Rezension zu "Das Versprechen der Schönheit" von Winfried Menninghaus
„Survival of the fittest“, als Quintessenz darwinistischer Evolutionstheorie von Herbert Spencer ausformuliert, verengt die Perspektive auf die natürliche Selektion und lässt dabei außer Betracht, dass neben körperlicher Stärke und großem Adaptionsvermögen ein weiterer Faktor bedeutenden Einfluss auf die Artentwicklung – auch des Menschen – nahm: die Schönheit. Ästhetische Präferenzen gepaart mit der Fähigkeit, ästhetische Urteile zu fällen, haben nicht nur maßgeblich das heutige Aussehen von Tier und Mensch geprägt. Sie können zugleich als der Motor kultureller Entwicklung gedeutet werden: Kunst und Mode lassen sich in eine Linie bringen mit dem extravaganten Pfauenschwanz oder der weiblichen Brust.
Bereits bei alten Griechen stand Schönheit hoch im Kurs, der ästhetische Körper wurde nahezu kultisch verehrt. Heute werden mehr Anstrengungen denn je unternommen, den Zustand physischer Attraktivität herzustellen und zu konservieren. Das Verlangen nach Schönheit unterhält nicht nur die gesamte Kosmetikindustrie. Plastische Chirurgen, Fitness-Studios, die Modebranche… sie alle profitieren gleichermaßen vom, wie es scheint, kollektiven Schönheitswahn. Was ist also dran an der Schönheit? Wie lautet ihr Versprechen? Die Antwort fällt trivial aus: Es ist Glück. Schönheit verspricht Glück, doch paradoxerweise nicht demjenigen, der sie besitzt. Ganz im Gegenteil: Attraktives Äußeres bedeutet Gefahr für Leib und Leben. Hyakinthus, Narziss und Adonis stehen beispielhaft für eine ganze Reihe mythischer Helden, denen die eigene Schönheit zum Verhängnis geworden ist. Der Pfau? Sein prachtvolles Federkleid macht ihn zu einem wahren Beau der Vogelwelt – und einem leuchtenden Angriffsziel. Runde Hüfte gilt als das sexieste Accessoir der weiblichen Figur– bei schneller Flucht absolut hinderlich.
Doch handelt es sich bei den beiden so genannten sexuellen Dismorphismen nicht um Fehlkonstruktionen der Natur. Sie sind vielmehr als körperliche Ornamente (Moden) zu sehen, die im Rahmen sexueller Selektion – also sexuell geleiteter Partnerwahl – dank konstanter ästhetischer Präferenzen ihren Bestand wahren konnten. Sowohl die ästhetischen Volieben („taste“) als auch die generelle Fähigkeit, ästhetische Urteile zu machen („sense of beauty“) sind Teil des genetischen Erbes. Daher muss die Aussage, die Schönheit liege im Auge des Betrachters, an dieser Stelle zumindest teilweise revidiert werden. Individueller Geschmack und epochenabhängige Trends mögen zwar ganz spezielle Spielarten des Schönen in den Mittelpunkt rücken, dennoch überschreiten einige allgemeine ästhetische Prinzipien sämtliche Grenzen: Zeit, Geschlecht, Rasse und soziale Schichtzugehörigkeit. Experimentelle Befunde zeigen auf, dass sich bezüglich Präferenzen bei grundlegenden Parametern wie Gesichts- und Körperproportionen, Hautkomplexionen, Haartyp etc. seit der Antike nichts getan hat: Was den alten Griechen gefiel, gefällt uns auch heute. Und obgleich die Ausbildung eines Ornaments arbiträr – willkürlich – erfolgt, folgt sie einem immer wieder zu beobachtenden Muster, das bekannt ist unter der etwas sperrigen Bezeichnung: Das Humboldt-Darwinische Prinzip der Verstärkung von Unterschieden. Weiblicher Busen, volle Lippen oder etwa das Haupthaar beim Menschen sind als Merkmale der „physical attractness“ nach diesem Prinzip entstanden. Das Prinzip kann auch als Erklärung für die Extreme Mini-Mode dienen oder das Auftreten immer neuer Trends und Schönheitsideale.
„Das Versprechen der Schönheit“ bildet in seinem interdisziplinären Ansatz einen bislang nicht unternommenen Versuch, dem Phänomen physischer Attraktivät als „Signatur der Gegenwart“ wissenschaftlich beizukommen. Ausgewählte Beiträge aus den Bereichen Biologie, Philosophie, Soziologie und Psychologie ergänzen sich zum erstklassigen und niveauvollen Kommentar des Zeitgeists, als dessen wesentliche Komponente der Autor „die Entfesselung von Schönheitskonsum und Schönheitsarbeit“ anführt.
Komplexes einfach darstellen, nein, das tut Menninghaus in dem vorliegenden Buch nicht. Aber es gelingt ihm scheinbar mühelos etwas anderes: dem Leser die Schönheit der deutschen Sprache vor die Augen zu führen.