ein eigenes Zimmer
Ein Zimmer für sich allein
Zum Leuchtturm
Die Wellen
Flush
Das Lesebuch
Neue Rezensionen zu Virginia Woolf
Über drei Jahrhunderte lebt Orlando in diversen Rollen und an den verschiedensten Orten. Der junge Adlige am Hof Königin Elisabeths I. wird Diplomat in Konstantinopel. Dann wandelt sich Orlando zur Frau, lebt bei einer Zigeunertruppe, bis sie nach England zurückkehrt und schließlich im 20. Jahrhundert als Schriftstellerin berühmt wird.
Nachdem ich im letzten Jahr „Ein Zimmer für sich allein“ von Virginia Woolf gelesen habe, wollte ich unbedingt auch mal in einen ihrer Romane reinlesen, da ich ihren Stil in diesem Essay als sehr mitreißend empfand.
Interessanterweise ist Woolfs Stil auch in diesem Roman sofort wieder erkennbar und mindestens genauso mitreißend.
Es hat fast etwas von einem Bewusstseinsstrom, wie wir hier durch die angebliche Biografie geführt werden, sodass mein Kopf schon ein wenig gefordert war, immer schon dabei zu bleiben und doch ist die Geschichte in einem unglaublich leichten Ton verfasst, sodass ich diese „Biografie“ in kürzester Zeit durchlesen musste, konnte und wollte.
Das ständige Beharren darauf, dass wir es hier mit einer so weit wie nur möglich wahrheitsgemäßen Biografie zu tun haben (soweit es halt die angeblichen Quellen zulassen), hatte schon etwas Amüsantes, gerade weil es an einigen Stellen extrem übertrieben ist.
Weder darüber, dass Orlando scheinbar nicht altert noch über den Geschlechtswechsel scheint irgendwer wirklich überrascht zu sein. Überhaupt werden alle märchenhaften Aspekte in Orlandos Leben immer von allen anderen Figuren einfach hingenommen.
Einzig der Geschlechtswechsel bringt ein paar juristische Schwierigkeiten mit sich, da Orlando als Frau weder eigenen Besitz noch Titel haben dürfte, woran sich mal wieder Woolfs Kritik am Patriarchat wunderbar ablesen lässt.
Dieses Märchenhafte und auch einige doch sehr szenen- bzw. theaterhafte Stellen muss man mögen und konnten mich mit ihren teilweise sehr übertriebenen Darstellungen mal mehr, mal weniger überzeugen.
Am Ende konnte mich der Text aber immer wieder einfangen und mich mit seinen durchgehenden Themen von Literatur/Schreiben, dem Vergleich von Mann und Frau (Eigenschaften, Rechte etc. - alles gerne auch satirisch überhöht) und auch dem Blick auf die Natur (gerade auch im Hinblick auf die verstreichenden Jahrhunderte) fesseln.
Fazit: Der Schreibstil ist so mitreißend, dass ich nur so durch Orlandos Leben geflogen bin. Zwischendurch fand ich es zwar schon mal etwas zu übertrieben (auch stilistisch), aber am Ende hatte ich einfach nur viel Spaß mit dieser „Biografie“ und habe mich gefragt, was Orlando wohl heute so machen würde. (3,5 Sterne)
26 Studierende und Alumni aus dem Bereich Illustration und Grafikdesign der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle haben im Rahmen des Büchergilde Gestalterpreises 137 Illustrationen zu diesem Werk beigetragen.
Ich bin selten so zwiegespalten bei einem Buch gewesen, wie bei diesem. Ein Klassiker, der mich nur peripher erreicht hat und eine handwerkliche Umsetzung, die mich hat jubeln lassen, ist vielleicht die passende Zusammenfassung.
1922 erschien dieses frühe Werk Virginia Woolfs. Sie beschreibt dort einen einzigen Tag an dem Clarissa Dalloway eine Party vorbereitet und durchführt. Sie bekommt Besuch eines alten Freundes, in dessen Gedanken wir auch eine gewisse Zeit verbringen dürfen. Ein Kontrapunkt zu der sehr oberflächlichen Upper Class Lady ist Septimus Smith, ein Kriegsveteran, der mit einer posttraumatischen Belastungsstörung kämpft. Seine wirren Gedanken, den Umgang, den seine Frau und auch Ärzte mit ihm pflegen, nehmen ebenfalls Raum in diesem Roman ein. Zwischendurch schlägt regelmäßig die Glocke des Big Ben, wir sind in Parks und nehmen, das Geschehen dort im vorbeigehen wahr.
