Aussichtslos?
„Saudi-Arabiens Wahabiten nehmen es mit ihren zwei ärgsten fundamentalistischen Gegnern auf. Sei es der (ideologisch nahestehende) IS, sei es der Iran, die traditionelle Anlehnungsmacht aller….Schiiten des Nahen Ostens“.
Seit 1979, seit der Revolution im Iran, besteht diese Lage zweier konkurrierender, großer Mächte im Nahen Osten, Iran und Saudi-Arabien, die den jahrhundertelangen Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten seit dieser „Zeitenwende“ im Nahen Osten auch offen und offensichtlich Gestalt und Form nun geben.
Eine Reibung, aus der im Laufe der Jahre vielfache Gruppierungen, darunter nicht wenige überaus radikale, terroristische Gruppierungen hervorgegangen sind, die mal von der einen, mal von der anderen Seite unterstützt werden, mal von der einen, mal von der anderen, mal von beiden Seiten bekämpft werden.
Buchtas erstes (und nicht unwichtiges) Verdienst mit diesem Werk ist zunächst, in das, von außen betrachtet, „Wirrwarr“ der religiösen Gruppen und machtpolitischen Interessen eine verständliche Klarheit zu bringen. Der Leser ist am Ende der Lektüre mit den verschiedenen Gruppierungen, ihren Kernzielen und ihren historischen Ursprüngen sachlich vertraut.
Zum zweiten ist Buchta fundiert in der Lage, begründete Parallelen zu ziehen zwischen Konstellationen. So ist seine These, dass die gegenwärtige Situation zwischen Irak, Iran, Saudi-Arabien, Syrien und Anliegerstaaten die Situation des iranischen Revolutionsjahres 1979 widerspiegelt. Nur dass der Konflikt nicht mehr örtlich begrenzt und mit wesentlich härteren „Bandagen“ ausgefochten wird. Und dabei über den engeren Kreis der Rivalität im „Westen“ ein zwar nicht unbedingt neues, aber in der Gegenwart sehr massiv „angriffswürdiges“ Ziel abgibt.
Um nun aber die gesamte Entwicklung zu sehen, geht Buchta in seinem, sehr nüchtern und, was die nahe Zukunft der Region und damit auch die Sicherheit Europas angeht, durchaus pessimistisch orientierten Werk historisch in Teilen auch weit zurück und leitet aus den Ursprüngen des Islam und den dort schon vorfindlichen Rivalitätskämpfen und Kriegen die Entstehung der gegenwärtigen Nationalstaaten als fragile Gebilde her ab. Mit den Folgen einer „harten Hand“ meist an der Spitze dieser Staaten, um die eigenen Machtpositionen auch im je eigenen Land mit allen Mitteln möglichst zu sichern und zu kontrollieren.
Aus diesen Machtinteressen heraus wird dabei seit ebenfalls Jahrhunderten der Islam in fundamentalistischer Prägung benutzt. Zum einen, um im Rahmen der strengen Regelungen mit Härte religiös „begründet“ gegen das eigene Volk vorgehen zu können, zum anderen eine nationale Identität durch konkrete „Feindbilder“ zusammenzuschweißen. Wobei die Inhalte dabei durchaus auch innerhalb der gleichen gesellschaftlichen Gruppen variieren können.
„Bisweilen aber zeigen sich Fundamentalisten – insbesondere in ihren schiitischen Spielarten erstaunlich flexibel, wenn es darum geht, neue ideologische Elemente zu schaffen, oder moderne Elemente, etwa aus der Demokratie, in Anspruch zu nehmen, gemäß ihrer Lesart umzudeuten und ihren Zielen anzupassen“.
Thesen, für die Buchta immer wieder praktische Beispiele heranführt und die, im Gesamten der Lektüre, zu einem äußerst pessimistischen Ausblick kommen, vor allem im Blick auf das Scheitern „der Ideologie des säkularen arabischen Nationalismus“ (in den diversen Kriegen mit Israel und mit Husseins Einmarsch in Kuwait).
So ist es für Buchta ein klarer Fakt, dass demokratische Strukturen in der Region (bis auf wenige Ausnahmen) chancenlos waren und sind.
Man muss nun den pessimistischen Unterton Buchtas nicht in allen Belangen teilen, dennoch bietet dieses Werk eine wichtige und sachlich belastbare historische Herleitung der Lage in der Region, mit der die tiefgehende „Starrheit“ der Ideologien und „Fronten“ vor Augen geführt wird und der „Clash of Civilizations“ in der Gegenwart, auch als beginnender Riss mitten in den Gesellschaften Europas, überzeugend begründet wird.
Ein sehr lesenswertes Buch, um die Grundlagen des Konflikts und seine aktuelle Lage realistisch einschätzen zu können und eine Wahrnehmung gerade auch der negativen Folgen für den Islam und seine Anhänger selbst. Folgen, die innere Entwicklungen und „Reformationen“ stark behindern bis unmöglich machen und zu einer sich zuspitzenden Reibung zwischen den globalen Wertesystemen zunehmend führen.
