Rezension zu "Das Paradies am Rande der Stadt" von Volker Strübing
Dass Thüringen kein literarisch unbeflecktes Bundesland ist, dürfte eigentlich nicht verwundern. So schufen Goethe und Schiller in dem beschaulichen Freistaat ihre erfolgreichsten Werke und so versuchen auch heute noch alle Städte damit zu wuchern, dass Goethe hier und dort bereits schon einmal seinen Fuß hinein gesetzt hat.
Mit dieser Geschichtsverklitterung geht jedoch auch der Fokus auf die Zukunft und mögliche Chancen verloren und neue Töchter und Söhne Thüringens fallen unter den Tisch.
Der Autor
Einer dieser “Vergessenen” ist Volker Strübing, der 1971 im kleinstädtischen Sondershausen geboren wurde, sich jedoch vermutlich nie als Thüringer bezeichnen würde, da ihn das Leben in Berlin schon seit seiner Kindheit prägte und das bis heute.
So überrascht es nicht, dass Volker Strübings Debütroman “Das Paradies am Rande der Stadt” von 2006 (erschienen im yedermann-Verlag), ebenfalls in Berlin spielt.
Der Inhalt
Konkret verschlägt es den Leser in die Jahre nach 2040, in eine Zeit, in der die Kevins und Emily-Sophies der 90er und 00er Jahre schon Opas und Omas sind und der Konsum im Mittelpunkt aller Interessen zu stehen scheint. Werbung beherrscht das öffentliche Leben, die Menschen gehören mittlerweile Konzernen oder obskur religiösen Gemeinschaften an. Und selbst letztere vergöttern mittlerweile den Mammon und degradieren ihre Gottheiten zu Pappkameraden, die den Herrschenden als Vorwand dienen mehr Menschen in ihre Abhängigkeiten zu ziehen.
Diesen Entwicklungen hat ein gewisser Edwin Ruben Lösser versucht einen Gegenpol zu setzen und entwickelte Eden - ein Produkt, das vollkommenes Glück bescheren sollte, indem eine künstliche Intelligenz über die Interessen und Wünsche der Menschen wacht und diese zu erfüllen versucht. Der Haken an der Geschichte ist, dass die Menschen dafür in große schwarze Würfel müssen, die in 1000 Städten weltweit verteilt sind, und ihr bisheriges Leben aufgeben müssen. Das gefällt nicht allen, daher hat das Projekt Eden gewisse “Nachwuchsschwierigkeiten”, die es zu beheben versucht.
Auf der anderen Seite steht eine Widerstandsgruppe, die versucht hinter das Geheimnis der schwarzen Würfel zu kommen und Eden das Handwerk zu legen. Der junge verpickelte Teenager Theo ist ebenfalls Mitglied dieser Gruppierung und so wenig Erfolg er auch bei realen gleichaltrigen Frauen hat, so erfolgreicher ist er doch bei den Frauen im Internet - die er sich jedoch auch selbst programmieren muss. Durch für ihn mysteriöse Umstände gerät er in den Strudel der Ereignisse und findet sich als Schlüsselperson im Kampf um die Zukunft der Menschheit wieder.
Dabei wird er auf eine Odyssee quer durch den Berliner Großraum und das Internet geschickt und bemerkt das erste Mal in seinem Leben, wie verquer sich die Gesellschaft entwickelt hat und welche menschlichen Abgründe das komfortable Leben der “normalen” Bewohner Berlins mit sich ziehen.
Sprache und Eindruck
Mit viel Witz, Dialekt und Erfindergeist kreiert Strübing eine Welt, die unsere Protagonisten so menschlich und nah darstellt, dass Bösewichte fast schon zu nett und freundlich wirken, aber die Helden umso liebenswerter macht. Durch diese Menschlichkeit, die das komplette Buch auszeichnet, schafft es Strübing auf unter 200 Seiten eine Geschichte zu erzählen, die fesselt und am Ende doch mit einem Plottwist überrascht, den vermutlich die wenigsten erwartet hätten.
Das sah vermutlich auch die Jury des “Deutschen Science Fiction Preis 2006” so und vergab in der Kategorie Bester Roman den zweiten Platz an Volker Strübing.
Ich habe mir übrigens die Neuauflage von 2013 gegriffen, die im Voland & Quist Verlag erschien.