Rezension zu Die Zeit der roten Früchte von Wiebke Eden
Rezension zu "Die Zeit der roten Früchte" von Wiebke Eden
von ChiefC
Rezension
ChiefCvor 14 Jahren
Literatur abwracken, Schriftsteller in den Streichelzoo." Das ist der nicht ganz ernst gemeinte Vorschlag des Magazins Stern "für die krisensichere Zukunft des Buchmarkts." Denn wer will in Zukunft noch Literatur lesen, barmt der Redakteur angesichts der Bestsellerliste - wohlgemerkt der Bestsellerliste in der Sparte Belletristik. Sie wird beherrscht von Mängelexemplaren" und Feuchtgebieten", von keuschen Vampiren und Zauberlehrlingen. Trotz alledem: Es gibt sie noch, die Literatur zwischen all dem leichten Lesefutter. Dank Autorinnen wie Wiebke Eden, dank Verlagen wie Arche. Die norddeutsche Journalistin Wiebke Eden hat mit ihrem Debütroman Die Zeit der roten Früchte" ein Werk verfasst, das sich mit seiner nüchternen, klaren Sprache wohltuend abhebt. Abhebt von all der Massenware, die zwischen pubertärer Provokation und windelweicher Weltflucht schwankt. Man merkt Wiebke Eden die Journalistin an, die es gewohnt ist, sich knapp auszudrücken, keine Zeile an eine Phrase zu verschwenden. Ihre Sätze sind prägnant, umfassen oft nur: Subjekt, Prädikat, Objekt. Eden psychologisiert nicht, sie erklärt nicht, schreibt eine Rezensentin. Sie verarbeitet gelebtes Leben, bemerkt eine andere. Es ist das Leben eines einfachen Mädchens vom Lande. Nie ist das Jahr dort heiterer als im Frühsommer, wenn Erdbeeren, Kirschen und Johannisbeeren reifen: Die Zeit der roten Früchte." Es ist eine Idylle in einem Dorf bei Stettin, eine trügerische Idylle, die nicht erst der Zweite Weltkrieg beenden wird. Greta macht in jenem Sommer 1939 ihre ersten erotischen Erfahrungen. Sie wird schwanger, will aber den Vater des Kindes nicht heiraten, überlässt ihre Tochter später der Mutter und verliebt sich in einen anderen. Das ist die simple Geschichte von Greta, die aber untrennbar mit der Weltgeschichte verquickt ist. Doch die große Politik dringt nicht erst mit dem Beginn des Krieges ins Dorf. Vorher schon bedrängt der Schuldirektor immer wieder den Vater, in die Partei einzutreten. Dem Kolonialwarenhändler werden die Scheiben eingeschmissen. Den Kaufmann habe man weg gebracht, erzählen sich die Leute hinter vorgehaltener Hand. Die Geschichtsschreibung hat sich die längste Zeit nur der Täter angenommen: Nero, Napoleon, Hitler, Stalin - Ihre Lebenswege wurden x-mal erforscht, interpretiert und auserzählt. Die Literatur hingegen nahm sich schon viel früher des Schicksals der einfachen Leute an, derjenigen, die zwar keine Geschichte schreiben aber sie erleiden. Man denke nur an Grimmelshausens Simplizissimus. Wiebke Eden hat das Thema also sicher nicht erfunden, aber sie setzt es mit Bravour um. Eine Redakteurin des Jeverschen Wochenblattes, wo Wiebke Eden selbst ihre Laufbahn als Journalistin begann, fasst das perfekt in Worte: Im Krieg rücken die Menschen zusammen und diese Dichte findet sich wunderbar auch im Stil wieder." Als Vorlage diente Wiebke Eden die Geschichte einer Großtante ihres Mannes. Es gibt noch Tausende solcher Geschichten. Und wenn nur einige so gut erzählt werden wie Die Zeit der roten Früchte", dann muss man um die Zukunft der Literatur nicht bangen.