Obwohl ich weiß, dass der mangelnde Tiefgang gerade in der Person, der Clarissa bewusst gewählt ist und einen Gegensatz zu der Schwere der Geschichte um Smith sein soll, hat mich diese Oberflächlichkeit ziemlich genervt, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Die Abschnitte mit Mrs. Delay sind sehr sprunghaft, zeichnen sich durch sehr lange Sätze mit vielen Kommata aus und beinhalten abrupte Gedanken- und Szenewechsel. Damit habe ich mich unglaublich schwergetan. Die anderen Episoden waren inhaltlich besser verbunden und ich konnte dem Geschehen besser folgen.
Ich verstehe durchaus, was die Autorin damit bezwecken wollte, hier sollte etwas Großes geschaffen werden, das stilistisch sehr besonders ist und Gegensätze aufzeigt, die sich auch literarisch abbilden.
Außerdem sind für die Zeit mutige Themen verarbeitet, die sicherlich nicht dem allgemeinen Mainstream entsprachen, wie zum Beispiel die Folgen des Krieges, Umgang mit Status, Feminismus und Sexualität. In der Figur des Smiths spiegeln sich auch Woolfes Kämpfe mit Depressionen wieder und das Ende wirkt wie eine Self-fulfilling Prophecy.
Im starken Gegensatz zu diesem doch eher anstrengenden Werk, finde ich die Gestaltung und Umsetzung der Büchergilde. Die ganzseitigen Illustrationen sind meist abstrakt und immer unterschiedlich, stellen aber konsequent einen Bezug zum jeweiligen Absatz der Geschichte her. Schlägt mal wieder die Glocke des Big Ben wechselt auch der Schriftsatz, ein Kniff, den ich nicht sofort bemerkt habe, den ich aber genial finde. Die vielen Fußnoten setzen noch mal einen Zusammenhang her und haben dss London der 20er Jahre lebendig werden lassen. Ergänzungen im Anhang und besonders den Absatz der sich kritisch mit KI auseinandersetzt empfinde ich als Bereicherung. Ich werde diese Ausgabe ganz sicher behalten und finde sie rund um gelungen.
Eine Empfehlung für alle, die sich mit hochgelobter aber anstrengender Literatur auseinandersetzen möchten und wunderschöne Bücher sehr zu schätzen wissen.
Gespräche aus der Community
Herzlich Willkommen zur Leserunde von Virginia Woolf´s Mrs. Dalloway. 😊
Jede*r ist herzlich eingeladen daran teilzumehmen.
Start ist der 1. November 2024.
Citizen Kane habe ich leider nie gesehen, mein Eindruck war ja mehr von einem Ende das im Sand verläuft, es gibt eigentlich gar nichts greifbares (nicht einmal eine Maus).
Weiter vorne hatte ich den Sand noch einmal als Vergleich aufgegriffen, wie der Sand im Stundenglas des Lebens, der einfach weiter rinnt, egal welche Entscheidungen getroffen werden. Immergruen nannte noch "The Hours" als ursprünglichen Titel von "Mrs. Dalloway", der zu diesem Bild auch gut passen würde. Im Sinne von, Alles fliesst.
Klassiker-Leserunde im Januar
Hier noch meine Rezension dazu: https://www.lovelybooks.de/autor/Virginia-Woolf/Mrs-Dalloway-Mrs-Dalloway-Neu%C3%BCbersetzung--143158450-w/rezension/2823478649/
Biographien lese ich persönlich eigentlich ganz gern, mal sehen, wie diese hier wird und ob es überhaupt eine richtige Biographie ist?
Wikipedia sagt:
Die Handlung beginnt im England des 16. Jahrhunderts. Die Hauptperson Orlando ist ein junger Adliger, der bei Königin Elisabeth I. in hohem Ansehen steht und von ihr einen Landsitz erhält. Während des Frostjahrmarkts auf der im 16. Jahrhundert aufgrund der Kleinen Eiszeit regelmäßig zugefrorenen Themse lernt Orlando eine geheimnisvolle russische Gräfin namens Sasha kennen...
An dieser Stelle habe ich bei Wikipedia aufgehört zu lesen, sonst wird man gleich zugespoilert ;)
Mit der Erkundung der Geheimnisse der russischen Gräfin beginnen wir am 1. Februar, das wäre dann HEUTE ;)
Wie immer zum Schluß unsere Leserunden-Regeln:
1. Beiträge in den Leseabschnitten mit Spoiler-Haken posten.
2. Beiträge in Kategorien posten, wenn man das vergessen hat, kann man es auch nachträglich ändern.
Zusätzliche Informationen
Virginia Woolf wurde am 24. Januar 1882 in London (Großbritannien) geboren.
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