Wenn es um Rechtsstaatlichkeit geht, ist die CSU gerne der gefeierte Bannerträger. Erst kürzlich wurde unter dem Vorsitz von Manfred Weber in der EVP-Fraktion des Europa-Parlaments eine neue Geschäftsordnung verabschiedet, die Mitglieder dieser Fraktion rückwirkend bestrafen kann. Eine Strafe für ein Vergehen zu beschließen, für das es zum Zeitpunkt Vergehens noch gar keine Rechtsgrundlage gab, ist offenbar gelebte Rechtsstaatlichkeit. Da lohnt ein Blick ins rechtsstaatlich vorbildliche CSU-Land Bayern.
Dort lebt Gustl Mollath. Als er entdeckte, dass seine Gattin im Auftrag der HypoVereinsbank Geld gut betuchter Leute an der Steuer vorbei in die Schweiz schafft, bekommt er es mit der Angst zu tun. Er fordert seine Gattin auf, davon Abstand zu nehmen. Abstand nimmt sie jedoch nicht von ihrem kriminellen Tun, sondern von Mollath, der inzwischen Briefe an die bayerische Obrigkeit geschickt hatte, um sie über die Machenschaften der HypoVereinsbank zu informieren. Mollath wird daraufhin von seiner Frau wegen Gewalttätigkeit verklagt und schließlich in die geschlossene Psychiatrie abgeschoben. Nicht wegen häuslicher Gewalt, sondern wegen Wahnvorstellungen über die HypoVereinsbank. Vielleicht hatte Gustl Mollath einfach übersehen, dass die HypoVereinsbank zu einem gewissen Teil dem Freistaat Bayern gehört und der CSU damals fleißig spendete.
Alle Versuche von Mollath, aus der Anstalt heraus das ihm widerfahrene Unrecht aufzuheben, scheiterten. Es ist vor allem dem Autor dieses Buches zu verdanken, dass er heute wieder in Freiheit leben kann. Wilhelm Schlötterer, Mitglied der CSU und Ministerialrat a.D., reagierte auf einen Brief Mollaths und besuchte ihn in der Psychiatrie, um dort festzustellen, dass der Mann völlig normal ist. Es dauerte allerdings noch Jahre, bis es zu einem Wiederaufnahmeverfahren kam, an dessen Ende Mollath schließlich freigesprochen wurde. So weit, so gut. Und weil das schon ein paar Jahre her ist und weil sich scheinbar alles zum Guten wendete, fragt man sich, wozu jetzt noch ein Buch über diesen Fall erscheint. Das Unrecht wurde aufgehoben, der Rechtsstaat funktioniert, und alles scheint doch prima zu sein.
Ist es aber nicht. Schlötterer nennt sein Buch nämlich nicht Staatsversagen, sondern Staatsverbrechen. Er behauptet in ihm, dass Mollath vorsätzlich in die geschlossene Anstalt abgeschoben wurde, um die HypoVereinsbank aus der Schusslinie zu nehmen. Diesen Vorsatz begründet er ganz einfach: Wenn jemand Wahnvorstellungen bescheinigt werden, dann müssen es auch welche sein. Das aber hat das Gericht nicht nachgeprüft, sondern einfach nur behauptet. Die angeblichen Wahnvorstellungen erwiesen sich in Gänze als beweisbare Tatsachen. Und das hätte man schon damals herausfinden können, wenn man es denn gewollt hätte. In einem internen Bericht der HypoVereinsbank wurden Mollaths Behauptungen bestätigt. Die Bank ging jedoch niemals an die Öffentlichkeit, wohl wissend dass Mollath unschuldig in der Klapse sitzt.
Die Richter Mollaths, die Staatsanwaltschaften und andere Bestandteile der bayerischen Obrigkeit haben massiv und eigentlich strafbewehrt geltendes Recht gebrochen. Im Einzelnen kann man das ausführlich in diesem Buch nachlesen. Diese Rechtsbrüche wurden auch im Wiederaufnahmeantrag der Regensburger Staatsanwaltschaft aufgeführt, allerdings nur in der ersten Fassung, die nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken sollte, es aber durch eine parlamentarische Fügung doch tat. Niemand der Rechtsbrecher wurde je belangt.
