Ich habe das Buch sechsmal gelesen. Es ist für mich das relevanteste Werk der letzten 50 Jahre. Ein Meisterwerk der deutschen Literatur.
W.G. Sebald
Lebenslauf von W.G. Sebald
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von W.G. Sebald
Austerlitz
Die Ringe des Saturn
Die Ausgewanderten
Unheimliche Heimat
Die Beschreibung des Unglücks
»Auf ungeheuer dünnem Eis«
Campo Santo
Nach der Natur
Neue Rezensionen zu W.G. Sebald
Rezension zu "Austerlitz" von W.G. Sebald
Der Name des rätselhaften Fremden, den der Erzähler immer wieder in verschiedenen Städten Europas scheinbar zufällig trifft, ist Jacques Austerlitz. Nach und nach enthüllt sich dessen Lebensgeschichte, der in London lebt. Austerlitz ist aber kein Engländer, sondern ist als jüdisches Flüchtlingskind nach Wales in eine Pflegefamilie gekommen. Er wächst bei einem Prediger und dessen Frau heran und erfährt erst Jahre später seine wahre Herkunft, die erklärt, warum Austerlitz sich immer als Fremder unter Menschen fühlt.
Mit Austerlitz hat der bei einem Autounfall verstorbene W. G. Sebald einen sehr außergewöhnlichen Roman geschaffen. Der Leser begleitet Austerlitz auf seiner Suche nach seiner Herkunft quer durch Europa und dessen jüngeren Geschichte. Eine wichtige Rolle im Roman nehmen immer wieder Bauwerke und deren Architektur wie Bahnhöfe, Festungen oder Bibliotheken ein, die sehr detailreich und ausufernd beschrieben werden. Diese Bauwerke rufen bei Austerlitz Gefühle hervor und lassen ihn nach dem Kontext ihrer Entstehungsgeschichte fragen. An verschiedenen Stellen sind Fotografien abgedruckt, die wunderbar die oft melancholische Stimmung einfangen und sich gut in den Text einfügen. Im Mittelpunkt steht aber die Figur von Jaques Austerlitz, die zunächst einen sehr rätselhaften Eindruck macht. Von einem calvinistischen Prediger erzogen, arbeitete er später als Kunsthistoriker in London. Dabei scheint er mit seiner eigentümlichen Kleidung und seiner kultivierten Art aus der Zeit gefallen zu sein. Immer wieder sind es verschiedene Orte, die seine Erinnerung beflügeln und ihn dazu ermutigen, sich auf die Suche nach seiner Herkunft und Identität zu machen.
Neben der außergewöhnlichen Geschichte ist es aber auch die Sprache, die dieses Buch zu etwas Besonderem macht. Es wird aus einer scheinbar seltsamen Perspektive erzählt: Ein namenloser Ich-Erzähler gibt in indirekter Rede das Gesprochene von Austerlitz wider. Die Sätze sind häufig eine halbe Seite oder länger und erschließen sich nicht immer beim ersten Lesen. Die gewählte Sprache ist ruhig und rhythmisch. Die detailreichen Beschreibungen der Bauwerke lassen diese vor dem inneren Auge lebendig werden. All das macht es dem Leser nicht immer einfach, dem Geschehen und den Darstellungen zu folgen und erfordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Wer sich nicht auf die Geschichte und den Stil einlässt, wird nur wenig Freude an diesem Buch haben.
Sebalds Austerlitz gilt zu Recht als moderner Klassiker. Ich kenne nur wenige deutsche Autoren, die so virtuos und schön schreiben können und dabei auch eine spannende Geschichte quer durch Europa erzählen. Interessierten kann ich nur empfehlen, sich Zeit zu nehmen und sich auf die Herausforderung einzulassen, die dieses Buch an sie stellt. Es lohnt sich!
Rezension zu "Die Ringe des Saturn" von W.G. Sebald
Nur mal angenommen, ich würde fragen: „Wer will mal ein richtig deprimierendes Buch lesen?“, würden sich wahrscheinlich nicht viele Hände heben. Für mich war die Lektüre dieses Buches eine derart deprimierende Erfahrung, dass ich es eilig hatte, es wieder in die Bibliothek zurückzuverfrachten.
Kriege, Massenmorde, Ausbeutung. Einzelne, die aus der Masse der plündernden Horden heraustreten, um den Schwachen beizustehen, werden einen Kopf kürzer gemacht. Das ist die Menschheitsgeschichte – und damit auch die Kolonisationsgeschichte Englands – nach Sebald. Unerbittlich, hat ihn eine Freundin von mir genannt, die seine Bücher mehr zu schätzen weiß als ich, ihn aber ebenso wenig zu Ende lesen konnte. Unerbittlich sticht er dort hinein, wo es weh tut, wo man am liebsten nicht zu lange hinschauen möchte als mitfühlender Mensch, unerbittlich hält er dein Auge offen, die Lider gespreizt, bis dir die Tränen runterlaufen.
Sebalds sehr eigener Stil zieht die Leserin mit auf eine mäandernde Wanderung – weniger durch seine Wahlheimat England als durch die Historie. Die Beschreibung von Schlössern wird überwuchert vom allgegenwärtigen Verfall, von erzählten Verlusten, Schmerzen, Schandtaten. „Präzise“ nennt der Klappentext seine Sprache, und da muss ich zustimmen; „klar“ nennt er sie auch, und da stimme ich nicht zu. Dafür sind halbseitige Sätze einfach zu lang; Satzstellungen, die von der gewohnten sich unterscheiden (so wie ich hier das „sich“ nach hinten gezogen habe) und mir manchmal als etwas manieriert erschienen, erschweren den Lesefluss zusätzlich.
Versteht mich bitte recht: Ich habe überhaupt nichts Grundsätzliches einzuwenden gegen lange Sätze oder einen besonderen Stil (im Gegenteil!); auch mit diversen schlimmen Kapiteln der Geschichte habe ich mich befasst und befasse mich noch. Aber hier kommt für mich irgendwie zu viel zusammen. In den „Ringen des Saturn“ schrumpft das Schöne neben dem übermächtigen Schrecklichen zu kleinen Fußnoten, das Wunderbare, das Menschen einander geben können, geht im Grauen unter, und das Fröhliche – das kommt vor lauter Traurigem schlicht gar nicht vor.
Und das finde ich einfach nicht richtig. Ich glaube nicht daran, dass es uns besser geht, wenn wir unseren Blick ausschließlich auf das Tragische fixieren. Aus meiner Sicht ist das nicht gut für die/den Einzelnen, und nicht gut für uns als Gesamtheit.
Ich halte es mehr mit Ecos William von Baskerville, der das Lachen liebt und danach trachtet, es zu bewahren.
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