Zum Inhalt:
Im April 2007 wird die Leiche von Ben Riffkin gefunden. Er war gerade Mal 13 Jahre alt und wurde erstochen. Staatsanwalt Andrew Barber übernimmt die Leitung in diesem Fall.
Die Ermittlungen gestalten sich als schwierig und zäh. In der Schule von Ben, auf die auch Andrews Sohn Jacob geht, will sich niemand mit der Polizei und schon gar nicht mit dem Staatsanwalt unterhalten. Auf Facebook hingegen lassen sich die Schüler darüber aus, dass Jacob der Mörder von Ben ist.
Andrew Barber muss sich aber nicht nur mit seinem Sohn, sondern auch mit sich selbst beschäftigen …
Meine Meinung:
Die Geschichte wird komplett aus der Sicht von Andrew Barber erzählt und beginnt an einem Tag, an dem Andrew als Zeuge vor einer Grand Jury aussagt. In diese Aussage wird das eigentliche Geschehen, der Mord an Ben Riffkin und die Ermittlungen, eingebaut. So weit, so gut. Ich habe jedoch selten einen so interessant geschriebenen Thriller gelesen. Wobei interessant geschrieben irgendwie doch nicht die richtige Beschreibung ist. Vielleicht eher ungewöhnlich aufgebaut, oder doch eine Mischung aus beidem.
>>Ihnen ist bekannt, dass Sie das Recht haben, die Aussage zu verweigern?>Selbstverständlich.<<
>>Und Sie machen keinen Gebrauch davon?<<
>>Offenbar, denn ich sitze ja hier. Und ich sage aus.<<
Gekicher vonseiten der Grand Jury. Logiudice legte seinen Block zur Seite und mit ihm vorgeblich für einen Augenblick auch seinen Schlachtplan.
>>Mister Barber, Andy, darf ich Sie etwas fragen? Warum machen Sie keinen Gebrauch davon? Warum schweigen Sie nicht einfach?<<
Die nächsten Worte sagte er nicht laut: Ich an Ihrer Stelle würde genau das tun. (S. 13)
Unter anderem hat mich die Ausführlichkeit, mit der Landay, der selbst ehemaliger Staatsanwalt ist, viele Dinge beschreibt, begeistert. Auch wenn diese Ausführungen stellenweise ein wenig zu sehr in die Länge gezogen waren, waren sie nie langweilig. Es verhielt sich vielmehr so, dass mir diese Ausführungen das Gefühl gaben, dass ich selbst diese Geschichte erlebe. Ich war auf einmal nicht mehr bloß die Leserin eines Buches, sondern steckte mittendrin. Ich war Staatsanwältin, Polizistin, Mutter, Vater, Sohn, Zeugin, Geschworene, Anklägerin und Angeklagte.
„Während die Ermittlungen zu einem Gewaltverbrechen laufen, verspürt man oft einen gerechtfertigten Hass auf den Kriminellen, noch bevor man irgendeine Ahnung hat, um wen es sich handelt. Normalerweise blieb ich von dieser leidenschaftlichen Anwandlung verschont, doch in diesem Fall konnte ich den Mörder schon jetzt nicht ausstehen. Weil er diesen Mord begangen hatte und weil er uns verarschte. Weil er sich nicht ergab. Weil er die Lage im Griff hatte. Sobald mir sein Name und sein Gesicht bekannt würden, müsste ich meine Verachtung für ihn nur noch in die passende Dimension bringen.“ (S. 46)
Durch den Klappentext scheint so ziemlich alles verraten zu sein, worum es in diesem Buch geht. Zum Großteil stimmt das auch, aber eben nur zum Großteil. Die Frage: In welchem Fall sagt Andrew da als Zeuge aus? hat mich fast das ganze Buch über begleitet. Während ich anfangs noch der festen Überzeugung war, dass es sich natürlich um Jacobs Fall handeln würde, war ab einem gewissen Zeitpunkt klar, dass es genau darum eigentlich nicht gehen kann. Und die Auflösung dieser Frage, die wirklich erst ganz zum Schluss beantwortet wird, hat mich mit offenem Mund dasitzen lassen, schockiert und zum Nachdenken angeregt.
„Die Vorstellung, dass Jacob ein Mörder sein könnte, war einfach absurd, und ich habe sie damals nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Eigentlich dachte ich nur, dass Jacob uns etwas verschwieg. Sobald sich dieser Verdacht bei mir festgesetzt hatte, durchlebte ich alles in doppelter Funktion: als ermittelnder Staatsanwalt und als besorgter Vater, der eine der Wahrheit auf der Spur, der andere die Wahrheit fürchtend.“ (S. 91)
Der Thrill in diesem Thriller entsteht nicht durch die üblichen Dinge, die normalerweise einen richtig guten Thriller für mich ausmachen. Es handelt sich bei diesem Buch aber auch nicht um einen „normalen“ Thriller. Es ist ein sehr gut zu Papier gebrachter Justizthriller gepaart mit einem eindringlichen Familiendrama. Und diese Mischung hat mir auch ohne ekelig zugerichtete Leichen, wahnsinnigem Serienkiller und dergleichen gut gefallen.
„Unser blindes Vertrauen in die Justiz basiert auf Ignoranz und Wunschdenken, und ich würde einen Teufel tun und diesem Apparat das Schicksal meines Sohnes überlassen. Nicht, weil ich von seiner Schuld überzeugt war, sondern im Gegenteil, weil ich mir seiner Unschuld sicher war. Ich tat das wenige, was mir blieb, um das richtige Ergebnis, das gerechte Ergebnis herbeizuführen. Wenn sie mir nicht glauben, dann verbringen Sie mal ein paar Stunden in einem Gericht in Ihrer Nähe, und dann entscheiden Sie, ob Sie immer noch glauben, dort würden keine Fehler gemacht. Entscheiden Sie, ob Sie ihm Ihr Kind überlassen würden.“ (S. 120)