Als besonders dreist stellt sich das Verhalten der mehrfach der Lüge überführten damaligen bayerischen Justizministerin heraus. Auch das wird im Buch detailliert geschildert. Die einzige Konsequenz für sie war 2013 der Verlust des Ministeriums und der Wechsel als Ministerin in ein anderes. Neben ihr gibt es noch einige andere hoch angesiedelte Figuren, die ebenfalls einen Schatten auf die angebliche Rechtsstaatlichkeit in Bayern werfen.
Der Autor schildert, wie die politisierte Justiz in Bayern funktioniert. Sein Fazit lautet: Wer einmal aus politischen Gründen, etwa weil er wie Mollath jemanden in die Quere gekommen ist, in diesen Apparat gerät, hat kaum eine Chance, dort unbeschadet wieder herauszukommen, auch wenn er wie Mollath komplett unschuldig ist. Wäre der Autor Mollath nicht beigesprungen und hätte ihn in einem jahrelangen Kampf aus den Fängen der bayerischen Justiz befreit, dann säße Mollath immer noch in der Psychiatrie. Wenn man die Details dieses Falles im Nachgang liest, kann einem Angst und Bange werden. Denn sie beschreiben keineswegs einen Justizirrtum, sondern ein Verbrechen an einem völlig unschuldigen Menschen, für das es unterschiedliche Motive bei unterschiedlichen Beteiligten gab.
Würden wir tatsächlich in einem Rechtsstaat leben, wäre das, was Mollath passiert ist, unmöglich gewesen.
Wilhelm Schlötterer
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Wilhelm Schlötterer
Macht und Missbrauch
Wahn und Willkür
Staatsverbrechen – der Fall Mollath
Raffgier, Filz und Klüngelei
Neue Rezensionen zu Wilhelm Schlötterer
Von der „Amigo“ Affäre hört man in Bayer nicht mehr allzu gern. „Aufgearbeitet“ heißt es und ein „sich verwehren“ gegen den Eindruck, die Uhren in Bayern würden anders schlagen, wenn man einander nur gut genug kennt. Doch bis heute wirkt diese „alte Affäre“ aus den Zeiten Franz Josef Strauß nach. Jener Strauß, der nach den Aussagen Schlötteres dieses „System“ installierte und durchsetzte, das bis heute für die Oberen in Bayerns Politik fast durchgehend als „Blaupause“ zu gelten scheint.
Das ein „Geflecht“ von Beziehungen und Egoismen, teils in dreister, teils in krimineller Form zumindest offenkundig wird hier und da, das sind Tatsachen. Wie man an der „Versorgungsmentalität“ gegenüber der eigenen Familie und den näheren Bekannten im Zuge der Affären um Angestellte von Landtagsabgeordneten vor kurzem noch ausführlich mitverfolgen konnte. Samt der Information, dass man sich im Bayerischen Landtag lange schwer damit tat, für diese Unsitte der Vetternwirtschaft Regeln einzuziehen und nicht wenige der Abgeordneten je kurz vor „neuen“ Regelungen schnell noch Pfründe für die lieben Verwandten sicherten.
Kein Versehen, kein einzelner Fehltritt, wie Schlötterer durchaus sorgfältig recherchiert und pointiert ausgedrückt in seinem Buch ausführt, sondern ein weiß-blaues System, dass tief im politischen und gesellschaftlichen Getriebe verankert ist.
Strauß selbst in vielfacher Form, die Starfighter Affäre, der Milliardenkredit an die DDR, Diskussionen um steuerliche Erleichterungen für Flugbenzin, eine plötzlich verschwundene Festplatte im Rahmen der Ermittlungen um Max Strauß, den Sohn herum, all dies sind nur Schlagworte, hinter denen sich deutlich mehr verbirgt als nur einzelne Ungereimtheiten.
Vielfache systemische Strukturen in Form eines „Wegsehens“ der Staatsführung in Bayern oder gar in Form eigener, strafbarer Handlungen, die eher an die Amtsführung eines Silvio Berlusconi erinnern als an einen Staat unter deutschem Recht, stehen im Raum. Wobei Schlötterer von Beginn an festmacht, dass es nicht um eine „System CSU“ oder ein umfassend korruptes Bundesland geht, bei weitem nicht.
„Der kleine Mann in der CSU ist schon in Ordnung“, das betont Schlötterer. Aber an der obersten Spitze der Partei, da legt Schlötterer den Finger in tiefe Wunden.
