Fundierter, wenn auch trockener Blick auf ein „Schicksalsjahr“ deutscher Geschichte
Es ist das Jahr, in dem am Ende die Löhne täglich ausgezahlt werden und man sehr schnell mit sehr viel Scheinen und sehr hohen Zahlen darauf zum Händler zu laufen hatte, damit man für den Lohn noch etwas an Ware bekommt. Oder eben auch erlebt, dass der Preis eines Getränks zwischen der Bestellung und dem Bringen sich offiziell bereits verdoppelt hatte. In dem ein Amerikaner mit 100 Dollar Monatseinkommen fürstlich in Berlin leben konnte samt Personal. Und überhaupt jeder Zugang zu Devisen für Reichtum sorgte.
Aber auch das Jahr, in dem Gustav Stresemann ein um das andere Mal gegen persönliche Verunglimpfungen, vor allem aber gegen das Ende der Demokratie als Kanzler anzugehen hatte.
Das Jahr, in dem im November Adolf Hitler mit seinen Getreuen, da eher noch dilettantisch, in München den Umsturz versuchte.
Das Jahr, in dem Thomas Mann im Nachtleben von Berlin aus dem Staunen nicht mehr herauskam und eine Art „apokalyptischer Orgie“ zum Lebensinhalt für nicht wenige Besucher des Nachtlebens sorgte. Es war ja eh alles egal, denn mit dem Wert des Geldes wankten alle Werte.
Und eine Zeit, in der kühle Rechner mit Zugang zu Reserven und Sachmitteln ganz Industrien und hochwertige Firmen aufkauften, denn so billig im Preis sollte es am Ende nie wieder werden.
Es war ein überaus, existenziell für das Land Deutschland, veränderndes Jahr der Geschichte, Dessen Ereignisse noch lange in Form einer entstehenden Diktatur, aber auch einer inneren Mentalität der „Inflationsangst“ bis in die Gegenwart hinein nachwirkte.
Eine Zeit, in der nicht nur „am Rande des Abgrunds“ vielfach balanciert wurde, sondern am Ende auch nicht wenige und weniges hineinfielen. In diesen Abgrund der Geschichte und des täglichen Lebens.
In seinem Blick auf dieses Jahr geht Volker Ullrich dabei thematisch vor, betrachtet nacheinander die Entstehung der Krise in „Uhrbesetzung und Ruhrkampf“, vollzieht den Weg von der „Inflation zur Hyperinflation“ detailliert nach samt der Folgen für den „normalen Bürger“ des Landes, zeigt die Versuche der Politik zur Krisenlösung auf (die am Ende gelingen wird, aber erst spät). Um dann im „Deutschen Oktober“ die revolutionären Tendenzen aus allen Richtungen vor Augen zu führen, die im immer lauteren Ruf nach einem „Diktator“ eskalierten, zumindest einem „diktatorischen Regime“ mit einer kleinen Gruppe allein an der Spitze. Wobei er in einem gesonderten Kapitel den „separatistischen Bewegungen“ besonderes Augenmerk schenkt, die „Kultur der Krise“ fundiert verfolgt und, natürlich auch, die „Stabilisierung“ Schritt für Schritt nachvollzieht.
Dies alles vollzieht Ullrich sehr fachkundig und detailliert, allerdings eben ob des sehr faktischen Tonfalls auch mit einer gewissen Trockenheit im Stil versehen, die manches Mal die Lektüre auch anstrengend und wenig flüssig gestaltet.
Dennoch bildet „Deutschland 1923“ einen hervorragenden Einstieg und Überblick in die vielfachen Krisen und Problematiken jenes Jahres, die in Teilen bis in die Gegenwart nachwirken und zu drastischen Folgen im Lauf der dann folgenden Jahre am Ende führte.