Cover des Buches Lolita (ISBN: 9783499225437)
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Rezension zu Lolita von Vladimir Nabokov

Lieben und Leiden

von rumble-bee vor 10 Jahren

Rezension

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rumble-beevor 10 Jahren
"Lolita, Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden. Meine Sünde, meine Seele: Lo - li - ta." Immer noch, auch bei der mittlerweile zweiten Lektüre, haut mich dieser Beginn völlig aus den Socken, und trifft mich irgendwo zwischen Magengrube und Herz. Diese Zeilen kennzeichnen auch die ganze Zwiespältigkeit des Buches. Als Leser schwankt man ständig zwischen emotionaler Betroffenheit und abgrundtiefer Verdammung. Gerade das, zusammen mit der sprachlichen Kunstfertigkeit, macht für mich den Weltrang dieses tabubrechenden Klassikers aus.

Ein 40jähriger, der sich in eine 12jährige verliebt, und deren Mutter heiratet, um ihr nahe zu sein. Nach dem überraschenden Tod der Mutter schnappt er sich das Kind, reist mit ihm quer durch Amerika, nutzt es aus, spioniert ihm nach, liebt, leidet, rast. Mal ganz abgesehen von den moralischen Fragen, kann so etwas einfach nicht gut gehen. Es endet dramatisch, und "Humbert Humbert" schreibt seinen Bericht als Rückblick, während er bereits im Gefängnis sitzt.

Für mich ist das der genialste Kunstgriff des Autors überhaupt. Die Rückblick-Technik, zusammen mit dem verschrobenen Charakter des Pädophilen, führen zu einer Ausdrucksweise, die es in sich hat. Humbert fährt alle ihm möglichen sprachlichen und rhetorischen Kunststücke auf, rechtfertigt sich, umspielt, beschreibt, witzelt. Ich bin sicher, man könnte das Buch zehnmal lesen, und hätte immer noch nicht alle Sprachspielereien, Anagramme etc. gefunden...! Großartig auch, dass er eigentlich "alles" sagt, ohne einen einzigen vulgären oder pornographischen Ausdruck zu verwenden. Genial gemacht! Gleichzeitig ist das Buch aber auch eine überaus beißende, satirische Darstellung des amerikanischen Mittelstandes der 50er Jahre. Bitterböse, aber zutreffend!

Als ich das Buch als Teenager zum ersten Mal las, blieb ich an der Oberfläche, und las rein auf den Plot, das Tabu und die Auflösung hin. Mittlerweile traue ich mich aber zu sagen, dass das Buch für mich eben auch eine Liebesgeschichte ist. Wenngleich auch eine, die fürchterlich verläuft, und noch fürchterlicher endet. Aber Humbert Humbert hat seine Dolly wirklich geliebt, und merkt dies erst, als es zu spät ist. Letztlich schimmert in der Gefängniszelle auch so etwas wie Selbstkritik durch, und eine abgrundtiefe Sehnsucht nach dem Möglichen und Verlorenen. Das berührt mich grundsätzlich sehr...

Ein Teil von mir hat sich Humbert Humbert genähert, seine Qual nachvollzogen. Im Grunde ist dieser Mann schon zu Lebzeiten bestraft gewesen. "Lolita" macht für mich deutlich, was nur wahre Kunst zu schaffen imstande ist: gleichzeitig aus zwei Perspektiven zu sehen, ohne eine davon zu verabsolutieren. Meine Sünde, meine Seele: Lo. Li. Ta.
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