„In keiner Partei gibt es eine so tiefe Kluft zwischen den einfachen Parteimitgliedern und den wenigen, die die CSU beherrschen“. Und diese Herrschaft in ganz eigener, fast durchweg selbstherrlicher Form ausüben. So weit, dass ein Kommentar zu den Memoiren Edmund Stoibers lautete, sie „würden so große Lücken aufweisen, als hätten sich die Motten vor der Drucklegung durch das Manuskript gefressen“.
Bis hin zur „Affäre Mollath“ („die abscheulichste Ausgeburt dieser Skrupellosigkeit“, die in Schlöttereres Augen keinen Justizirrtum darstellt, sondern mit Vorsatz betrieben wird), bezieht Schlötter nun Stellung und nimmt kein Blatt vor den Mund, bietet Hinweise, Beweise und Indizien en Masse für seine Einlassungen, die Bayern eher als feudalistisch geführtes Fürstentum“ denn als demokratisches Bundesland erscheinen lassen.
Von den Geschwistern Strauß über Franz Josef Strauß als „Urvater der Amigos“, über „Bargeldsysteme“ zu dunklen Zwecken erstrecken sich die ersten Einlassungen, die ein „Grundmuster“ verdeutlichen. Ein Muster, dass sich in den Amtsführungen Stoibers und Seehofers ohne weiteres wieder finden lässt, im (pseudo-) sozialen Handeln der CSU offenkundig wird und in dutzenden von Affären, Kaltstellungen, Bestechungen und hartem Vorgehen gegen „Unruhestifter“ (bis hin zum vermuteten Attentat) sich noch lange nicht erschöpft.
Natürlich ist das Buch in Teilen auch in deutlich polemischen Ton geschrieben. Nichtsdestotrotz bietet Schlötter erschreckende und schockierende Einblicke in den Umgang mit der Demokratie in bestimmten Kreisen in Deutschland, denen der Leser mit zunehmendem Ärger durch das Buch folgt und jedes Auge während der Lektüre geöffnet bekommt. Eine fast notwendig zu nennende Lektüre, bei aller Differenzierung, die der Leser selber dann vorzunehmen hat, um den Sog der Darstellung Schlötteres dann auch mit eigener, innerer Distanz Revue passieren zu lassen.
Ein Molotowcocktail mit Selbstzünder. Was Schlötterer hier vorlegt macht reichlich sprachlos. Nicht dass die bayerische Spezlwirtschaft, Korruptheit, Skrupellosigkeit etwas völlig neues ist, die systematische Faktenunterfütterung raubt einem jedoch jegliche noch vorhandene Illusion an eine gut funktionierende Demokratie. Er zeichnet dies anhand seiner Karriere, die ihn bis zum obersten bayerischen Steuerfahnder macht, an einzelnen speziellen Fällen nach. Ausgehend wohl von der dann doch eher negativen Persönlichkeit des grossen Vorsitzenden Strauss. Wie hier anscheinend Beihilfe zur Steuerhinterziehung, Einflussnahme auf justiziable Vorgänge, Günstlingswirtschaft Vorschub geleistet wurde, ist eines halbwegs ordentlichen demokratischen Gemeinwesens völlig unwürdig (z. B. Bäderkönig Zwick, Wienerwald Jahn, Fussballikone Beckenbauer). Man fragt sich, ob dies wirklich spezifisch bayerisch ist oder überall im Lande so passieren kann und passiert. Generell ist das wohl ein Problem, das auftritt wenn eine Partei über Jahrzehnte derart domiert wie eben die CSU in Bayern. Ich vermute in NRW ist das Ganze, teilweise weiss man dies ja auch, auch nicht völlig anders bei der anderen Couleuer. Wenngleich, dies ist meine feste Überzeugung (na ja oder vielleicht Glauben), nicht in dieser totalen Schamlosigkeit.
Was bleibt in Sachen CSU. Hier setzt nun ganz langsam ein gewisser Gesundungsprozess ein, eingeleitet durch den Verlust der absoluten Mehrheit. Diese wird der Partei, da bin ich sicher, zumindest für lange Zeit verwehrt bleiben. Solange FJS allerdings die grosser Ikone der Partei bleibt, wird sie nie ganz normal werden. Zumal bis heute ja Leute in der Partei erheblichen Einfluss haben, die in der Strauss-Ära ihren Ursprung haben.
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