Doch unser Verstand funktioniert anders. Er verarbeitet eingehende Informationen in einer Geschwindigkeit, die uns früher das Überleben sicherte. Dazu gleicht er neue Informationen mit bekannten und bereits im Geist strukturell geordneten ab. Wir denken also nicht ständig neu nach, sondern greifen auf alte Konditionierungen zurück. Das macht ein objektives Beobachten in der Regel unmöglich, denn unsere Konditionierungen enthalten Wertungen, die nur infrage gestellt werden, wenn die eintreffenden Reize dafür stark genug sind. Unser Gehirn filtert also für uns meistens unbewusst unsere Wahrnehmung, vermischt sie mit Emotionen und gibt so eine Reaktion auf fast jede Beobachtung vor, die von unseren Konditionierungen abhängt. Es kommt zu Aversionen oder zum Begehren. Buddha nannte dies Anhaften. Ist dieser Vorgang erst einmal in Gang gesetzt, so ist er nur schwer zu stoppen, weil er zu Taten führt, die alte Konditionierungen verstärken oder neue erzeugen. Auf diese Weise setzt sich der durch Anhaften entstandene Leidensprozess stetig fort.
Wenn man das einmal verstanden hat, sucht man nach einem Ausweg. Auch den hat Buddha mitgeliefert. In diesem Sinne ist der Buddhismus keine Religion, sondern eine Weisheitslehre der Lebenskunst. Und davon handelt dieses schmale Büchlein. Nirgendwo sonst habe ich die Essenz der Lehre Buddhas bisher in einer solchen Klarheit gelesen wie hier. Buddhas Ausweg besteht im so genannten Edlen Achtteiligen Pfad, den er einmal so umschrieben hat:
"Aus rechtem Verstehen erwächst rechtes Denken;
aus rechtem Denken erwächst rechte Rede;
aus rechter Rede erwächst rechtes Handeln;
aus rechtem Handeln erwächst rechter Lebenserwerb;
aus rechtem Lebenserwerb erwächst rechtes Bemühen;
aus rechtem Bemühen erwächst rechtes Gewahrsein;
aus rechtem Gewahrsein erwächst rechte Konzentration;
aus rechter Konzentration erwächst rechte Weisheit;
aus rechter Weisheit erwächst rechte Befreiung."
Während das erste Drittel des Weges auch für westliche Ohren vernünftig klingt, bleibt der Rest (Herrschaft über den eigenen Geist, Reinigung des eigenen Geistes) meist unverständlich. Es ist deshalb kein Wunder, dass sich allerlei Spekulationen darüber gebildet haben. Man kann diesen Teil des Weges nicht wirklich erklären, weil er sich einer intellektuellen Betrachtung entzieht. Beschreitet man diesen Weg, dann geht es gerade um die Auflösung der Welt des Denkens und der trennenden Begriffe durch selbstbeobachtende Meditation. Das macht ihn in Wirklichkeit unbeschreibbar, wenngleich ihn jeder, der beharrlich und ohne Selbstbezug übt, erleben kann.
Obwohl man dem Titel dieses Büchleins folgend auf die Beschreibung einer Meditationsmethode hoffen konnte, wird die Vipassan-Meditation nur recht allgemein erläutert. Wer sie erlernen möchte, kann sich zu einem kostenfreien Kurs anmelden. Adressen dafür sind leicht zu finden.
Die Vipassana-Meditation ist der Schlüssel zu Buddhas Weg der Befreiung durch Reinigen des Geistes. Durch reines Beobachten des Atems unter Verzicht auf andere Hilfsmittel erlangt der Meditierende nach einer Weile einen gewissen Zugang zu im Körper ablaufenden Prozessen, die sich der gewöhnlichen Wahrnehmung zunächst entziehen. Er beobachtet das Entstehen und Vergehen am eigenen Körper. Auf Seite 184 lesen wir: "Mit dieser Erfahrung versteht man, was Körper, Empfindungen, Geist und Geist-Inhalte wirklich sind: ein Fluss von unpersönlichen, ununterbrochenen sich verändernden Phänomenen." In der Folge erlangt der Meditierende mit der Zeit den Gleichmut seines Geistes und bleibt in allen Situationen bei sich und im seelischen Gleichgewicht.
Unser durch unsere Alltagskultur geprägter westlicher Geist fängt spätestens hier an zu rebellieren. Wir halten überschießende Emotionen für normal, während der Vipassana-Meditierende gleichmütig bleibt, egal was passiert. Wir interpretieren dann einen solchen Gleichmut völlig falsch und offenbaren damit nur unsere Konditionierungen. Der geschulte Geist hingegen hat durch Meditationen diese Konditionierungen nach und nach verloren und sich dadurch völlig aus den Fesseln des Leidens befreit. Dennoch ist er weder entrückt, noch abgehoben, sondern völlig normal und klar dem Leben voll zugewandt, weil er die Dinge so sieht, wie sie sind und nicht, wie sie seiner Meinung nach sein sollten.
Wer erfahren möchte, wie das geht, sollte dieses Buch lesen und es ausprobieren. Es gibt keine unerwünschten Nebenwirkungen.
Fazit.
Wer etwas über Buddhismus jenseits aller irgendwie gearteten Vereinnahmungen lesen möchte, der erhält mit diesem schmalen, aber außergewöhnlichen Büchlein eine hervorragende und sehr klare Anleitung. Wer sich auf diesen nicht einfachen Weg begeben möchte, wird ihn hier finden.
Wenn man lernt die Realität objektiv zu beobachten, hört man auf, sich selbst Leid zu schaffen