Als der 1983 in Australien geborene Autor William Hastings Burke sein Abschlusszeugnis in Händen hält, will er, nachdem er eine Doku über Albert Göring, den Bruder von Hermann Göring gesehen hat, mehr über Albert erfahren, der sich, trotz ähnlicher familiärer Voraussetzungen, gänzlich anders entwickelt hat. Doch zunächst findet er kaum Informationen zu ihm. Darauf tritt er eine Reise nach Europa und Amerika an, die mehr als drei Jahre dauern wird.
In einem amerikanischen Archiv findet er eine Liste von 34 prominenten Namen wie Sophie Lehár, Kurt Schuschnigg oder Erzherzog Joseph Ferdinand, die er aus den Fängen der Nationalsozialisten gerettet haben soll. Doch dies ist nur eine kleine Auswahl, denn zahlreiche Menschen, denen Albert Göring geholfen hat, bleiben unbekannt.
Wer ist er nun, der Albert Göring?
Albert Göring wird am 9. März 1895 in Friedenau bei Berlin geboren. Er gilt von Beginn als Außenseiter, hat er doch, statt blauer Augen wie sein älterer Bruder Hermann, braune. Es gibt das unbestätigte Gerücht, er sei das Ergebnis eines Seitensprung seiner Mutter. Im Ersten Weltkrieg ist der Maschinenbautechniker als Fernmelder eingesetzt. Er steht der NSDAP seit ihrer Gründung kritisch gegenüber, während Bruder Hermann die Karriereleiter ständig emporsteigt. Albert weigert sich in die Partei einzutreten, legt sich wiederholt mit der Gestapo an und hilft seinem jüdischen Chef bei der Tobis-Sascha-Filmgesellschaft bei der Flucht. Später wird er als Exportchef bei den Skoda-Werken in Pilsen den Widerstand gegen die NS-Diktatur unterstützen und seinen Einfluss auf seinen Bruder einsetzen, um verhaftete Mitarbeiter wieder enthaften zu lassen. Außerdem holt er zahlreiche Häftlinge aus den Konzentrationslagern. Lange Zeit kann ihn sein Bruder schützen, doch den Machtkampf mit Heinrich Himmler wird Hermann Göring letztlich verlieren.
Nach der Kapitulation Deutschland im Mai 1945 werden sowohl Hermann als auch Albert Göring verhaftet. Hermann entzieht sich, nach dem Schuldspruch im Nürnberger Prozess der Hinrichtung durch Selbstmord.
Albert kommt erst nach zwei Jahren Haft frei, weil man ihm seine Ablehnung des NS-Regimes niemand glaubt. Hier schlägt die, sonst bei der Gestapo übliche, Sippenhaft zu. Erst nachdem die ehemaligen Mitarbeiter der Skoda-Werke für ihn aussagen, wird er als gebrochener Mann entlassen. Auf Grund seines Namens wird er im Nachkriegsdeutschland gemieden und verliert immer wieder seine Arbeit. 1966 stirbt Albert Göring an Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Eine Aufnahme in den Kreis der Gerechten von Yad Vashem wird ihm, vermutlich ob seines Familiennamens, der er sich bis zu seinem Tod geweigert hat, zu ändern, verwehrt bleiben. Offizielle Begründung: es fehlen Beweise für seine Taten.
Meine Meinung:
Die Idee, sich mit dem Antipoden zum Reichsmarschall zu beschäftigen, hat mir gut gefallen. Wie geht man damit um, Bruder eines Kriegsverbrechers zu sein?
Nachdem die Generation der Nachkriegskinder noch zu nahe am Geschehen sind, ist es Aufgabe der Enkel, sich den Gräueltaten ihrer Vorfahren zu stellen. Doch warum muss es ein junger Australier sein, der kein Historiker ist, sondern Volkswirt?
William Hastings Burke geht, weil er eben kein Historiker ist, seine Recherchen recht unbedarft an. Dann fällt ihm, wie er berichtet, jene Liste mit den 34 Namen der Geretteten in die Hände, was ihn an Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“, die man auch in Australien kennt, in die Hände.
Er besucht und interviewt die Nachfahren der Namen auf der Liste, darunter auch Alberts Tochter Elizabeth, um dem Menschen näherzukommen. Interessant zu lesen ist, dass Albert Göring zwischen seinem Bruder Hermann und dem Reichsmarschall zu unterscheiden weiß. Nachzuprüfen ist das leider nicht.
Leider hat das Buch einige Mängel, von denen einige durchaus bei der Übersetzung entstanden sein könnten. Autor William Hastings Burke springt durch Zeit und Raum. Zudem sind Ortsangaben falsch oder schlecht übersetzt, z. B, spricht er immer vom Lundgau, korrekt ist Lungau. Das Schloss Fischorn befindet sich nicht in Bruck bei Zell am See sondern in Bruck an der Glocknerstraße, wie der Ort seit der Fertigstellung der Großglockner-Hochalpenstraße im Jahr 1935 heißt. Das mag vielleicht unerheblich sein, mich stört so etwas. Genauso wie sein Genörgel an der deutschen Sprache, die seiner Ansicht nach keine neuen Begriffe erfindet, sondern nur zwei bestehende Hauptwörter wie z.B. Selbst-Mord, Hand-Schuhe oder Stink-Tier zusammensetzt. Er selbst (oder die Übersetzung) setzt dann aus Geburt und Arzt den Begriff „Geburtsarzt“ zusammen, den es nicht wirklich gibt. Es ist wohl der Geburtshelfer oder Frauenarzt gemeint.
Zudem finde ich einige Formulierungen respektlos
„Im August 1914, nachdem ein Mann mit einem drolligen Federhut und seine Frau in Sarajevo ermordert worden waren ...“ (S. 53)
und andere sind unrichtig:
“... als Berlin und Hitler fielen ...“ (S. 213)
Berlin ist wohl gefallen, Hitler hat feige in seinem Bunker gemeinsam mit Eva Braun Selbstmord begangen.
Man könnte meinen, William Hastings Burke würde sich weiter mit dem Thema beschäftigen, doch dieses Buch, das 2012 auf deutsch erschienen ist, scheint sein einziges Buch zu sein. 2011 hat der Autor ein Dokumentation über Albert Göring gedreht. Der Schreibstil bzw. der Aufbau dieses Buches scheint in meinen Augen eine Art schriftliches Exzerpt der filmischen Darstellung des Stoffes zu sein. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung ist es nicht. Burke bringt zwar im Nachwort eine Liste der Zitate, Faksimiles von Dokumenten oder Fotos, die er von Nachfahren der Geretteten erhalten haben will, fehlen.
Fazit:
Dieses Buch über zwei Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten, den Nazi Hermann und den Judenretter Albert hat mich zwiegespalten zurückgelassen, was aber nicht am Thema, sondern an der Art der Umsetzung liegt. Deshalb gibt es nur 3 Sterne.