Rezension zu "Ingeborg und das Meer" von Wilfried Erdmann
Mit ihrem Trimaran "Ultima Ratio" segelte Wilfried Erdmanns Schwiegermutter Ingeborg als erste deutsche Frau allein von Gibraltar aus über den Atlantik auf die Bermuda-Inseln, weiter in die Karibik und dann über die Kanarischen Inseln zurück nach Gibraltar. Das Ganze dauerte fast genau ein Jahr. Heute klingt das ziemlich gewöhnlich, allerdings nur für Leute, die nicht viel vom Segeln und den Umständen und Gefahren verstehen, die mit einer solchen Reise verbunden sind.
Ein Trimaran besitzt keinen Kiel und nur einen geringen Tiefgang, ist also sehr windanfällig. Wenn man heute allein über solche Strecken segelt, verfügt man über eine Selbststeueranlage. Im Jahr 1969 war das keine Selbstverständlichkeit. Ingeborgs Trimaran hatte jedenfalls keine solche Anlage. Unter diesen Bedingungen ruhig schlafen zu können, ist vermutlich nicht ganz so einfach.
Wilfried Erdmann verstarb im Mai 2023. Unter Seglern ist er eine Legende. Mit seinem letzten Buch, das im Wesentlichen auf den von ihm gefundenen und hier kommentierten Aufzeichnungen seiner Schwiegermutter beruht, setzt er dieser überaus mutigen Frau ein Denkmal. Es geht dabei gar nicht um die Route, die gewiss unter den gewählten Bedingungen schwierig genug war, sondern um die Stimmungen der Seglerin und ihre inneren Erlebnisse und Einsichten. Starke Frauen haben es schwer, weil kaum ein Mann eine solche Partnerin akzeptiert, und es nur wenige Männer gibt, die in fast allen Belangen für sie passen.
Ingeborg schreibt: "Ich stehe auf dem Standpunkt, dass es besser ist allein zu segeln als mit einer Crew, mit der man nicht zurechtkommt. Und wen soll ich mitnehmen? Eine Freundin? Nein. Eine andere Frau? Bin nicht sicher, ob eine Frau ein Kamerad sein kann. Ein Ehepaar? Bloß nicht. Einen Mann, in den man nicht verliebt ist? Gibt sicher Schwierigkeiten. Und einen in gegenseitiger Liebe verbundenen, der gerne segelt, habe ich nicht gefunden. Entweder kein Geld, keine Neigung zum Segeln oder einfach zu alt."
Der Text beschreibt also auch das Drama starker und mutiger Persönlichkeiten, die lieber etwas alleine machen, als sich mit anderen herumzuärgern oder ihnen andauernd sagen zu müssen, was sie tun sollen. In der Bibel steht: "Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Reich der Himmel." Dieser Satz wird nur von denen verstanden, die wissen, dass Reichtum im Geiste einsam machen kann.