Rezension zu "Bettina von Arnims Armenbuch" von Bettina von Arnim
Bettina von Arnim (1785-1859) war nicht nur eine herkömmliche Dichterin, sondern sie nutzte ihre Bekanntheit und ihre gesellschaftliche Stellung auch, um sich öffentlich zu engagieren. Zu engagieren für die Rechte der Frau, gegen Armut und für die sozial Schwachen. Sie wuchs von einer romantischen Autorin zu einer progressiven Schriftstellerin der Literatur des Vormärz heran.
Bereits 1843 veröffentlichte sie das "Königsbuch", in dem sie sich direkt an den König wandte und auf Missstände und Not aufmerksam machte. 1844 dann entstand die Idee zu einem Werk über das Armenwesen, dem sogenannten "Armenbuch".
Für das "Armenbuch" begann sie Fakten über die Situation der Ärmsten zu sammeln. Von dem deutsch-schlesischen Fabrikanten Friedrich Wilhelm Schlöffel bekam sie eine erste Liste mit detaillierten Angaben zu schlesischen Webern. Nach einem Aufruf in verschiedenen Zeitungen erhielt sie weitere Listen mit Namen und Zahlen zu deren Einkommen und Ausgaben, die deutlich machten, dass oft der erarbeitete Lohn, ohne dazu zu betteln, nicht zum Nötigsten für das Leben reichte.
Diese Listen stellte sie zusammen und diese gingen im Mai 1844 in Druck und wurden teilweise veröffentlicht. Wenige Wochen darauf brach in Schlesien der Aufstand der Weber los und Bettina von Arnim geriet unter den Verdacht, dass sie mit ihrer Arbeit mit dazu beigetragen hat, die Weber aufzuhetzen und somit mitverantwortlich für den Aufstand zu sein. - Bettina stellte die Arbeit an dem "Armenbuch" ein.
Das hier jetzt zu lesende "Armenbuch" ist nicht identisch mit dem, das die Autorin 1844 erarbeitete. Die damals vorgesehene Ausgabe war eher eine Bestandsaufnahme, eine Auflistung von aktuell lebenden Betroffenen, für die Frau von Arnim dadurch Zuwendung erhoffte, also eher eine Statistik und kein von der Autorin verfasstes Werk. Die hier vorliegende Ausgabe, herausgegeben von Werner Vordtriede im Insel-Verlag Frankfurt a. M. 1981, vereint Texte, die rund um das damalige "Armenbuch" entstanden. Es sind darin Briefe, Zeitungsartikel, Notizen, Bettinas Bergpredigt, das geplante Nachwort zum "Armenbuch" und "Die Erzählung vom Heckebeutel" von Frau von Arnim enthalten, sowie weitere Informationen zu diesem Projekt "Armenbuch".
Es ist eine sehr lesenswerte kommentierte Texte-Zusammenstellung, die Einblick in das Denken und Engagement dieser außergewöhnlichen Frau bietet. Es wird deutlich, dass ihr Herz für die Armen und Ausgebeuteten schlug. Immer wieder setzte sie sich beim König für die Schaffung eines "Armutsministeriums" ein.
Deutlich wird aber auch, dass sie gedanklich nicht zu den Wurzeln der Armut vordrang. Sie kratzte an der Oberfläche, stellte dar, was sie sah, und wollte diese konkrete Situation helfen zu verändern. Sie erkannte nicht, dass die Ursachen der Armut der schlesischen Weber in der damals aufstrebenden kapitalistischen Produktionsweise und dem politischen System Deutschlands selber lagen. Sie ging, wie Briefe an den König und andere Textdokumente deutlich zeigen,.davon aus, dass der König nur vom Elend nicht wüßte, weil er von unfähigen Beratern umgeben war, die ihm nicht richtig informierten. - Sie war also nicht revolutionär gesinnt. Aber: sehr humanistisch und solidarisch mit den Armen, was zu jener Zeit, in dem Stande, in dem sie lebte, gar nicht selbstverständlich war. Und dies zeichnet diese Frau auch aus heutiger Sicht noch aus.