Cover des Buches Die Akte Vaterland (ISBN: 9783462044669)
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Rezension zu Die Akte Vaterland von Volker Kutscher

Die Ermittlungen führen den Kommissar diesmal aus Berlin heraus

von Heimfinderin vor 11 Jahren

Rezension

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Heimfinderinvor 11 Jahren
Inhalt
Berlin 1932: Im Vergnügunspalast „Haus Vaterland“ wird die Leiche eines Spirituosenlieferanten gefunden. Kommissar Gereon Rath wird die Ermittlung im Fall übertragen und aufgrund der Todesart ergibt sich eine Verbindung zu anderen Mordfällen, die Rath aus Berlin heraus- und weit nach Ostpreußen hineinführen, genauer in den Ort Treuburg in Masuren. Während der Kommissar sich dort als Großstädter mit dem Misstrauen der Landbevölkerung und eigenen Befremdlichkeiten herumschlagen muss, versucht seine Freundin Charly direkt im Haus Vaterland den Hinweisen auf Schnapspanscherei und Erpressung nachzugehen. Und Rath kommt trotz der dörflichen Mauer des Schweigens immer mehr Hinweisen auf die Spur, die ihn auch diesmal wieder zu gefährlichen Alleingängen treiben.

Meine Meinung
Ich habe bisher alle Krimis dieser Reihe gelesen und auch, wenn man die einzelnen Fälle für sich alleine lesen kann, so empfehle ich doch, die Vorgänger "Der nasse Fisch, "Der stumme Tod" und "Goldstein" ebenfalls zu lesen, um die Entwicklung der Figuren, einige Anspielungen auf vorherige Fälle und die fortschreitenden politischen Veränderungen mitzuerleben. Für den Krimi selbst ist die Hintergrundgeschichte vielleicht nicht so wichtig, aber sie erklärt schon das ein oder andere Verhalten Gereons oder Charlys während ihrer Ermittlungen. Was die politischen Veränderungen betrifft, ist es gerade deshalb so spannend, die Bücher in der Reihenfolge zu lesen, da man dann besonders gut spürt, wie sich von Jahr zu Jahr die Stimmung verändert und sich zuspitzt und sich dies auch mehr und mehr auf die Polizeiarbeit und das Privatleben auswirkt, nicht nur durch die verstärkten Straßenschlachten zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten.

Denn das ist eine große Stärke der Krimireihe. Detailliert recherchiert, versteht es der Autor, die Stimmung der damaligen Zeit eindringlich dem Leser rüberzubringen. Es gruselt einen regelrecht, wenn man beobachtet, wie sehr das Erstarken der Nazis noch auf die leichte Schulter genommen wird, wie ein unangenehmes Übel, das man "ja einfach nicht zu wählen braucht", während man aber wie Gereon schon länger aus politischem Desinteresse nicht mehr zur Wahl geht. Beim Lesen verstärkt sich da sehr das Unbehagen, da man ja die kommenden Geschehnisse kennt. Andererseits macht gerade dieses gedankenlose Verhalten vieler neben den mehr und mehr aufkommenden Nazisprüchen anderer, die Figuren besonders authentisch, denn wir im Nachhinein können leicht schlauer sein. Diese so gut eingefangene Atmosphäre lässt mich besonders bangen, was die Zukunft wohl für jeden Einzelnen erwarten lässt. Denn gerade in den noch folgenden Jahren wird sich auch Gereon mit den drohenden politischen Ereignissen wohl ernsthafter auseinandersetzen müssen, als nur seinen Widerwillen zu zeigen.

Der Fall selbst ist wieder sehr spannend zu lesen. Inhaltlich will ich gar nicht ins Detail gehen, um nicht zu viel zu verraten. Auf jeden Fall gibt für uns Leser viele Puzzleteile zusammenzuführen, bis man die Zusammenhänge der aktuellen Morde in die Vergangenheit zurückverfolgt hat. Denn Rath gräbt seinem Instinkt folgend in Masuren, dem verbissenen Schweigen der Einwohner zum Trotz, weit in den Tiefen der dort lieber für immer vergrabenen früheren Geschehnisse, auch wenn er sich selbst damit in Gefahr begibt. Und auch wenn ich schnell einen berechtigten Verdacht hatte, konnte ich sehr gut bis zum Ende über die Zusammenhänge und Hintergründe miträtseln. Mir gefiel hier sehr gut, dass Gereon mal aus Berlin herausgezogen wurde und in Masuren mit ihm als Großstädter zwei Mentalitäten aufeinanderprallten und man als Leser ganz nebenbei zudem noch ein paar politische Hintergründe über die Region in Ostpreußen mitgeliefert bekam. Trotzdem konnte man durch Charlys verdeckten Einsatz im "Haus Vaterland" in Berlin auch dort die weiteren Ermittlungen und Entwicklungen zum Fall mitverfolgen. Hier bekam man auch sehr gut die oft frauenfeindlichen Begegnungen im Zusammenhang mit Charlys Berufswahl mit.

Das Verhältnis zwischen Gereon und Charly war und ist nicht einfach, auch wenn Charly bisher schon Einfluss auf Gereons Charakter ausüben konnte. Gereon ist einfach ein schwieriger Mensch mit Ecken und Kanten und gerade sein Mangel an Teamgeist, seine zwischenmenschlichen Schwierigkeiten und seine oft fehlende Sensibilität, die doch für eine Partnerschaft so wichtig sind, verursachen bei mir während des Lesens öfter das Gefühl, ihn mal kräftig schütteln zu wollen. Er steht sich einfach selbst sehr oft im Weg, trotzdem erkennt man seinen guten Kern und seinen Sinn für Gerechtigkeit, der ihn immer wieder in seinen Fällen erfolgreich vorantreibt. Ich bin sehr gespannt, wie er sich in Zukunft als bisher politisch Desinteressierter, aber mit einer großen Abneigung gegen das Gebaren der Nazigruppierungen, die er auch gerne mal öffentlich äußert, weiter verhalten wird. Denn sein Beruf als Polizist ist ihm wichtig, sein Gerechtigkeitssinn aber wohl dabei nicht in eine Schublade zu packen.
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