Wilfried Buchta
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Wilfried Buchta
Die Strenggläubigen
Terror vor Europas Toren
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Neue Rezensionen zu Wilfried Buchta
Rezension zu "Terror vor Europas Toren" von Wilfried Buchta
Bei diesem Buch verwirrt zunächst einmal der Titel, denn er stimmt , wenn man ihn eng auffasst, weitgehend nicht mit dem Inhalt des Buches überein. Der Autor behandelt in seinem Text in Wirklichkeit die jüngere Geschichte des Irak mit einem klaren Schwerpunkt auf der Zeit seit 2003. Dass es dabei in letzter Konsequenz auch um das entstandene Kalifat des Islamischen Staates geht, ist natürlich kein Zufall, denn der Autor beweist, dass dieses Kalifat der Ausfluss einer katastrophal gescheiterten Politik der USA und ihrer Verbündeten ist. Und um genau dieses Scheitern, seine Ursachen, seine Kosten und seine Folgen geht es hier.
Zur Erinnerung: Nachdem die Weltöffentlichkeit vor der UNO dreist belogen wurde, überfielen die USA und einige ihrer Verbündeten den Irak, um dem damaligen Diktator Saddam Hussein seine angeblichen Massenvernichtungsmittel zu entreißen und die Welt vor dessen behaupteter Zusammenarbeit mit der islamischen Terrororganisation Al Qaida zu schützen. Es wurden nach dem Sieg der USA weder biologische, noch nukleare Massenvernichtungsmittel, noch Beweise für eine solche Zusammenarbeit präsentiert. Stattdessen zerstörte dieser Krieg einen eigentlich sowieso schon nicht lebensfähigen und nur durch eine Diktatur zusammengehaltenen Staat endgültig. Dem sich daraus entwickelnden Chaos stehen die USA bis heute machtlos gegenüber. Dieser Prozess wird im Buch eindrucksvoll und sehr detailliert beschrieben.
Was sind nun die Kosten dieses Fehlschlages? Auf Seite 274 findet der Leser folgende Aufstellung: "Seit 2003 hatten 1,5 Millionen US-Soldaten im Irak gekämpft, 4448 von ihnen starben, 30.000 wurden teils schwer verletzt und weitere 30.000 sind Opfer schwerer posttraumatischer Erkrankungen (...) geworden. Laut offiziellen Angaben ... bezahlten die USA ca. 880 Milliarden US-Dollar für Irak-Engagement." Damit sind aber die wahren Kosten der USA noch lange nicht erfasst. Studien einer US-Universität berechnen Folgekosten für die Behandlung der Verletzten bis 2050 auf weitere 900 bis 1.500 Milliarden Dollar. Die Kosten für den Irak und seiner Bewohner belaufen sich angeblich auf 138.000 Tote und mehrere Millionen Flüchtlinge. Und auf ein völlig zerstörtes Land, das als Staat faktisch nicht mehr existiert.
Sollte es tatsächlich das Kriegsziel der USA gewesen sein, den islamischen Terror zu bekämpfen, dann haben sie bei all den Kosten genau das Gegenteil erreicht: Erstmals entstand ein islamisches Kalifat, das mit modernsten Waffen und ungeheuren Finanzmitteln ausgerüstet ist und so seinen Terror nicht nur in der Region, sondern bis weit darüber ausbreiten kann und wird.
Das grandiose Scheitern der USA beruht auf ständigen essentiellen Fehleinschätzungen der Lage und den daraus resultieren Schritten sowie auf einer unfassbarene Ignoranz, die ziemlich eindeutig größenwahnsinnige Züge besitzt. Wenn es dafür eines Beweises bedarf, dann bringt ihn allein der Begriff "nation building" schon hervor. Dieser Begriff, mit dem umschrieben werden soll, wie man in einem überfallenen und besiegten Land eine neue Nation gottgleich nach westlichem Vorbild formen möchte, ist ungefähr so aberwitzig wie "financial engineering" oder andere Schöpfungen aus US-Denkfabriken. Sie alle beruhen auf einem Weltbild, das nur in den Köpfen seiner Schöpfer existiert, aber nicht in der Realität.
Man kann in diesem Buch detailliert nachlesen, wie, angefangen von der falschen Truppenstärke der US-Invasoren über die Kaltstellung der ehemaligen sunnitischen Führungselite bis zur Installation eines völlig korrupten Regimes, alles, was schief laufen kann, auch schief lief. Das Irak-Engagement der USA, wie es der Autor umschmeichelnd nennt, ist ein klassisches Beispiel dafür, wie man durch einen direkten oder indirekten Krieg ausgehend von einer völlig falschen Lageeinschätzung begleitet durch permanente Selbstüberschätzung eine ganze Region destabilisieren kann.
Man muss dem Autor dieses Buches dankbar dafür sein, dass er sich die Mühe gemacht hat, diesen exemplarischen Vorgang so ausführlich zu beschreiben. Allerdings verblüfft auch in diesem Buch die Selbstverständlichkeit, mit der ein direktes oder indirektes Eingreifen des Westens in andere Staaten toleriert wird. Begriffe wie "nationale Sicherheit" werden offenbar nur für sich selbst beansprucht und gleich einmal auf die ganze Welt ausgedehnt, während man gerne andere Staaten (ob nun berechtigt oder nicht) als Diktaturen bezeichnet und daraus für sich das nicht vorhandene Recht ableitet, dort einzugreifen, um mit "nation building" anderen das eigene System aufzudrücken.
Gekrönt wird das Ganze dann am Ende dadurch, dass die USA und mit ihnen der größte und angeblich beste Geheimdienst der Welt völlig vom Auftreten und der Stärke des IS überrascht gewesen sein sollen.
Auch wenn man nicht immer mit dem Autor einer Meinung sein muss, so ist dieses Buch eine überragende Beschreibung der Ereignisse im Irak der letzten Jahre.
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