Rezension zu "Staatsverbrechen – der Fall Mollath" von Wilhelm Schlötterer
Wenn es um Rechtsstaatlichkeit geht, ist die CSU gerne der gefeierte Bannerträger. Erst kürzlich wurde unter dem Vorsitz von Manfred Weber in der EVP-Fraktion des Europa-Parlaments eine neue Geschäftsordnung verabschiedet, die Mitglieder dieser Fraktion rückwirkend bestrafen kann. Eine Strafe für ein Vergehen zu beschließen, für das es zum Zeitpunkt Vergehens noch gar keine Rechtsgrundlage gab, ist offenbar gelebte Rechtsstaatlichkeit. Da lohnt ein Blick ins rechtsstaatlich vorbildliche CSU-Land Bayern.
Dort lebt Gustl Mollath. Als er entdeckte, dass seine Gattin im Auftrag der HypoVereinsbank Geld gut betuchter Leute an der Steuer vorbei in die Schweiz schafft, bekommt er es mit der Angst zu tun. Er fordert seine Gattin auf, davon Abstand zu nehmen. Abstand nimmt sie jedoch nicht von ihrem kriminellen Tun, sondern von Mollath, der inzwischen Briefe an die bayerische Obrigkeit geschickt hatte, um sie über die Machenschaften der HypoVereinsbank zu informieren. Mollath wird daraufhin von seiner Frau wegen Gewalttätigkeit verklagt und schließlich in die geschlossene Psychiatrie abgeschoben. Nicht wegen häuslicher Gewalt, sondern wegen Wahnvorstellungen über die HypoVereinsbank. Vielleicht hatte Gustl Mollath einfach übersehen, dass die HypoVereinsbank zu einem gewissen Teil dem Freistaat Bayern gehört und der CSU damals fleißig spendete.
Alle Versuche von Mollath, aus der Anstalt heraus das ihm widerfahrene Unrecht aufzuheben, scheiterten. Es ist vor allem dem Autor dieses Buches zu verdanken, dass er heute wieder in Freiheit leben kann. Wilhelm Schlötterer, Mitglied der CSU und Ministerialrat a.D., reagierte auf einen Brief Mollaths und besuchte ihn in der Psychiatrie, um dort festzustellen, dass der Mann völlig normal ist. Es dauerte allerdings noch Jahre, bis es zu einem Wiederaufnahmeverfahren kam, an dessen Ende Mollath schließlich freigesprochen wurde. So weit, so gut. Und weil das schon ein paar Jahre her ist und weil sich scheinbar alles zum Guten wendete, fragt man sich, wozu jetzt noch ein Buch über diesen Fall erscheint. Das Unrecht wurde aufgehoben, der Rechtsstaat funktioniert, und alles scheint doch prima zu sein.
Ist es aber nicht. Schlötterer nennt sein Buch nämlich nicht Staatsversagen, sondern Staatsverbrechen. Er behauptet in ihm, dass Mollath vorsätzlich in die geschlossene Anstalt abgeschoben wurde, um die HypoVereinsbank aus der Schusslinie zu nehmen. Diesen Vorsatz begründet er ganz einfach: Wenn jemand Wahnvorstellungen bescheinigt werden, dann müssen es auch welche sein. Das aber hat das Gericht nicht nachgeprüft, sondern einfach nur behauptet. Die angeblichen Wahnvorstellungen erwiesen sich in Gänze als beweisbare Tatsachen. Und das hätte man schon damals herausfinden können, wenn man es denn gewollt hätte. In einem internen Bericht der HypoVereinsbank wurden Mollaths Behauptungen bestätigt. Die Bank ging jedoch niemals an die Öffentlichkeit, wohl wissend dass Mollath unschuldig in der Klapse sitzt.
Die Richter Mollaths, die Staatsanwaltschaften und andere Bestandteile der bayerischen Obrigkeit haben massiv und eigentlich strafbewehrt geltendes Recht gebrochen. Im Einzelnen kann man das ausführlich in diesem Buch nachlesen. Diese Rechtsbrüche wurden auch im Wiederaufnahmeantrag der Regensburger Staatsanwaltschaft aufgeführt, allerdings nur in der ersten Fassung, die nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken sollte, es aber durch eine parlamentarische Fügung doch tat. Niemand der Rechtsbrecher wurde je belangt.
Als besonders dreist stellt sich das Verhalten der mehrfach der Lüge überführten damaligen bayerischen Justizministerin heraus. Auch das wird im Buch detailliert geschildert. Die einzige Konsequenz für sie war 2013 der Verlust des Ministeriums und der Wechsel als Ministerin in ein anderes. Neben ihr gibt es noch einige andere hoch angesiedelte Figuren, die ebenfalls einen Schatten auf die angebliche Rechtsstaatlichkeit in Bayern werfen.
Der Autor schildert, wie die politisierte Justiz in Bayern funktioniert. Sein Fazit lautet: Wer einmal aus politischen Gründen, etwa weil er wie Mollath jemanden in die Quere gekommen ist, in diesen Apparat gerät, hat kaum eine Chance, dort unbeschadet wieder herauszukommen, auch wenn er wie Mollath komplett unschuldig ist. Wäre der Autor Mollath nicht beigesprungen und hätte ihn in einem jahrelangen Kampf aus den Fängen der bayerischen Justiz befreit, dann säße Mollath immer noch in der Psychiatrie. Wenn man die Details dieses Falles im Nachgang liest, kann einem Angst und Bange werden. Denn sie beschreiben keineswegs einen Justizirrtum, sondern ein Verbrechen an einem völlig unschuldigen Menschen, für das es unterschiedliche Motive bei unterschiedlichen Beteiligten gab.
Würden wir tatsächlich in einem Rechtsstaat leben, wäre das, was Mollath passiert ist, unmöglich gewesen.