Rezension zu "Tarzan Alive" von Philip José Farmer
Im Mai 1888 bricht das Ehepaar John und Alice Clayton zu einer Expedition nach Französisch-Äquatorialafrika (eine französische Kolonie im zentralen Afrika vom Golf von Guinea bis zu dem westlichen Sudan) auf. Das Ziel ihrer Expedition werden sie allerdings nie erreichen, denn auf der "Fuwalda", dem Schiff, das sie von Freetown an ihr Ziel bringen soll, gibt es eine Meuterei und einem riesenhaften Matrosen namens "Black Michael" ist es zu verdanken, dass das Ehepaar nicht getötet, sondern an der Küste Gabuns ausgesetzt wird.
Dort kommt kurz nach Mitternacht an einem Donnerstag, dem 22. November 1888 nach kurzen Wehen (die Mutter war tags zuvor von einem übergroßen affenähnlichen Tier attackiert worden und der Schock bewirkte die Niederkunft) in einer kleinen am Strand errichteten Hütte John Clayton III zur Welt. Alice Clayton erholt sich von dem Schock der Attacke und den Anstrengungen der Geburt nicht mehr und dämmert bis zu ihrem Tod und dem ihres Mannes ein Jahr später vor sich hin. Die "Mangani", eine Spezies von Affen irgendwo zwischen Schimpansen und Gorillas angelegt, waren zurückgekehrt und Kerchack, der Anführer des Affenstammes, tötet John Clayton II, während sich das Manganiweibchen Kala des einjährigen John anstelle ihres gerade verstorbenen Jungen annimmt und ihn "Tarzan" ("Weiße Haut") nennt...
Von dort weg erzählt uns der Romanautor Philip José Farmer (1918-2009) akribisch den Werdegang von John Clayton als "Tarzan" zu "Lord Greystoke" bis herauf ins Jahr 1946, wo Tarzan ein letztes Mal die legendäre versunkene Stadt Opar besucht und dann im Dschungel verschwindet. Farmer berichtet von einem persönlichen Interview mit dem damals 83jährigen Lord Greystoke im Jahre 1971 und will uns so glauben machen, dass "Tarzan" wirklich lebte... und noch lebt! Denn die Vorfahren John Clayton's III waren 1795 in Wold Newton , Yorkshire, England, unterwegs, als dort ein Meteorit (tatsächlich geschehen!) einschlug und sie einer Strahlung aussetzte, die sich bei den Nachkommen durch besondere Intelligenz und Stärke aber auch Langlebigkeit äußerte. Farmer lässt uns aber auch anhand der Analyse der 24 Romane, die der Biograph Clayton's - Edgar Rice Burroughs (1875-1950) - über "Tarzan" veröffentlichte, auf faszinierende Weise erfahren, dass Burroughs die wahre Identität der Greystokes sowie der Geschehnisse kaschierte und auch Orte und Zeiten verfälschte, damit die Lebenden aber auch mystische Plätze wie Opar geschützt blieben. Wir erfahren, dass Tarzan sich des Reichtums von Opar bediente und mit seiner Frau Jane Porter nicht nur eine Plantage in Afrika betrieb und seine Zeit zwischen diesem Kontinent und England aufteilte, viel in der Welt herumreiste, mehrere Sprachen sprach und spricht, vor dem Parlament in London Ansprachen hielt und sogar im II. Weltkrieg als Pilot tätig war. Während seiner Abenteuer gelangte er auch in Besitz eines Elixiers, welches ihn wesentlich langsamer als andere Menschen altern lässt. Somit wird Farmer's Hinweis, "Tarzan" lebe noch, hinreichend begründet.
Diese Biographie zeichnet ein vollkommen neues Bild einer faszinierenden Person und zerstört das falsche von Hollywood gezeigte Bild eines in einem Baumhaus lebenden und sich mit Lianen durch den Urwald schwingenden Mannes, der von einer seltenen Spezies von Affen aufgezogen wurde. Dieses Buch dient nicht nur als exzellenter Führer durch die 24 Werke Burrough's und fasst alle wichtigen Punkte "Tarzans" zusammen, sondern Farmer geht noch weiter und betreibt in mehreren Anhängen zu der Biographie eine unglaubliche Ahnenforschung, die sprachlos machende Verquickungen familiärer Bande der sieben Familien, die damals bei dem Metoriteneinschlag in der Gegend waren, mit "Tarzan" aufzeigen: Tarzan ist mit Sherlock Holmes, Nero Wolfe, Bulldog Drummond oder "Doc Savage" verwandt... die widerum Blutsbande zu Phileas Fogg, Lord Peter Wimsey, Professor Moriarty, Fu Manchu oder zu Arsène Lupin haben. Wieviel Zeit mag der Autor wohl in diese Ahnenforschung und die Ausarbeitung der Zeitlinien all dieser berühmten fiktionalen Charaktere gesteckt haben? Die Ehen, die Kinder und Kindeskinder all dieser Figuren passen zeitlich und auch von den Lokalitäten her wunderbar zusammen.
Diese Genealogie kostet dem Buch einen Stern, weil die Wucht und die Ausführlichkeit bald ermüdet und auch das Hirn des Lesers überbeansprucht. Aber man muss sich tief verbeugen vor diesem Autoren und der überbordenden Phantasie und seiner hier in einzigartiger Form zum Ausdruck gebrachten Liebe zur "Pulp Fiction"... Dieses Buch ändert das von Filmen her bekannte einseitige Bild von "Tarzan" komplett und man lernt eine mehrdimensionale Figur kennen sowie den Drang, sich den Abenteuern, ersonnen von Edgar Rice Burroughs, zu widmen! Und man wird neugierig auf Farmer's "Wold Newton Familie"... ein eigenes Universum voller fantastischer Geschichten und Figuren im Stile der gesegneten "Groschenromanliteratur"!